Beschluss des HessVGH: Neue Hoffnung für Führerscheintouristen?

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Entscheidung des HessVGH vom 4.12.2009: Neue Hoffnung für Führerscheintouristen? Harte Zeiten für Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis.

Wer nach dem Verlust seiner deutschen Fahrerlaubnis einen EU-Führerschein im Ausland gemacht hatte, konnte sich nach dem 19.01.2009, dem Zeitpunkt der Umsetzung der 3. EU-Führerscheinrichtlinie in das deutsche Recht, der Anerkennung dieser Fahrerlaubnis in Deutschland nicht mehr sicher sein. Literatur und Rechtsprechung waren sich schnell einig, dass die Verwaltung sogar Aberkennung solcher Führerscheine verpflichtet sei, wenn das Ausstellungsdatum des EU-Führerscheins nach dem 19.01.2009 liegt. Doch nun lässt der Hessische Verwaltungsgerichtshof in einer aktuellen Entscheidung durchblicken, dass er die Sache differenzierter sieht. Die bisherigen Grundsätze der EuGH würden weiterhin Geltung beanspruchen und bevor nicht der EuGH zur veränderten Rechtslage Stellung nimmt, sei die vorläufige Wirkung des Widerspruchs gegen eine unter Hinweis auf § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 FeV aberkannte EU-Fahrerlaubnis wiederherzustellen. Der rechtliche Rahmen für die Anerkennung von EU-Führerscheinen in Deutschland wird durch die Richtlinien 91/439 EWG (2. Führerscheinrichtlinie) und 2006/126/EG (3. Führerscheinrichtlinie) sowie die Vorschriften der §§ 28 bis 31 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) bestimmt, die diese Richtlinien ins nationalen Recht umsetzen. Systemprägend für diese Vorschriften ist und bleibt der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung.

Danach muss ein in einem anderen EU-Mitgliedsstaat ausgestellter EU-Führerschein in Deutschland ohne jede Formalität anerkannt werden. Die europarechtliche Rechtslage ist insoweit eindeutig. Der EuGH hat bisher stets die Niederlassungsfreiheit und die Souveränität der einzelnen Mitgliedsstaaten ins Zentrum seiner Rechtsprechung gestellt. Ausnahmen greifen nur unter bestimmten Umständen, wenn dem Inhaber des ausländischen EU-Führerscheins in Deutschland vorher eine Fahrerlaubnis entzogen oder bestandskräftig versagt worden war. Der Europäische Gerichtshof hat diese Ausnahmen in Entscheidungen, die aufgrund von Vorlagefragen ergangen waren, konkretisiert. Problematisch war im Wesentlichen immer die Vereinbarkeit von § 28 FeV mit Gemeinschaftsrecht.

Am 03.07.2008 hat der EuGH in der Rechtssache Möginger (C- 225/07) entschieden, dass auch dann keine Anerkennungspflicht besteht, wenn der EU-Fahrerlaubnisinhaber von einer während des Laufs einer Sperrfrist erworbenen EU-Fahrerlaubnis im Inland nach Ablauf der Sperrfrist Gebrauch macht. Mit Urteil vom 26.06.2008 hat der EuGH in den Rechtssachen „Wiedemann und Funk" (C-329/06 und C-343/06) sowie Zerche entschieden, dass die deutschen Behörden dem Erwerber des ausländischen EU-Führerscheins untersagen können, von dem Führerschein in Deutschland Gebrauch zu machen, wenn sich aus dem Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen unbestreitbar ergibt, dass der Erwerber das Wohnsitzerfordernis nicht erfüllt hat, also nicht für mindestens ein halbes Jahr in dem Ausstellerstaat seinen Lebensmittelpunkt hatte. Stellt sich heraus, dass es sich um einen Fall des sog. Führerschein-Tourismus handelt, kann die deutsche Behörde anordnen, dass mit diesem Führerschein in Deutschland kein Kraftfahrzeug mehr geführt werden darf. Zur Entziehung der EU-Fahrerlaubnis ist eine deutsche Behörde jedoch nicht berechtigt. Dieses Recht steht allein dem Ausstellerstaat zu. Später hat der EuGH in seiner Entscheidung vom 07.09.2009 (Rechtssache Wierer, C 445/08) klarstellend dazu Stellung bezogen, was die unbestreitbaren Informationen sind, an die die deutschen Führerscheinbehörden anknüpfen dürfen, wenn sie einer im Wege des Führerscheintourismus erworbenen EU-Fahrerlaubnis die Anerkennung versagen wollen. Die Richter machten deutlich, dass ausschließlich zwei Erkenntnisquellen (Angaben im Führerscheindokument oder Informationen des ausstellenden Mitgliedsstaates) als „unbestreitbare Informationen" für unrechtmäßigen Erwerb der EU-Fahrerlaubnis herangezogen werden dürfen.

