Alle Jahre wieder – die Räum- und Streupflicht: Wen trifft die Räumpflicht?

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Auf öffentlichen Wegen und Straßen trifft zunächst Gemeinden die Räum- und Streupflicht. Da es in praktischer Hinsicht völlig unmöglich ist, dass durch die Gemeinde alle Straßen und Wege gleichzeitig um 7:00 Uhr morgens geräumt werden, darf und muss durch die Gemeinde eine Priorisierung vorgenommen werden. Die Gemeinde hat vor diesem Hintergrund zunächst die Hauptverkehrsstraßen zu räumen und möglichst eis- und schneefrei zu halten. Dies wird hingegen nicht bei Nebenstraßen und öffentlichen Parkplätzen erwartet. Hier kann die Gemeinde den Winterdienst entsprechend einschränken.

So lehnte das Landgericht Coburg (Urteil vom 11.05.2011 – Az.: 13 O 678/10) einen auf Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gestützten Schadenersatzanspruch einer Klägerin ab, welche auf dem Weg zu ihrem Auto auf dem Parkplatz des städtischen Schwimmbads stürzte und sich das Handgelenk brach. Das Landgericht Coburg sah die Streupflicht durch die Gemeinde nicht verletzt, zumal die Klägerin einen zum Schwimmbad führenden Gehweg neben der Parkplatzfläche hätte benutzen können. Dieser war geräumt und gestreut. Zudem stellte das Gericht klar, dass sich die Räum- und Streupflicht einer Gemeinde nach der Art und der Wichtigkeit des Verkehrsweges richte und es dabei auch auf die Leistungsfähigkeit der Stadt ankomme.

Zu einer weitestgehenden Absicherung der Räum- und Streupflicht auf öffentlichen Gehwegen ist es gängige Praxis, dass die Gemeinden ihre Verkehrssicherungspflicht per Satzung oder Verordnung auf Eigentümer übertragen, deren private Grundstücke an die Straßen der Gemeinde grenzen. Handelt es sich hierbei um vermietete Grundstücke, so überträgt der Eigentümer die Räum- und Streupflicht zumeist wiederum auf einen oder mehrere Mieter.

Hierbei ist es wichtig, dass Vermieter darauf achten, diese Pflicht schriftlich zu fixieren – entweder im Mietvertrag oder in einer Hausordnung. Zudem kann sich der Vermieter durch die Übertragung der Räum- und Streupflicht auf die Mieter nicht vollständig von seiner Verantwortung befreien. Daher ist der Vermieter verpflichtet, regelmäßig zu kontrollieren, ob der oder die Mieter der ihnen übertragenen Räum- und Streupflicht ordnungsgemäß nachkommen. Kommt es zu einem glättebedingten Unfall, so haftet der Vermieter unter Umständen gemäß § 831 BGB.

In welchem Umfang müssen Wege geräumt werden?

Generell müssen auf einem Grundstück die wichtigsten zum Grundstück gehörenden Zugänge begehbar sein. Dazu gehört insbesondere der Hauseingang. Bei Grundstücken mit mehreren Wohneinheiten zählt hierzu auch der Zugang zu Garagen oder Mülltonnen.

Auf Bürgersteigen muss ein breiter Streifen, der es zwei Personen ermöglicht, ungehindert aneinander vorbeizugehen, geräumt werden. Wie breit der Streifen konkret zu sein hat, richtet sich in der Regel nach dem jeweiligen Landesgesetz oder der Ortssatzung. So ist abhängig von der Kategorisierung des Weges und dessen Frequentierung in Berlin eine Mindestbreite von 1 bis 1,5 Metern vorgesehen (§ 3 Abs. 1 S. 4 Berliner Straßenreinigungsgesetz). Dabei muss in zumutbarer Weise geräumt werden. Dies bedeutet, dass von dem Verpflichteten nicht erwartet werden kann, dass jede noch so kleinste Eisfläche entfernt wird. Dies hat auch den Passanten bewusst zu sein, sodass diese jederzeit mit einer glatten Stelle rechnen müssen und daher zu einer besonderen Achtsamkeit verpflichtet sind.

Wann muss geräumt und gestreut werden?

Auskunft über Räum- und Streuzeiten geben meistens entweder das jeweilige Landesgesetz oder die Ortssatzung. In der Regel besteht die Streupflicht zwischen 7:00 Uhr morgens und 20:00 Uhr am Abend wochentags, sowie an Sonn- und Feiertagen zwischen 8:00 Uhr (spätestens 9:00 Uhr) und 20:00 Uhr. Von dieser Regel gibt es jedoch Ausnahmen. So müssen Orte, die erwartungsgemäß auch vor 7:00 Uhr am Morgen oder nach 20:00 Uhr am Abend aufgesucht werden, auch zu den entsprechenden Öffnungszeiten sicher passierbar sein.

So entschied das Oberlandesgericht Naumburg (Urteil vom 10.05.2013 – Az.: 10 U 54/12), dass einem Gastwirt eine über die Gemeindesatzung hinausgehende Räum- und Streupflicht während seiner Öffnungszeiten trifft (so bereits der Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.01.1987 – Az.: VI ZR 114/86). Zudem verwies das Oberlandesgericht Naumburg darauf, dass der Gastwirt damit zu rechnen habe, dass Gäste wegen des Genusses alkoholischer Getränke in ihrer Gehsicherheit eingeschränkt sind. Daher könne es unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände erforderlich sein, dass seitens des Gastwirtes im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sehr viel häufiger gestreut werden müsse.

Weiterhin muss die Streupflicht gegebenenfalls bereits vorbeugend ausgeübt werden. So entschied das Oberlandesgericht Frankfurt (Urteil vom – Az.: 21 U 38/03), dass bereits vorbeugend zu streuen ist, wenn unter Berücksichtigung der jeweiligen Wetterlage mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass sich in der Nacht Glatteis bildet.

Schneit es so stark, dass eine Räumen und Streuen sinn- und zwecklos erscheint, wird vom Räumpflichtigen meist erst nach Ende des Schneefalls eine Räumaktion erwartet (Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.11.2984 – Az.: VI ZR 49/83). Tritt hingegen eine schützende Wirkung durch das Räumen und/oder Streuen ein, auch wenn diese nur kurze Zeit anhält, so darf der Verpflichtete nicht bis zum Ende des Schneefalls oder Regens abwarten, sondern muss vielmehr in regelmäßigen, zumutbaren Abständen seiner Verpflichtung nachkommen.

Keine Räum- und Streupflicht während einer Krankheit?

Ist der Verpflichtete aufgrund Arbeitszeiten, Urlaub oder Krankheit nicht in der Lage seiner Räum- und Streupflicht nachzukommen, entbindet ihn dies nicht von seiner Verpflichtung. Der Verpflichtete muss für diese Zeiten einen Ersatz beschaffen, der seine Räumpflicht übernimmt.

Welche Ansprüche haben Passanten nach einem glättebedingten Sturz?

Kommt der Verpflichtete seiner Räum- und Streupflicht nicht ordnungsgemäß nach und kommt es hierdurch zu einem Sturz eines Passanten, so hat dieser einen Anspruch auf Schadenersatz. Der Schadenersatzanspruch kann jedoch gemindert werden, wenn den Passanten ein Mitverschulden an seinem Sturz trifft. So haben Passanten bei Glätte besonders achtsam zu sein, da sie damit rechnen müssen, dass nicht jede noch so kleine Eisfläche entfernt wurde.


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