Die Musterfeststellungklage: Bilanz und Ausblick

  • 4 Minuten Lesezeit

Viel wurde über sie diskutiert, nun wird sie bereits vor Gericht angewandt: die Musterfeststellungsklage. Wir sind auf diesem Gebiet Pioniere und vertreten im Rahmen mehrerer eingereichter musterfeststellungsklagen die Interessen zahlreicher Verbraucher. Ein Überblick über die Hoffnungen der Befürworter und die Kritik der Gegner.

In Deutschland galt bisher ausschließlich das Prinzip des Individualrechtsschutzes. Man konnte deswegen nur allein seine Rechte vor Gericht geltend machen. Durch den VW-Abgasskandal wurde jedoch deutlich, dass ein solches Vorgehen für die Gerichte zum einen eine unnötige Belastung darstellen kann. Warum sollte einer Gruppe gleich geschädigter Menschen ihr Anliegen nicht gemeinsam vor Gericht geltend machen können? 

Statt dutzende Verfahren zu verhandeln, muss man nur eines verhandeln. So können die Gerichte entlastet werden und die Bürokratie, rund um ein Verfahren insgesamt, reduziert werden. Zum anderen aber erleichtert es auch die Rechtsdurchsetzung für Verbraucher. 

Dort, wo es für den Einzelnen schwierig oder kostspielig wird, rechtliche Interessen durchzusetzen, kann es für ein „Masseverfahren“ erheblich günstiger sein. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) entwarf deshalb die sogenannte Musterfeststellungsklage.

Wie funktioniert die Musterfeststellungsklage?

Die Musterfeststellungsklage ist in den §§ 606 ff ZPO geregelt. Zunächst muss ein berechtigter Kläger seine Klage einreichen. Berechtigt sind gemäß § 606 I ZPO nur Verbände, die den Tatbestand des § 4 UKlaG erfüllen. Hierzu zählen unter anderem die Verbraucherzentralen und vor allem Vereine. 

Wichtig ist, dass die Verbände keine Gewinnerzielungsabsichten haben und maximal 5 % ihrer finanziellen Mittel von Unternehmen beziehen. Sie müssen zudem mindestens 350 Mitglieder haben. Alternativ können dem Verband auch zehn andere Verbände angehören.

Erfüllt ein Verband diese Anforderungen, dann kann er eine Klage einreichen, wenn er für mindestens zehn Verbraucher, Ansprüche geltend machen könnte. Damit die Klage zulässig ist, müssen sich innerhalb von zwei Monaten weitere 40 Verbraucher in ein Klageregister eintragen. Eine Eintragung können Verbraucher über die Website des Bundesamtes für Justiz vornehmen.

Erste Instanz immer ein Oberlandesgericht

Die erste zuständige Instanz für die Musterfeststellungsklage ist immer ein Oberlandesgericht. Abgeschlossen wird eine, entweder durch einen Vergleich zwischen Unternehmen und Verbrauchern oder durch ein Urteil. 

Wird ein Urteil gesprochen, wird nur die Rechtslage geklärt. An dem Verfahren beteiligte Verbraucher können danach mit Verweis auf die Musterfeststellungsklage individuell Leistungsklage erheben.

Klageeinreichung nach dem Windhundprinzip

Gemäß § 610 I ZPO kann es zu einem Feststellungsziel nur eine Musterfeststellungsklage geben. Hier gilt, wer zuerst die Klage eingereicht hat, ist als einziger berechtigt, den Prozess zu führen. Werden am gleichen Tag zwei Musterfeststellungsklagen eingereicht, so werden diese Klagen zusammengelegt. Ist eine Klage eingereicht, so hemmt diese für alle im Klageregister eingetragenen Verbraucher die Verjährung, § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB.

