BGH: „Zuparken“ einer Radarfalle ist weder eine Nötigung noch Störung öffentlicher Betriebe

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Die Unbrauchbarmachung einer dem Betrieb dienenden Sache gemäß § 316b Abs. 1 Nr. 3 StGB erfordert für ein tatbestandsmäßiges Verhalten eine Einwirkung auf die Sachsubstanz. Das hat der BGH im Zusammenhang mit dem Zuparken einer von der Ordnungsbehörde aufgestellten „Radarfalle" entschieden.

Im vorliegenden Fall hatte der Angeklagte eine Radarfalle zugeparkt. Der Gemeindevollzugsbeamte B. als zuständiger Messbeamter der Stadt führte eine Geschwindigkeitsmessung durch. Dabei wurde der Angeklagte als Führer eines Kastenwagens, mit einer überhöhten Geschwindigkeit gemessen, was die Auslösung des aufgebauten Blitzgerätes sowie die Fertigung eines Lichtbildes zur Folge hatte. Aus Verärgerung über die von ihm bemerkte Geschwindigkeitsmessung stellte der Angeklagte den von ihm gesteuerten Kastenwagen anschließend direkt vor dem Sensor der Messanlage ab. Dem Angeklagten ging es hierbei nur darum, dass der o. g. Messbeamte keine weiteren Geschwindigkeitsmessungen mehr durchführen konnte. Danach entfernte er sich zu Fuß und suchte seine nahegelegene Wohnung auf. Der Messbeamte ermittelte daraufhin die Telefonnummer des Angeklagten und rief diesen auf dessen Mobiltelefon an. Nachdem der Angeklagte erkannt hatte, dass es sich bei dem Anrufer um den betreffenden Messbeamten handelte, beendete er umgehend das Gespräch. Mehrere Folgeanrufe blieben erfolglos. Daraufhin begab sich der Gemeindevollzugsbeamte zum Anwesen des Angeklagten und forderte ihn auf, den Kastenwagen wegzufahren, da er den Messbetrieb verhindere. Der Angeklagte gab hierauf lediglich zu verstehen, dass er jederzeit auch vor einer Messeinrichtung parken könne, da dort kein Parkverbot herrsche. Daraufhin holte der Gemeindevollzugsbeamte bei seinem Dienstvorgesetzten die Genehmigung zum Abschleppen des Kastenwagens ein. Auf die danach erfolgte mündliche Androhung des Abschleppens mit entsprechender Kostenfolge reagierte der Angeklagte nicht.

Der Gemeindevollzugsbeamte ging sodann zu seinem Messfahrzeug zurück und forderte telefonisch eine Abschleppfirma an. Noch während des Telefonats kam der Angeklagte mit einem Traktor und einem Zweiachsanhänger angefahren. Er stellte den Kastenwagen weg und parkte stattdessen den Traktor an dieser Stelle. Zudem senkte er den Frontlader des Fahrzeugs ab. Auch hierbei ging es dem Angeklagten darum, weitere Geschwindigkeitsmessungen durch den Messbeamten zu verhindern. Die an ihn gerichtete Aufforderung, den Traktor wegzustellen, ignorierte der Angeklagte und fuhr mit seinem Kastenwagen davon. Der inzwischen eingetroffene Abschleppunternehmer konnte den Traktor nicht abschleppen, da der Frontlader des Fahrzeugs herabgelassen war. Nachdem schließlich Polizeibeamte hinzugekommen waren, fuhr der Angeklagte den Traktor weg. Aufgrund des gesamten Geschehens konnte die Messstelle ca. eine Stunde lang nicht betrieben werden, was der Angeklagte auch beabsichtigte.

Nach Auffassung des Amtsgerichts sei deswegen der Tatbestand der Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 Alt. 1 StGB verwirklicht, weil der Angeklagte Gewalt angewendet habe, um den Messbeamten zum Unterlassen weiterer Messungen zu zwingen. Die Gewaltanwendung zur Durchsetzung des von ihm verfolgten Ziels sei auch verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB gewesen.

Das OLG Karlsruhe war der Auffassung, dass die Feststellungen des Amtsgerichts eine Verurteilung wegen Nötigung nicht tragen. weil durch sie nicht belegt sei, dass gegen den Messbeamten Gewalt im Sinne einer körperlichen Zwangswirkung ausgeübt worden sei. Vielmehr habe der Angeklagte mit seinem Vorgehen den Tatbestand der Störung öffentlicher Betriebe gemäß § 316b Abs. 1 Nr. 3 StGB verwirklicht. Es beabsichtigte daher, in entsprechender Anwendung des § 354 StPO den Schuldspruch dahingehend abzuändern, dass der Angeklagte der Störung öffentlicher Betriebe gemäß § 316b Abs. 1 Nr. 3 StGB schuldig ist, und im Übrigen die Revision des Angeklagten durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen. An der beabsichtigten Entscheidung sah sich das Oberlandesgericht Karlsruhe durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 3. März 1997 - 2 Ss 59/97 (NStZ 1997, 342) gehindert. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart liegt keine Störung des Betriebs einer der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit dienenden Einrichtung oder Anlage im Sinne des § 316b Abs. 1 Nr. 3 StGB vor, wenn eine Geschwindigkeitsmessanlage unbrauchbar gemacht (im dort zu entscheidenden Fall durch Beschmieren des Fotoobjektivs mit Senf bzw. einer cremeartigen weißen Masse) und dadurch die Ahndung von Verkehrsverstößen durch Verwarnungen oder Bußgeldbescheide unmöglich wird.

