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EuGH verneint Anspruch arbeitsuchender EU-Bürger auf Hartz IV

  • 5 Minuten Lesezeit
Christian Günther anwalt.de-Redaktion

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Deutschland muss ausländischen EU-Bürgern auch dann keine Sozialleistungen zahlen, wenn sie eine angemessene Zeit gearbeitet haben und dann arbeitslos werden. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entschieden. Das Bundessozialgericht hatte den Gerichtshof gefragt, wie das einschlägige EU-Recht auszulegen ist. Mit ihrer Antwort folgen die Luxemburger Richter dabei nicht den im März veröffentlichten Schlussanträgen des Generalanwalts. Dieser hatte noch die Ansicht vertreten, dass betroffenen Unionsbürgern solche Leistungen nicht automatisch verweigert werden dürfen.

Sozialleistungen wegen Ausländereigenschaft eingestellt

Anlass für die Grundsatzentscheidung des EuGH war der Fall der in Berlin lebenden Frau Alimanovic und ihrer drei in Deutschland geborenen Kinder. Zwischenzeitlich lebte die aus Bosnien stammende Familie im EU-Land Schweden. Dort hatten sie auch die schwedische Staatsangehörigkeit erlangt. Nachdem Frau Alimanovic und ihr Mann sich getrennt hatten, kehrte sie im Juni 2010 mit ihren Kindern nach Deutschland zurück. Sie und ihre älteste, 1994 geborene Tochter übten dabei bis Mai 2011 kurz dauernde Beschäftigungen aus. Danach wurden Mutter und Tochter erwerbslos. Sie beantragten deshalb ALG II sowie für die beiden jüngeren Geschwister Sozialgeld für nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Von Anfang Dezember 2011 bis Ende Mai 2012 bewilligte das Jobcenter Berlin-Neukölln der Familie entsprechende Sozialleistungen.

Hartz-IV-Leistungen werden in der Regel für sechs Monate bewilligt, wie sich aus § 41 Abs. 1 S. 3 Zweites Sozialgesetzbuch (SGB II) ergibt. Dann wird der Antrag erneut geprüft. Infolgedessen stellte das Jobcenter die Leistungen für die Familie nach sechs Monaten ein. Es begründete dies mit § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II. Demnach sind ausländische Arbeitsuchende und ihre Familienangehörigen von SGB-II-Leistungen und damit insbesondere von Hartz IV ausgenommen.

SG Berlin sieht gleichen Leistungsanspruch wie für Inländer

Gegen diesen Bescheid legten die Familienmitglieder jeweils Widerspruch ein, die das Jobcenter ablehnte. Das deshalb von den Familienmitgliedern im Klageweg angerufene Sozialgericht (SG) Berlin hob den Widerspruchsbescheid auf. Die Vorschriften der EU-Verordnung zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EU-VO 883/2004), gingen als jüngeres, höherrangiges und spezielleres Recht der Ausnahmeregelung in § 7 SGB II vor. Demnach haben ausländische EU-Bürger die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates und damit auch gleichen Anspruch auf Sozialleistungen.

Behörde legt Revision gegen das Urteil ein

Gegen das Urteil legte das beklagte Jobcenter Sprungrevision zum Bundessozialgericht in Kassel (BSG) ein. Es berief sich dabei insbesondere auf die EU-Richtlinie zur Freizügigkeit von EU-Bürgern (EU-RL 2004/38). Diese sieht in ihrem Art. 24 zwar ein Recht auf Gleichbehandlung von Ausländern und Inländern vor. Abweichend davon ist ein Mitgliedstaat jedoch nicht verpflichtet, Arbeitsuchenden und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts und gegebenenfalls, solange die Arbeitsuche andauert, darüber hinaus einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren.

BSG fragt EuGH nach Einklang der Ausnahme mit EU-Recht

Im Falle ernsthafter Zweifel über die Vereinbarkeit nationalen Rechts mit EU-Recht bestimmt letzteres, dass nationale Gerichte dem EuGH zu deren Klärung dienende Fragen stellen. Die Antworten des EuGH in diesem sogenannten Vorabentscheidungsverfahren sollen dabei insbesondere eine einheitliche Anwendung des EU-Rechts sicherstellen. Die Entscheidungen des EuGH haben daher auch über Deutschland hinaus EU-weite Bedeutung.

