§ 116b SGB V: Länder lassen vertragsärztliche Versorgungssituation außer Acht

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Die Situation um die Zulassung von Krankenhäusern zur ambulanten Behandlung nach § 116b SGB V spitzt sich derzeit zu. In mehreren Bundesländern sind bereits Bescheide ergangen, die sich ohne Rücksicht auf die vertragsärztliche Versorgungssituation über die existenziellen wirtschaftlichen Interessen betroffener Vertragsärzte hinwegsetzen. Entsprechend mehren sich die Stimmen, die konkurrierenden Vertragsärzten auch mit Blick auf das Grundrecht der Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG so genannten Drittrechtsschutz gegen den nicht zu rechtfertigenden Vorrang der Krankenhäuser auf dem ansonsten strikt regulierten ambulanten Sektor einräumen.

Interessant und lesenswert ist etwa der Beitrag zur Situation in Niedersachsen von Eva-Maria Wehebrink "Land lässt Versorgungssituation außer Acht", in: Niedersächsisches Ärzteblatt, Heft 3/2009, S. 69 (KVN-Teil).

Hierzu erlaubt sich der Verfasser, der seit einiger Zeit mit dem Thema befasst ist, auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung nachfolgende Ergänzungen und Hinweise für die Praxis:

Der Beitrag von Wehebrink, wonach betroffene Vertragsärzte zur Anfechtung von Bestimmungsbescheiden (nicht nur) des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit nach § 116b SGB V berechtigt sind, ist sehr zu begrüßen. Die Anfechtungsberechtigung des betroffenen Vertragsarztes folgt nach richtiger Ansicht in der Tat schon aus der gesetzlichen Pflicht der Behörde, die vertragsärztliche Versorgungssituation zu "berücksichtigen". Die Autorin nimmt hierbei zu Recht auch die grundrechtliche Dimension der Regelung in den Blick, auf die der Verfasser zusammen mit Kirchberg (DÄ 2008, Heft 25, Seite A 1368) hingewiesen hat. Wenn der Gesetzgeber innerhalb eines bislang wohlausgewogenen Marktgefüges bestimmte Marktteilnehmer einseitig und ungleich von im Übrigen unverändert strikter Regulierung befreit (keine Bedarfsplanung und unbeschränkte Vergütung), verschärft er wegen hieraus folgender Konkurrenzverwerfungen die Regulierung für die weiterhin dort Verhafteten und greift damit mittelbar in deren Berufsfreiheit ein. Vor diesem Hintergrund ist die vom Gesetzgeber in § 116b SGB V eingefügte Berücksichtigungsklausel grundrechtsfreundlich auszulegen. Die für die Zulassung der Krankenhäuser zur ambulanten Behandlung zuständige Behörde hat dafür zu sorgen, dass Vertragsärzte keiner unfairen Konkurrenz ausgesetzt werden. Sie hat deren existenziellen beruflichen Interessen nicht nur in einem engen und unverbindlich anmutenden Sinne zu "berücksichtigen", sondern auf sie "Rücksicht zu nehmen".

Die von der Autorin hierzu in Bezug genommene Rechtsprechung des BSG zum (gegenüber den Worten "zu beachten") abgeschwächten Verbindlichkeitsgrad des gesetzlichen Wortlauts "zu berücksichtigen" im Zusammenhang mit Veränderungen der Gesamtvergütung oder auch mit der früheren Großgeräteplanung (BSG, Urteil vom 10.05.2000, Az.: B 6 KA 19/99 R, mwN) dürfte allerdings nach dem oben Gesagten von den an das "Berücksichtigungsgebot" in § 116b SGB V im Lichte des Art. 12 GG zu stellenden Anforderungen noch übertroffen werden. Es erscheint zwar als notwendige, nicht jedoch als hinreichende Bedingung, dass die Behörde (lediglich) verpflichtet sein soll,

- die betreffenden Gesichtspunkte zur Versorgungssituation in Betracht zu ziehen und

- sich sachlich mit ihnen auseinanderzusetzen,

- jedoch sodann nach pflichtgemäßer Abwägung (ohne Weiteres) davon abweichen darf.

Die Pflicht zur (besser so bezeichneten) Rücksichtnahme gerade auch auf die existenziellen wirtschaftlichen Interessen der betroffenen Vertragsärzte impliziert vielmehr zumindest

- die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens in dem Sinne,

- dass die Behörde erforderlichenfalls auch Anträge der Krankenhäuser nach § 116b SGB zurückweisen oder jedenfalls

- so einschränken muss, dass die Existenz betroffener Vertragsärzte nicht gefährdet wird.