Das Oberlandesgericht Karlsruhe sah - ohne auf die vom Oberlandesgericht Stuttgart vorgenommene einengende Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit dienend" einzugehen - eine Geschwindigkeitsmessanlage als eine der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit dienende Anlage im Sinne des § 316b Abs. 1 Nr. 3 StGB an und hat deshalb die Sache gemäß § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Frage vorgelegt:

„Ist eine Geschwindigkeitsmessanlage eine eigenständige, der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienende Anlage im Sinne des § 316 b Abs. 1 Nr. 3 StGB?"

Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend dargelegt hat, fehlt es auf der Grundlage des vom Amtsgericht festgestellten und dem Vorlagebeschluss zugrunde liegenden Sachverhalts an einer dem Tatbestand des § 316b Abs. 1 Nr. 3 StGB unterfallenden Tathandlung des Angeklagten. Das vorlegende Oberlandesgericht kann daher mangels Tatbestandsmäßigkeit gemäß § 316b Abs. 1 StGB nicht von der Rechtsansicht des Oberlandesgerichts Stuttgart abweichen.

Der BGH hat sich sodann den Ausführungen des Generalbundesanwaltes angeschlossen.

§ 316b Abs. 1 StGB weist eine zweiaktige Struktur auf. Der Tatbestand setzt für den hier allein in Frage kommenden § 316b Abs. 1 Nr. 3 StGB eine Störung oder eine Verhinderung des Betriebs einer der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit dienenden Anlage voraus. Diese Störung oder Verhinderung muss ihre Ursache (siehe nur Fischer, StGB, 60. Aufl., § 316b Rn. 6) darin haben, dass eine dem Betrieb dienende Sache zerstört, beschädigt, beseitigt, verändert oder unbrauchbar gemacht oder - was hier ersichtlich von vornherein nicht in Frage kommt - die für den Betrieb bestimmte elektrische Kraft entzogen wird.

Hier kommt allenfalls das Merkmal des Unbrauchbarmachens einer dem Betrieb dienenden Sache, dem wie auch immer technisch gestalteten Messgerät, in Betracht, was aber entgegen der vom vorlegenden Oberlandesgericht vertretenen Auffassung ebenfalls ausscheidet.

Mit dem Parken seiner Fahrzeuge vor dem Sensor der Messeinheit hat der Angeklagte zwar weitere Messungen anderer Fahrzeuge verhindert, an einem direkten Einwirken auf die Sachsubstanz fehlte es aber. Dies erweist sich schon daraus, dass bereits ein leichtes Versetzen des Messfahrzeuges oder (je nach Gerät) auch nur der Messeinrichtung Messungen wieder möglich gemacht hätte. Insoweit unterscheidet sich der Sachverhalt auch von den Fallgestaltungen der Oberlandesgerichte Stuttgart (NStZ 1997, 342 f. - Beschmieren des Fotoobjektivs) und München (NJW 2006, 2132 f. - Überbelichtung des Fotofilms durch Blitzlichtreflexion), bei denen eine bloße Veränderung des Standorts - auch wenn dies praktisch nicht möglich gewesen wäre - nichts an der allerdings nur vorübergehenden Beeinträchtigung der Anlage selbst geändert hätte.

Der BGH war vorliegend nicht durch die Besonderheiten des Vorlageverfahrens gemäß § 121 Abs. 2 GVG daran gehindert, ungeachtet der auf den Anlagenbegriff des § 316b Abs. 1 Nr. 3 StGB beschränkten Vorlagefrage die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage abweichend von dem vorlegenden Oberlandesgericht zu beurteilen. Die grundsätzlich bestehende Bindung des Senats an die Auffassung des Oberlandesgerichts über das Vorliegen der Tathandlung gemäß § 316b Abs. 1 Nr. 3 StGB entfällt, weil dieses insoweit von einer rechtlich so nicht haltbaren Betrachtung ausgegangen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt in solchen Konstellationen die ansonsten bestehende Bindung an die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit durch das vorlegende Gericht nicht vor (BGH, Beschlüsse vom 22. August 1994 - 3 StR 209/84, NStZ 1985, 217, 218, und vom 14. Mai 1974 - 1 StR 366/73, BGHSt 25, 325, 328; siehe auch BGH, Beschluss vom 21. Februar 1968 - 2 StR 360/67, BGHSt 22, 94, 100 mwN). Das Oberlandesgericht hat bei der Beurteilung des Vorliegens der Tathandlung gemäß § 316b Abs. 1 Nr. 3 StGB im rechtlichen Ausgangspunkt nicht ausreichend deutlich zwischen dem Unbrauchbarmachen der dem Betrieb einer Anlage oder Einrichtung dienenden Sache und der dadurch verursachten Verhinderung oder Störung des Betriebs der Anlage oder Einrichtung unterschieden. Das trägt der Struktur des Tatbestandes nicht genügend Rechnung. Vor allem aber hat es in rechtlich nicht vertretbarer Weise bei dem Merkmal des Unbrauchbarmachens auf das Erfordernis einer Einwirkung auf die Sachsubstanz verzichtet. Die Notwendigkeit einer solchen Art der Einwirkung ergibt sich für das Unbrauchbarmachen jedoch eindeutig aus dem systematischen Vergleich mit den übrigen in dem Tatbestand genannten Tathandlungen (Zerstören, Beschädigen, Beseitigen, Verändern). Dementsprechend wird - wie aufgezeigt (III. 2.) - eine Sachsubstanzeinwirkung für ein tatbestandsmäßiges Verhalten vorausgesetzt.

(BGH, Urteil vom 15.04.2013 - 1 StR 469/13)


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