Darf der überlebende Ehegatte neu testieren, wenn der bindend eingesetzte Schlusserbe verstirbt?

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OLG München v. 03.11.2021 – 31 Wx 110/19

Sachverhalt

Die Eheleute errichteten 1965 einen Erbvertrag, in dem sie sich zunächst gegenseitig als Erben einsetzten, als Schlusserben den Sohn des Ehemannes. Beide Erbeinsetzungen waren wechselbezüglich, also bindend. Zunächst starb der Ehemann, anschließend starb der Sohn und hinterließ 2 Kinder. 

Danach errichtete die Ehefrau ein notarielles Testament, in dem sie die geschiedene Ehefrau eines der Kinder des Ehemannes als Alleinerbin einsetzte. 

Nach dem Tod der Ehefrau streiten die geschiedene Ehefrau und die Kinder des Ehemannes darum, wer Erbe geworden ist. 

Die geschiedene Ehefrau beruft sich auf das zuletzt errichtete Testament der Erblasserin. 

Die Kinder des Ehemannes gehen von einer Bindungswirkung des Erbvertrags von 1965 aus.

Entscheidungsgründe

Sowohl das Nachlassgericht, als auch in zweiter Instanz das OLG München, gaben der geschiedenen Ehefrau Recht. 

Zwar haben sich die Eheleute in dem Ehevertrag von 1965 bindend gegenseitig als Alleinerben und im Anschluss auch bindend den Sohn des Ehemannes als Schlusserben eingesetzt, so dass grundsätzlich gemäß § 2289 I S. 2 BGB eine Bindung des überlebenden Ehegatten an die getroffene Schlusserbeinsetzung eingetreten ist. Diese Bindung entfällt jedoch, wenn der Bedachte wegfällt und keine Ersatzerben berufen sind. 

Im vorliegenden Fall hatten die Eheleute keine explizite Ersatzerbeinsetzung bestimmt. Es stellte sich somit die Frage, ob sich im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung eine Ersatzerbfolge ergibt.  

Eine ergänzende Testamentsauslegung kommt immer dann in Betracht, wenn eine unbewusste Regelungslücke gegeben ist. 

Im vorliegenden Fall sind die Gerichte allerdings davon ausgegangen, dass eine bewusste Regelungslücke gegeben war. Als Anhaltspunkt dafür sah das Gericht die Beteiligung eines Notars an der letztwilligen Verfügung von 1965. Diese spreche – wegen der Beratung des Notars bei der Abfassung des Erbvertrags – für eine bewusste Regelungslücke, zumal sich in dem Vertrag auch die Erklärung fand, dass die Eheleute „sonst nichts bestimmen wollen.“ 

Die Gerichte sahen diese Formulierung auch nicht als bloße Standardformulierung mit floskelhaftem Charakter an. Dagegen spreche zum Beispiel die Formulierung im Testament, dass ausdrücklich keine Vor- und Nacherbschaft gewollt sei. Denn auch dies lege nahe, dass eine umfassende Beratung des Notars stattgefunden habe, die auch eine etwaige Regelung einer Ersatzerbfolge für den Fall des Vorversterbens des Schlusserben miteingeschlossen haben dürfte.

Im Ergebnis war also die Bindungswirkung mit dem Tod des als Schlusserben eingesetzten Sohnes entfallen. Die Erblasserin konnte neu testieren und die geschiedene Ehefrau wirksam als Erbin einsetzen.


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