All dies wiederum ohne eine ähnlich differenzierte Bedarfsprüfung leisten zu wollen, wie sie auch bei Ermächtigungen erfolgt, dürfte der Quadratur des Kreises gleichkommen. Außerdem müssen Mechanismen des Ermächtigungsrechts wie Befristung und Überweisungsbindungen herangezogen werden, um einen ungerechtfertigten Vorrang der Krankenhäuser, den ein unbeschränkter § 116b SGB V entgegen der Rede von der "gleichrangigen Konkurrenz" (so die DKG-Position) in Wirklichkeit bedeutet, wieder zu begrenzen.

Die so grob skizzierte "verfassungskonforme Auslegung" mithilfe des Berücksichtigungsgebots könnte allerdings auch scheitern, da die Gesetzesbegründung zu § 116b SGB V eine Bedarfsprüfung bekanntlich explizit ausschließen möchte. In diesem Fall bliebe wegen der grundrechtlichen Relevanz einer Marktöffnung mit unzumutbaren Auswirkungen für die betroffenen Vertragsärzte nur übrig, die unheilbare Verfassungswidrigkeit des § 116b SGB V zu diagnostizieren.

Den im Falle des verfassungsrechtlichen Bestands der Regelung an das Berücksichtigungsgebot zu stellenden Anforderungen ist das Land Niedersachsen in der Tat schon im Ansatz nicht gerecht geworden. Der Autorin ist darin Recht zu geben, dass nicht einmal die oben erwähnten Mindestmaßgaben des BSG erfüllt sind, wenn keinerlei sachliche Auseinandersetzung mit der Stellungnahme der KVN respektive mit der vertragsärztlichen Versorgungssituation erfolgt.

Ähnlich "rücksichtslos" ist übrigens das Land Sachsen verfahren, wo bereits konfliktträchtige Bescheide gemäß § 116b SGB V aus den Schwerpunktbereichen Onkologie und Rheumatologie vorliegen. Einwände der KVS wurden dort übergangen. Betroffene Vertragsärzte haben daher Klage gegen diese Bescheide erhoben. Eine Richtervorlage zum Bundesverfassungsgericht kommt in Betracht. Die Klagen haben ohne Zweifel aufschiebende Wirkung. Allerdings ist mit Eilverfahren vor den Sozialgerichten zu rechnen, in welchen die Krankenhausträger versuchen werden, die sofortige Vollziehbarkeit der Bescheide zu erreichen.

Schließlich sei noch als besseres Beispiel die Verwaltungspraxis des Landes Baden-Württemberg erwähnt. Hier ist das Verwaltungsverfahren im Rahmen der Bestimmung nach § 116b SGB V zweistufig. Zunächst wird auf der ersten Stufe die erbetene Stellungnahme der im Krankenhausausschuss des Landes vertretenen KVBW seitens der für die Bestimmungsbescheide zuständigen Regierungspräsidien eingehend geprüft und gewürdigt. Weiterhin werden noch vor Erlass der Bescheide die von der KVBW benannten betroffenen Vertragsärzte unmittelbar angehört. Sie werden auf ihren Wunsch hin schon jetzt förmlich zum Verfahren hinzugezogen und erhalten die hiermit verbundenen Rechte wie Akteneinsicht et cetera. Sodann können auf der zweiten Stufe je nach Inhalt der Bescheide entweder die betroffenen Vertragsärzte oder die unterlegenen Krankenhausträger Widerspruch einlegen, bevor der Widerspruchsbescheid einer Klage zu den Sozialgerichten in der Hauptsache zugänglich ist. Bislang liegen noch keine Bestimmungsbescheide in konfliktträchtigen Bereichen wie etwa Onkologie oder Kinderkardiologie vor.

Die Sozialgerichte wiederum werden auch die sich stellenden verfassungsrechtlichen Fragen zu prüfen haben. Dies hat ihnen und den (ohne Erfolg unmittelbar gegen § 116b SGB V klagenden) Vertragsärzten auch das Bundesverfassungsgericht in seinen Beschlüssen vom 31. Juli 2008 (Az.: 1 BvR 839/08 - betr. Kinderkardiologen - und 1 BvR 840/08 - betr. Onkologen) ins Stammbuch geschrieben:

"Den Fachgerichten obliegt indes vorrangig die Klärung, ob und in welchem Ausmaß ein Beschwerdeführer durch eine beanstandete Regelung oder Maßnahme in seinen Rechten betroffen ist und ob die Regelung mit der Verfassung vereinbar ist (vgl. BVerfGE 74, 69 <74>)".

Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten erscheint nach all dem nicht aussichtslos, muss aber von den Vertragsärzten selbst beschritten werden. Die Sozialgerichte werden "grundrechtliche Sensibilität" für das komplexe Thema aufbringen müssen, was ihnen erfahrungsgemäß eher widerstrebt. Abschließend wäre möglicherweise wieder das Bundesverfassungsgericht gefordert.

Holger Barth
Rechtsanwalt
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