Arzthaftungsrecht: Müssen Arztbriefe für Patienten verständlich sein?

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Ausgangsfall: OLG München 19.09.2013 – 1 U 453/13

Die Hausärztin stellte bei dem, nunmehr verstorbenen, Patienten im März eine Schwellung an der linken Halsseite unterhalb der Unterkieferspeicheldrüse fest und veranlasste eine radiologische Untersuchung. Im Arztbrief, der an die Hausärztin gerichtet war, führte der Radiologe aus, dass der Befund von der Lage und der morphologischen Struktur her am ehesten einer lateralen Halszyste entspreche. Die zentral erhöhte Dichte sei z. B. durch eine Einblutung erklärbar und es bestehe kein Hinweis für Malignität und Abszedierung. Eine weitere radiologische Untersuchung ergab etwa ein Jahr später, dass die ehemalige Halszyste mittlerweile eine solide Struktur aufwies, sodass trotz gleichgebliebener Größe im, wieder an die Hausärztin gerichteten, Arztbrief, eine Exstirpation empfohlen wurde. Trotz nachdrücklicher Anmahnung zur Entfernung der Zyste durch die Hausärztin hat der Patient den Termin neun Monate aufgeschoben, sodass der schließlich beauftragte HNO-Arzt einen tumorösen Prozess mit bereits eingesetzter Metastasierung feststellte, an dessen Folgen der Patient kurze Zeit darauf verstarb.

Die Ehefrau des verstorbenen Patienten macht geltend, dass die Radiologin in ihrem Arztbrief an die Hausärztin nicht ausreichend deutlich auf die Notwendigkeit der unverzüglichen Entfernung der Zyste und deren mögliche Malignität hingewiesen hätte, sodass ihrem Ehemann die Ernsthaftigkeit der Situation nicht ersichtlich gewesen sei. Bei rechtzeitiger Entfernung der Zyste sei der Tod des Patienten vermeidbar gewesen.

Das Landgericht wies die Klage ab.

Rechtslage:

Das OLG München bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung, denn als Maßstab der Beurteilung der Verständlichkeit eines Arztbriefs komme es lediglich auf den Verständnishorizont des ärztlichen Adressaten an.

Der OLG führt dazu aus: „Das Schreiben war an die Hausärztin des Patienten gerichtet. Der Beklagten zu 2 oblag die radiologische Untersuchung und die radiologische Diagnostik; die Eröffnung der Diagnose und die Anordnung weiterer Untersuchungen und Befunde gehörten nicht zu dem Aufgabenbereich der Beklagten zu 2 , sondern oblagen der Hausärztin. Da das Schreiben der Beklagten zu 2 auch nicht an den Ehemann der Klägerin, sondern an die Hausärztin gerichtet war, ist darauf abzustellen, ob die Beklagte zu 2 gegenüber der Hausärztin die Diagnose und die sich aus radiologischer Sicht ergebenden Konsequenzen hinreichend klar und verständlich geschildert hat. Auf das Begriffsverständnis des Patienten kann nicht abgestellt werden“.

Aus der Dokumentation der Hausärztin werde deutlich, dass diese aus dem radiologischen Befund folgerichtig auf die Möglichkeit einer malignen Raumforderung geschlossen und aus diesem Grund dem Patienten dringend die Entfernung der Zyste angeraten habe. „Es obliegt nicht mehr der Verantwortung der Beklagten, dass der Patient – aus welchen Gründen auch immer – dieser Empfehlung nicht gefolgt ist.“, führt das OLG aus.

Eine Haftung scheide für den tragischen Krankheitsverlauf daher insgesamt aus.

Kommentar:

Arztbriefe müssen für den jeweiligen Adressaten verständlich sein, nicht notwendigerweise für den Patienten, wenn dieser nicht auch Adressat ist. Für die Frage des Vorliegens eines Diagnose- bzw. Behandlungsfehlers ist daher, bei arbeitsteiligem Zusammenarbeiten mehrerer Ärzte, danach zu fragen, ob der betreffende Arzt die an ihn adressierten Ausführungen im Arztbrief richtig verstanden und de lege artis umgesetzt hat. Vgl. dazu: Ziegler, „Fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker – Zum Verständnis medizinischer Schriftstücke“, in: Versicherungsrecht 2002, Heft 13, S. 541 ff.).

Eric Winter, Volljurist


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