BGH zum Ausfallhonorar während der Corona-Pandemie

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Der Bundesgerichtshof hatte einen Fall zum Ausfallhonorar im Zusammenhang mit den einer Corona-Verordnung zu entscheiden. 


Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.05.2022 - Az.: III ZR 78/21



Eine Mutter registrierte in einem zeitlichen Abstand von 3,5 Monaten zwei ihrer vier minderjährigen Kinder in einer Praxis für Ergotherapie und Neurofeedback Bei der Anmeldung füllte sie für jedes Kind ein Anmeldeformular aus, das unter der Überschrift "Wichtige Informationen" eine spezielle Klausel beinhaltete.

"Können vereinbarte Termine nicht eingehalten werden, müssen diese mindestens 24 Stunden vorher abgesagt werden. Andernfalls wird Ihnen unabhängig von einer Begründung des kurzfristigen Ausfalls gemäß § 293 ff. BGB (gesetzliche Regelungen zum Annahmeverzug) eine Ausfallpauschale in Höhe von 25,00 Euro privat in Rechnung gestellt. Entsprechendes gilt für vereinbarte, aber nicht abgesagte Termine, die nicht eingehalten werden.

Mit Ihrer Unterschrift erkennen Sie die Vereinbarungen an und erklären sich mit ihnen einverstanden."

Die Beklagte unterschrieb dieses Formular. Die Behandlung der Kinder war auf die Förderung der Konzentrationsfähigkeit ausgelegt und es war von vornherein klar, dass mehrere Behandlungstermine stattfinden sollten.

In der Folgezeit vereinbarte die Mutter für die beiden Kinder jeweils einen Behandlungstermin am 23.03.2020. In der Nacht auf den 23.03.2020 erkrankte eines der anderen Kinder. Das Kind klagte über Hals- und Kopfschmerzen und Fieber. Die Mutter konnte ihr erkranktes Kind nicht anderweitig betreuen lassen und rief am 23.03.2020 um 07.30 in der Praxis an, um die beiden Termine für die anderen Kinder abzusagen. Anschließend rief sie in ihrer Hausarztpraxis an. Dort riet man ihr davon ab, mit ihrem erkrankten Kind in die Praxis zu kommen und zunächst das Kind zu beobachten.

Für die beiden abgesagten Termine verlangt die Praxisbetreiberin nun mit Rechnung vom 23.03.2020 als Klägerin jeweils eine Ausfallgebühr in Höhe von 25,00 € von der Mutter als Beklagte.

Einen Tag vorher, am 22. März 2020 hatte das Land Nordrhein-Westfalen auf der Grundlage der §§ 32, 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) die "Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2" (GV. NRW S. 177a) erlassen, die am 23. März 2020 in Kraft und am 20. April 2020 außer Kraft trat. In § 7 wurde unter anderem bestimmt:

"(3) Dienstleistungen und Handwerksleistungen, bei denen ein Mindestabstand von 1,5 Metern zum Kunden nicht eingehalten werden kann (insbesondere von Friseuren, Nagelstudios, Tätowierern, Massagesalons), sind untersagt. Therapeutische Berufsausübungen, insbesondere von Physio- und Ergotherapeuten, bleiben gestattet, soweit die medizinische Notwendigkeit der Behandlung durch ärztliches Attest nachgewiesen wird und strenge Schutzmaßnahmen vor Infektionen getroffen werden. Das gleiche gilt für gesundheitsorientierte Handwerksleistungen (Hörgeräteakustiker, Optiker, orthopädische Schumacher etc.), die zur Versorgung der betreffenden Person dringend geboten sind."

Nachdem das Amtsgericht der Klage stattgegeben und das Landgericht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen hat, legte die Beklagte Revision zum Bundesgerichtshof ein. Die Revision hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage. Die Mutter musste das Ausfallhonorar nicht zahlen.

Der BGH stellte zunächst fest, dass die Mutter den Behandlungsvertrag mit der Praxis gemäß § 328 Abs. 1 BGB zu Gunsten der Kinder im eigenen Namen abgeschlossen hat. Dabei stellte der BGH darauf ab, dass die Kinder noch relativ klein waren (zwischen 7 und 9 Jahren).

Der BGH stellte weiter fest, dass der Klägerin das Ausfallhonorar trotz der geschlossenen Vereinbarung nicht zustand. Denn dafür müsste die Beklagte in Annahmeverzug gem. § 293 BGB geraten sein. Die Mutter müsste also die Annahme der vereinbarten Leistung, die die Praxis auch angeboten hat, verweigert haben. Das setzt voraus, dass die Klägerin die Kinder an diesem Tag überhaupt hätte behandeln können und dürfen. § 297 BGB bestimmt, dass der Gläubiger (hier die Mutter) nicht in Verzug kommt, wenn der Schuldner (hier die Praxisbetreiberin) zur Zeit des Angebots oder im Falle des § 297 BGB zu der für die Handlung des Gläubigers bestimmten Zeit außerstande ist, die Leistung zu bewirken.

Entsprechend der seinerzeit geltenden Coronaschutzverordnung durften therapeutische Maßnahmen, insbesondere von Physio- und Ergotherapeuten, nur vorübergehend stattfinden, wenn die ärztliche Notwendigkeit mittels Attest nachgewiesen und strenge Schutzmaßnahmen gegen Infektionen getroffen wurden. Diese Voraussetzungen waren nicht gegeben. Es lag kein aktuelles ärztliches Attest oder eine entsprechende ärztliche Verordnung vor, die die medizinische Notwendigkeit der Behandlung nach dem Inkrafttreten der Coronaschutzverordnung bescheinigte. Das Gericht kam so zu dem Ergebnis, dass die medizinische Behandlung der Kinder am 23.03.2020 nicht unbedingt medizinisch notwendig war.


mehr zum Thema hier: "Termin abgesagt, Patient kommt nicht: Ausfallhonorar oder Schadensersatz?"


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Foto(s): www.istockphoto.com - JillianSuzanne; DALL·E 2024-03-25


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