Amtsrichter aus Herford spricht Raser frei

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Seit einigen Tagen irrlichtert eine Meldung durch Printpresse und Boulevard-Magazine. Dies ist jedoch kein Freibrief für den Tritt aufs Gas, sondern ein Sturm im Wasserglas.

Mehr als 40 mutmaßliche „Raser" wurden laut Pressemeldungen in der letzten Woche vor dem Herforder Amtsgericht freigesprochen und müssen deshalb ihren Bußgeldbescheid vorerst nicht bezahlen. Der zuständige Richter, der seit 30 Jahren seine Urteile fälle, schwenkt jetzt um. Es müsse dagegen vorgegangen werden, dass wohl hauptsächlich aus „Profitgier" Tempo gemessen und geblitzt werde, zumal dies aufgrund dünner rechtlicher Grundlage eines Antiterrorgesetzes erfolge. Diese Argumentation ist jedoch nicht von der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes gedeckt und bleibt einer Überprüfung durch die Staatsanwaltschaft Bielefeld mittels Rechtsbeschwerde vorbehalten. Wir haben in Deutschland kein sog. Präzedenzrecht, sondern die Entscheidung eines Richters ist eine individuelle Entscheidung, die keinen Aussetzungsgrund für andere Verfahren gewährt.

Der Eingriff in ein Recht des Bürgers erfordert grundsätzlich einen sog. Gesetzesvorbehalt. Bußgeldverfahren richten sich vorliegend z.B. nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz, Straßenverkehrsgesetz oder der Straßenverkehrsordnung. Für das Bußgeldverfahren gelten mit wenigen Ausnahmen die Vorschriften der Strafprozessordnung, des Gerichtsverfassungsgesetz und des Jugendgerichtsgesetzes.

Man muss akzeptieren, dass Tempolimits und andere Verkehrsregeln grundsätzlich einzuhalten sind und von den zuständigen Stellen nach pflichtgemäßem Ermessen festgelegt werden. Es liegt somit bei Verstoß grundsätzlich eine ahndungsfähige Rechtsverletzung vor. Die zulässige einzelne Rechtauffassung eines Richters schafft noch keine Rechtslage. Der Richter ist unabhängig und nur Recht und Gesetz unterworfen. Das schafft einerseits den Raum für eine gerechte Entscheidung im Einzelfall, andererseits aber auch die Möglichkeit einer angemessenen Korrektur in der nächsten Instanz.

Zu dem dargestellten Thema hat das Oberlandesgericht Thüringen entschieden: Ein Beweisverwertungsverbot für Videoaufzeichnung besteht nur bei verdachtsunabhängiger Aufnahme (Beschluss vom 06.01.2010, Az.: 1 Ss 291/09, Vorinstanz: AG Jena, Urteil vom 21.08.2009, Az.: 598 Js 6397/09 - 1 OWi). Die Entscheidung ist rechtskräftig. Mit Beschluss vom 11.08.2009 (Az.: 2 BvR 941/08) hat das Bundesverfassungsgericht eine Verkehrsüberwachung per Videoaufzeichnung für unzulässig erklärt, da diese gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verstoße. Der Bußgeldsenat des OLG Thüringen hatte über die Rechtsbeschwerde eines Betroffenen zu entscheiden, der wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 51 km/h außerorts zu einer Geldbuße von 150,00 EUR und einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt worden war. Die Rechtsbeschwerde war hauptsächlich auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes gestützt worden. Dieser Argumentation ist das OLG Thüringen nicht gefolgt, denn Videoaufzeichnungen oder Lichtbildaufnahmen seien nur dann verfassungswidrig erhobene und unzulässige Beweismittel, wenn kein konkreter Anfangsverdacht für einen Verkehrsverstoß gegeben sei. Den Fall verdachtsabhängiger Aufzeichnungen oder Aufnahmen habe das Bundesverfassungsgericht gerade nicht behandelt, sondern sich nur mit dem Fall befasst, dass sämtliche Fahrzeuge verdachtsunabhängig gefilmt und die Aufzeichnungen anschließend auf Verkehrsverstöße ausgewertet worden seien. In dem vom OLG Thüringen entschiedenen Fall war die Geschwindigkeitsüberschreitung zunächst maschinell festgestellt worden. Erst dann wurde die Lichtbildaufnahme ausgelöst und eine Zuordnung von Fahrzeug und Fahrer ermöglicht. Somit läge kein verdachtsunabhängiger Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung vor.

Im Beschluss vom 5. Juli 2010 (Az: 2 BvR 759/10) stellt das Bundesverfassungsgericht klar: Es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Gerichte die Vorschrift des § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO als Rechtsgrundlage für die Anfertigung von Bildaufnahmen zum Beweis von Verkehrsverstößen heranzögen. Die Norm erlaube die Anfertigung von Bildaufnahmen ohne Wissen des Betroffenen, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise weniger Erfolg versprechend oder erschwert wäre. Auch die Auslegung und Anwendung dieser Norm durch die Fachgerichte zeige keine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts. Eine Bildaufnahme, bei welcher Fahrer und Kennzeichen seines Fahrzeugs identifizierbar sind, stelle zwar einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Der Zweck derartiger Maßnahmen der Verkehrsüberwachung, nämlich die Aufrechterhaltung der Sicherheit des Straßenverkehrs, rechtfertige jedoch eine Beschränkung der grundrechtlichen Freiheiten. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es sich nicht um verdeckte Datenerhebungen handele, sondern für jedermann wahrnehmbare Vorgänge auf öffentlichen Straßen aufgezeichnet würden. Die Maßnahme ziele zudem nicht auf Unbeteiligte, sondern ausschließlich auf Fahrzeugführer, die selbst Anlass zur Anfertigung von Bildaufnahmen gegeben haben, da der Verdacht eines bußgeldbewehrten Verkehrsverstoßes bestehe.

Der Beschwerdeführer wurde vom Amtsgericht wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße verurteilt. Die Verurteilung stützt sich auf das Ergebnis der Geschwindigkeitsmessung mittels einer geeichten Messeinrichtung und die im Rahmen des Messverfahrens gefertigten Lichtbilder, auf denen der Beschwerdeführer zu erkennen ist. Das Oberlandesgericht hatte dessen Rechtsbeschwerde als unbegründet verworfen.

Die Kontrolle staatlicher Maßnahmen und die Überprüfung ihrer Intentionen sind absolut notwendig. Das Vorgehen gegen Verwarnungsgelder und Bußgeldbescheide bleibt jedoch immer der Prüfung im Einzelfall vorbehalten, die Entscheidungen der jeweiligen Gericht können voneinander abweichen. Wichtig ist, dass der Mandant hier fundiert beraten und nicht mit Meinungsmache in den Medien auf die Barrikaden getrieben wird.

Rechtsanwalt Holger Hesterberg

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