Antrag auf Haftbefehl gegen israelische Spitzenpolitiker und führende Hamas-Funktionäre

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Heute, Montag, 20. Mai 2024, hat der Chefankläger Khan beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (IStGH, englisch ICC, nicht zu verwechseln mit dem Streitigkeiten zwischen Staaten  innerhalb der Vereinten Nationen behandelnden Internationalen Gerichtshof, IGH, englisch ICJ) beantragt, Haftbefehle gegen zwei Spitzenpolitiker Israels und drei führende Hamas-Funktionäre zu erlassen. Dies hat der Chefankläger heute in einer öffentlichen Erklärung verkündet.

Der Antrag geht davon aus, dass die Kriegsverbrechen (israelische und palästinensische Beschuldigte) im Zusammenhang mit einem "internationalen bewaffneten Konflikt zwischen Israel und (dem Staat) Palästina sowie zugleich einem "nicht internationalen bewaffnen Konflikt zwischen Israel und Hamas (zusammen mit anderen Palästinensischen bewaffneten Gruppen) parallel" begangen wurden. Es ist anzunehmen, dass diese Einschätzung dem Umstand Rechnung tragen soll, dass Palästina einschließlich Gaza vom Internationalen Strafgerichtshof wie von einem Großteil der Staatengemeinschaft als Staat anerkannt und gleichzeitig aber durch Israel besetzt ist und die Hamas als nichtstaatliche bewaffnete Gruppe betrachtet wird.

Die Vorwürfe gegen die Hamas-Funktionäre Yahya SINWAR (Chef der Hamas im Gazastreifen), Mohammed Diab Ibrahim AL-MASRI, (Oberbefehlshaber des militärischen Flügels der Hamas, der Al-Quassam-Brigaden) und Ismail HANIYEH (Chef des Politbüros der Hamas) lauten (übersetzt weitgehend in Übereinstimmung mit der Übersetzung des Auswärtigen Amtes):

  • Ausrottung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7 (1)(b) des IGH-Statuts, die folgenden Vorschriften beziehen sich hierauf); 
  • Vorsätzliche Tötung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7(1)(a) und als Kriegsverbrechen gem. Art. 8(2)(c)(i);
  • Geiselnahme als Kriegsverbrechen, Art. 8(2)(c)(iii);
  • Vergewaltigung und andere Akte sexueller Gewalt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Art. 7(1)(g) und als Kriegsverbrechen gem. Art. 8(2)(e)(vi) im Zusammenhang mit der Gefangenschaft
  • Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Art. 7(1)(f) sowie als Kriegsverbrechen, Art. 8(2)(c)(i), im Zusammenhang mit der Gefangenschaft;
  • Andere unmenschliche Handlungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Art. 7(l)(k), im Zusammenhang mit der Gefangenschaft;
  • Grausame Behandlung als Kriegsverbrechen, Art.  8(2)(c)(i), im Zusammenhang mit der Gefangenschaft und
  • die Beeinträchtigung der persönlichen Würde als Kriegsverbrechen, Art 8(2)(c)(ii), im Zusammenhang mit der Gefangenschaft.

Die obigen Verbrechen seien "Teil eines groß angelegten und systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung Israels durch die Hamas und andere bewaffnete Gruppen gemäß ihrer organisierten Strategien" und einige dieser Verbrechen dauern nach Einschätzung der Antragsteller bis heute an. Es sei davon auszugehen, dass die drei genannten Hamas-Funktionäre strafrechtlich verantwortlich seien für die Tötung hunderter israelischer Zivilisten am 7. Oktober 2023 und die Entführung von mindestens 245 Geiseln.

Die Vorwürfe gegen Benjamin NETANYAHU,  Israels Premierminister, sowie  Yoav GALLANT, Israels Verteidigungsminister, beziehen sich auf Handlungen "auf dem Territorium des Staates Palästina (im Gazastreifen), mindestens ab 8. Oktober 2023":

  • Vorsätzliches Aushungern von Zivilpersonen als Methode der Kriegführung als Kriegsverbrechen, Art. 8(2)(b)(xxv);
  • vorsätzliche Verursachung großer Leiden oder schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Gesundheit, Art. 8(2)(a)(iii), oder grausame Behandlung als Kriegsverbrechen, Art. 8(2)(c)(i);
  • vorsätzliche Tötung, Art. 8(2)(a)(i), oder vorsätzliche Tötung als Kriegsverbrechen Art.  8(2)(c)(i);
  • vorsätzliche Angriffe auf eine Zivilbevölkerung als Kriegsverbrechen, Art. 8(2)(b)(i) oder 8(2)(e)(i);
  • Ausrottung und/oder vorsätzliche Tötung, Art. 7(1)(b) und 7(1)(a), einschließlich im Zusammenhang mit Tod verursacht durch Aushungern, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit
  • Verfolgung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Art. 7(1)(h);
  • Andere unmenschliche Handlungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Art. 7(1)(k)

Die obigen Verbrechen gegen die Menschlichkeit seien als "Teil eines umfassenden und systematischen Angriffs gegen die palästinensische Zivilbevölkerung entsprechend staatlicher Strategie" begangen worden. Nach der Einschätzung der Antragsteller dauern diese Verbrechen bis heute an. Die gesammelten Beweise zeigten, dass Israel die Zivilbevölkerung in allen Teilen Gazas vorsätzlich und systematisch von für das menschliche Überleben notwendigen Gütern abgeschnitten habe. Dies sei durch die Auferlegung einer totalen Blockade über Gaza erreicht worden, welche die komplette Schießung der drei Landzugänge Rafah, Kerem Schalom und Erez ab dem 8. Oktober 2023 für über weite Zeiträume kombiniert mit der willkürlichen Beschränkung der Übergabe wesentlicher Lieferungen - einschließlich Nahrung und Medikamente - durch diese Übergänge nach deren Öffnung beinhalte. Die Blockade habe weiterhin die Kappung der grenzüberschreitenden Wasserleitungen von Israel nach Gaza - Gazas Hauptquelle sauberen Wassers - beginnend ab 9. Oktober 2023 beinhaltet, die Kappung und Behinderung elektrischen Stroms mindestens vom 8. Oktober 2023 bis heute und die Behinderung von Hilfslieferungen von Hilfsorganisationen, dies zusammen mit anderen Angriffen gegen Zivilisten, einschließlich von Angriffen auf auf Nahrung Wartende und humanitäre Helfer. Diese Handlungen seien begangen worden als Teil eines gemeinsamen Plans, Aushungern als Methode der Kriegsführung sowie andere Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung zu nutzen um die Ziele "Hamas zu eliminieren", "die Rückkehr der Geiseln zu sichern" und
"die Zivilbevölkerung von Gaza kollektiv zu bestrafen, welche die Täter als Bedrohung für Israel ansahen", zu erreichen.

Mit den obigen Anschuldigungen bleibt der britische Chefankläger des IStGH selbst hinter der Feststellung des Internationalen Gerichtshofs zurück, dass Israel "plausibler weise" Völkermord begangen hat. Dennoch werden Israel und seine Unterstützer sich darauf einstellen müssen, dass die 124 Mitgliedstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs, darunter Deutschland, bald gezwungen sein werden, Haftbefehle gegen die israelische Führung auszuführen und dass Drohungen gegen den Strafgerichtshof wegen dieser Anschuldigungen nach Art. 70 Abs. 1 Buchst. d) und e) des IStGH-Statuts als "Einschüchterung" oder "Vergeltung" gegenüber "Bediensteten des Gerichtshofs" ebenfalls geahndet werden.





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