Herrschende Meinung: Neue Rechtslage mit Umsetzung der 3. EU Führerscheinrichtlinie

Zum 19.01.2009 ist die 3. EU-Führerscheinrichtlinie in Deutschland umgesetzt worden. Danach gilt für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, denen die Fahrerlaubnis im Inland von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden war (und diese Maßnahme noch im Verkehrszentralregister eingetragen ist), eine Ausnahme von dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von Fahrerlaubnissen. In solchen Fällen sollen die Mitgliedsstaaten der EU nun kein Ermessen mehr haben, sondern sind verpflichtet, die Anerkennung der Gültigkeit eines EU-Führerscheines abzulehnen. In der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) wird bestimmt, dass in solchen Fällen, das Recht von der EU- oder EWR-Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, auf Antrag erteilt wird, wenn die Gründe für die Entziehung oder die Sperre nicht mehr bestehen. Diese neue Rechtslage hat sogar dazu geführt, dass die Nutzer eines EU-Führerscheins mit Erteilungsdatum nach dem 19.01.2009, denen ausweislich einer Eintragung im Verkehrszentralregister die vormals deutsche Fahrerlaubnis entzogen worden war, mit strafrechtlicher Verfolgung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) zu rechnen haben.

Die herrschende Meinung in der Fachliteratur und in der Praxis auch die meisten Behörden und Verwaltungsgerichte gehen davon aus, dass es wegen Art 11. Abs. 4 der 3. Führerscheinrichtlinie, der inhaltlich mit der Umsetzung zum 19.01.2009 in § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 FeV Eingang gefunden hat, eine ermessenslose Pflicht zur Nichtanerkennung solcher EU-Führerscheine gibt. Allerdings hat sich die entsprechende Vorschrift der FeV gegenüber der alten Fassung nicht verändert.

Auch vor dem 19.01.2009 lautete § 28 Abs. 4 S.1 Nr. FeV: „Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben".

Nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH wurde diese Vorschrift wegen der eng auszulegenden Ausnahmeregelungen in Art. 8 Abs. 4 Richtlinie 91/439/EWG als europarechtswidrig angesehen.

Art 8 Abs. 4 Richtlinie 91/439/EWG (2. Führerscheinrichtlinie) lautet: „(4) Ein Mitgliedsstaat kann es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedsstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die auf seinem Hoheitsgebiet eine der in Absatz 2 genannten Maßnahmen angewendet wurde. Ein Mitgliedsstaat kann es außerdem ablehnen, einen Bewerber, auf den eine solche Maßnahme in einem anderen Mitgliedsstaat angewendet wurde, einen Führerschein auszustellen."

Die 3. EU Führerscheinrichtlinie (2006/126/EG) enthält demgegenüber jedoch in Art. 11 Abs. 4 eine zwingende Regelung. Der gebietende Charakter kommt in dem im Vergleich zu Art. 8 Abs. 4 der 2. EU Führerscheinrichtlinie (91/439/EWG) abweichenden Wortlaut zum Ausdruck: „(4) Ein Mitgliedsstaat lehnt es ab, einem Bewerber, dessen Führerschein in einem anderen Mitgliedsstaat eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen wurde, einen Führerschein auszustellen. Ein Mitgliedsstaat lehnt die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ab, der von einem anderen Mitgliedsstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedsstaates eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist. Ein Mitgliedsstaat kann es ferner ablehnen, einem Bewerber, dessen Führerschein in einem anderen Mitgliedsstaat aufgehoben wurde, einen Führerschein auszustellen."

Hieraus und weil die amtliche Begründung zur 3. Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung (Durchführungsverordnung zur Umsetzung der 3. EU Führerscheinrichtlinie ins deutsche Recht), davon spricht, dass der Aspekt der Sicherheit im Straßenverkehr nach der Intention des EU-Gesetzgebers gegenüber der Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine im Vergleich zur 2. Führerscheinrichtlinie eine herausgehobene Bedeutung habe, folgert die herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung, dass nach Inkrafttreten der 3. Führerscheinrichtlinie am 19.01.2009, der bisherigen EuGH-Rechtsprechung zum Trotz, die uneingeschränkte Wiederanwendbarkeit des § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 FeV gelte.