Anders als das SG Berlin war sich das höchste deutsche Sozialgericht dabei unsicher, ob sich die Gleichbehandlung bei beitragsunabhängigen Geldleistungen bzw. Sozialhilfe im vorliegenden Fall einschränken lässt. In diesem Zusammenhang fragte das BSG den EuGH auch, ob der für Ausländer geltende Ausschluss von Hartz IV und anderen SGB-II-Leistungen im deutschen Sozialrecht in § 7 SGB II mit dem EU-Recht vereinbar ist (Beschluss v. 12.12.2013, Az.: B 4 AS 9/13 R).

Der EuGH stellt dabei in seinem nun verkündeten Urteil zunächst fest, dass es sich bei den streitigen Sozialleistungen – konkret Hartz IV sowie Sozialgeld – um besondere beitragsunabhängige Geldleistungen bzw. um Sozialhilfe im Sinne des Art. 24 der Freizügigkeits-Richtlinie handelt, von denen eine Ausnahme zulässig ist. Einerseits sind diese Leistungen durch Steuern finanziert. Andererseits dienen sie Betroffenen dazu, ihren Lebensunterhalt zu sichern und nicht, ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern.

Ohne Aufenthaltsrecht besteht kein Sozialleistungsanspruch

Dabei nimmt der EuGH nochmals Bezug auf seine frühere Entscheidung aus dem November 2014 im sogenannten Fall Dano. Darin hatte der Gerichtshof bereits entschieden, dass EU-Bürger keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben, wenn sie sich schon nicht zur Arbeitsuche in einem anderen EU-Land aufhalten. Insofern fehlt es bereits an einem Aufenthaltsrecht. Ein solches haben unter anderem Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche aufhalten für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Ist das nicht der Fall, haben Mitgliedstaaten das Recht, ihre Sozialsysteme vor „unangemessener“ Inanspruchnahme durch Bürger anderer EU-Länder zu schützen.

Im vorliegenden Fall hielten sich Frau Alimanovic und ihre Tochter ursprünglich zur Arbeitsuche in Deutschland auf. Zudem hatten sie dort sogar kurze Zeit gearbeitet. Dennoch geht der EuGH in solchen Fällen nur unter folgenden Voraussetzungen von einem Aufenthaltsrecht und Anspruch auf Sozialleistungen aus: Der Erwerbstätige stellt sich bei einer unter einem Jahr dauernden Beschäftigung, die für ihn unfreiwillig oder aufgrund Ablauf eines befristeten Arbeitsvertrags geendet hat, über das zuständige Arbeitsamt dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. So hält er für mindestens sechs Monate seine Erwerbstätigeneigenschaft aufrecht. Dementsprechend hat er zumindest für diesen Zeitraum aufgrund des Rechts auf Gleichbehandlung einen Anspruch auf Sozialleistungen. Danach darf ein Mitgliedstaat Leistungen jedoch versagen, da die Erwerbstätigeneigenschaft nicht mehr vorliegt, wie sich aus Art. 7 Abs. 3 c) der Freizügigkeits-Richtlinie 2004/38/EG ergibt. In Bezug auf Frau Alimanovic und ihre Tochter entfiel die Erwerbstätigeneigenschaft entsprechend sechs Monate nach ihrer letzten Erwerbstätigkeit. Da sie seit Mai 2011 überhaupt nicht mehr abhängig oder selbstständig tätig gewesen waren, war das spätestens Ende Dezember 2011 der Fall, wie das das Bundessozialgericht bereits festgestellt hatte.

Kein Anspruch zur Arbeitsuche einreisender Unionsbürger

Im Übrigen sieht der EuGH für EU-Bürger keinen Anspruch auf Sozialleistungen, die sich zur Arbeitsuche in ein anderes EU-Land begeben, die dort aber keine Beschäftigung aufnehmen. Reist ein Unionsbürger demnach in einen anderen Mitgliedstaat zur Arbeitsuche ein und weist nach, dass er weiterhin Arbeit sucht und eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden, hat er zwar ein Aufenthaltsrecht, das einer Ausweisung entgegensteht. Allerdings darf ein Mitgliedstaat sich dann ausdrücklich auf die zu Art. 24 Freizügigkeits-Richtlinie geltende Ausnahme von der Gleichbehandlung berufen und daher den Sozialleistungsanspruch ausländischer EU-Bürger rechtmäßig beschränken.

(EuGH, Urteil v. 15.09.2015, Az.: C-67/14)

(GUE)

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