Doch bei allem guten Willen des Gesetzgebers gibt es, wie bei vielen Neuerungen, auch hier Kritik. Durch die Regelung, dass nur der Erste, der die Klage erhebt, diese auch führen darf, kann es zu einem regelrechten Wettbewerb um die Klageeinreichung kommen. 

Dadurch kann monatelange Arbeit von Juristen schlagartig vergeblich sein. Zudem besteht das Risiko einer unsachlichen Aufbereitung des Sachverhalts. Auch dass zwei am gleichen Tag eingereichte Musterfeststellungsklagen zusammengelegt werden, mildert dieses Problem kaum.

Keine unmittelbare Rechtsfolge als Kritikpunkt

Kritisch ist außerdem, dass ein Erfolg vor Gericht für die im Klageregister eingetragenen Verbraucher sich nicht unmittelbar in einer Durchsetzung ihrer Ansprüche niederschlägt. 

Einige kritisieren, der einzige Zweck der Musterfeststellungsklage läge in der Klärung der Rechtslage und Verjährungshemmung, ohne unmittelbare Rechtsfolgen für die beteiligten Parteien zur Folge zu haben. Gerade von Verbraucherschützern wird die Musterfeststellungsklage deswegen als unzureichend angesehen.

Es wird außerdem befürchtet, dass die Klage die Gerichte gar nicht entlasten wird. Dadurch, dass Verbraucher ihre Rechte nach einer erfolgreichen Musterfeststellungsklage einzeln durchsetzen müssen, könnte es hierdurch gar zu noch mehr Klagen kommen.

Der Gedanke hinter der Musterfeststellungsklage

Befürworter der Musterfeststellungsklage halten dem entgegen, dass Verbraucher ohne Kostenrisiko und mit relativ geringem Aufwand ihre Rechte geltend machen können. 

Auch ist, entgegen der Kritik, durch die Bündelung der sonst unzähligen Einzelverfahren eine Entlastung der Gerichte zu erwarten. Durch die vorherige Klärung der Rechtslage müssten die Verbraucher ihre Ansprüche nicht mehr gerichtlich durchsetzen. Unternehmen würden Vergleichen durch die nun klare Rechtslage eher zustimmen, so die Hoffnung.

Bisherige Musterfeststellungsklagen und deren Erfolgsaussichten

Schutzgemeinschaft für Bankkunden vs. Mercedes Benz Bank

Momentan wird eine Musterfeststellungsklage vor dem Oberlandesgericht Stuttgart geführt. Die Schutzgemeinschaft für Bankkunden will dabei vom Gericht feststellen lassen, dass die Widerrufsbelehrungen, die die Kunden der Mercedes Benz Bank erhalten haben, rechtswidrig waren. Stimmt das Gericht dem Kläger zu, könnten Verbraucher ihre Verträge widerrufen.

VZBV vs. VW

Eine weitere Klage wurde von dem Bundesverband der Verbraucherzentralen gegen VW eingereicht. Der ADAC unterstützt den Verband, indem er ihn technisch berät. Die Verbraucherzentralen wollen feststellen lassen, ob bestimmte Eigentümer von abgasmanipulierten Fahrzeugen Anspruch auf Schadensersatz haben.

Ausblick

Ob und inwieweit sich die Musterfeststellungsklage bewährt muss sich noch zeigen. Erfüllen sich die Hoffnungen der Politik wird nachgebessert werden müssen. Selbst wenn sich die Klage bewährt und die Diskussion verstummt, dürfte der Diskurs schon bald über eine andere Klage weitergehen. 

Auf europäischer Ebene wird bereits die Einführung einer viel weitergehenden „Verbandsklage“ vorbereitet, welche auf Leistung gerichtet ist. Ob sich nun die Musterfeststellungsklage oder eine europäische Verbandsklage letztendlich durchsetzt wird sich zeigen, doch eins scheint schon jetzt festzustehen: Kollektiver Rechtsschutz wird sich auch in Deutschland durchsetzen.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Wolfgang Benedikt-Jansen