Daher wurde bereits das „vorläufige Ende des Führerscheintourismus" propagiert (Janker), zumindest bis eine neue Vorlagefrage vom EuGH entscheiden sein wird, die die Rechtslage ab dem 19.01.2009 bewertet. Damit ist nicht vor dem 3. oder 4. Quartal dieses Jahres zu rechnen. Bis dahin bleibt die Situation für Inhaber einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis mit Ausstellungsdatum nach dem 19.01.2009 düster.

Abwartende Haltung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs

Ein kleiner Hoffnungsschimmer ist da ein Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4.12.2009 (HessVGH, Az.: 2 B 2138/09). Der Senat hatte mit dieser Entscheidung die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Führerscheinbehörde wiederhergestellt, in welchem die fehlende Berechtigung von einer polnischen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen festgestellt worden war. Die Richter stellten zunächst klar, dass nach wie vor die bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu beachten sei, wonach die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedsstaat der EU ausgestellten Führerscheins nur dann abgelehnt werden darf, wenn sich auf der Grundlage von Angaben im Führerschein selbst oder anderen vom Ausstellerstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststellen lässt, dass die Wohnsitzvoraussetzung zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins nicht erfüllt war.

In der Beschlussbegründung erteilen die VGH-Richter zunächst der Vorinstanz eine schallende Ohrfeige, indem sie feststellen, dass die vom Verwaltungsgericht angenommene Rechtsgrundlage für die Frage der Berechtigung zur Aberkennung der Berechtigung nach § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV nicht einschlägig sei. Nicht etwa Art. 11 Abs. 2 der 3. Führerscheinrichtlinie (2006/126/EWG) betreffe den vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt, sondern Art. 11 Abs. 4, wonach ein Mitgliedsstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ablehnt, der von einem anderen Mitgliedsstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedsstaates eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist (vgl. oben). Anschließend wirft der Senat kurz die Frage auf, ob die 3. Europäischen Führerscheinrichtlinien ggf. erst ab dem 19.01.2013 gelten, lässt diese Frage aber letztlich offen.

Des Weiteren führen die Kasseler Richter aus, dass sowohl nach der alten als auch nach der neuen, 3. Führerscheinrichtlinie, unverändert das Wohnsitzprinzip das maßgebliche Kriterium bleibe. Der Unterschied liege lediglich darin, dass dem EU-Mitgliedsstaat bei der Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins, für den die Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 2 der 3. Richtlinie vorliegen, nunmehr kein Ermessen mehr zustehe (Wortlaut, s.o., „lehnt die Anerkennung...ab").

Es müsse daher bis zu einer ausdrücklichen Entscheidung des EuGH zu Art. 11 Abs. 4 der 3. Führerscheinrichtlinie davon ausgegangen werden, dass seine Rechtsprechung zum Wohnsitzprinzip auch für diese Vorschrift weiter gelte. Eine Aberkennung des ausländischen EU-Führerscheins komme daher mit der Begründung einer Verletzung des Wohnsitzprinzips nicht in Frage, wenn in dem Führerschein als Wohnort ein Ort im Ausstellerstaat angegeben ist und auch keine von dem Ausstellermitgliedsstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen vorliegen, nach denen das Wohnsitzerfordernis der Richtlinie 91/439 bzw. 2006/126 im Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins nicht erfüllt war.

Man sollte an dieser Stelle hinzufügen, dass im vorliegenden Verfahren, wie vom HessVGH ausdrücklich erwähnt wird, der Antragssteller eine ins Deutsche übersetzte amtliche Bescheinigung über seinen vorläufigen Aufenthalt im Ausstellerstaat vorgelegt hatte, einschließlich der amtlich bestätigten Erklärung, dass er sich über die Strafbarkeit falscher Angaben über den Aufenthalt über mindestens 185 Tage pro Kalenderjahr im Ausstellerstaat bewusst sei. Dies sind freiwillige Angaben, die die eigentlich nicht bestehende Beweispflicht außer acht lässt (bereits der ordnungsgemäße Erteilungsakt der ausländischen Führerscheinbehörde indiziert die Erfüllung des Wohnsitzerfordernisses) jedoch hat der Senat diese Angaben des Antragsstellers hervorgehoben, so dass diese Tatsache bei seiner Entscheidungsfindung zumindest eine gewisse Rolle gespielt haben dürfte.

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