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Existenzminimum – was braucht man zum Leben?

  • 7 Minuten Lesezeit
Gabriele Weintz anwalt.de-Redaktion

Der Begriff des Existenzminimums ist fast überall bekannt, jedoch gibt es hierzu viele unterschiedliche Ansatzpunkte. Die unterschiedlichen Bedeutungen sind für all diejenigen von besonderem Interesse, die Sozialhilfe empfangen oder Arbeitslosengeld II beziehen. Aber auch alle, die ein sicheres Arbeitsverhältnis haben, sollten wissen, dass das Existenzminimum auch für sie von Bedeutung sein kann. Die wichtigsten Aspekte, Unterscheidungen und neuesten Gerichtsentscheidungen hat die Redaktion von anwalt.de zusammengestellt.

[image]Soziokulturelles Existenzminimum

Das soziokulturelle Existenzminimum ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und gewährleistet ein menschenwürdiges Existenzminimum. Es enthält einen Anspruch auf die Zurverfügungstellung derjenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. So gehören neben Nahrung und Kleidung, Miet- und Heizkosten sowie Kosten für medizinische Notfallversorgung auch Aufwendungen für Freizeit und Kultur dazu. Aus diesem statistisch berechneten Wert wird wiederum die Höhe der Regelsätze errechnet. Diese Regelsätze, bei denen zwischen Erwachsenen und Kindern unterschieden wird, sind nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verfassungswidrig (BVerfG, Urteil v. 09.02.2010, Az.: 1 BvL 1/09; 1 BvL 3/09; 1 BvL 4/09). Der Gesetzgeber wurde verurteilt, bis 31.12 2010 eine neue gesetzliche Regelung zu treffen. Bis dahin bleiben die jetzigen Regelsätze in Kraft. Über die künftige Höhe der Hartz IV-Sätze besteht jedoch momentan Streit zwischen der Regierung und den Sozialverbänden.

Mehr Informationen zu den Regelsätzen finden Sie im anwalt.de-Rechtstipp „Hartz IV - Regelsätze wider die Realität".

Im Folgenden werden einige aktuelle und besonders interessante Urteile zu verschiedenen Aspekten des Existenzminimums dargestellt.

Kindergeld als leistungsminderndes Einkommen

Für Empfänger von Hartz IV-Leistungen war die Frage, ob das Kindergeld als leistungsminderndes Einkommen nach § 11 Abs. 1 Sozialgesetzbuch II (SGB II) anzurechnen ist und, ob diese Praxis mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zu vereinbaren ist. Die eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen. Begründet wurde der Beschluss damit, dass die Anrechnung des Kindergeldes als leistungsminderndes Einkommen auf Hartz IV-Leistungen mit dem Grundgesetz vereinbar ist und somit keine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vorliegt. Der Gesetzgeber, der bei zu versteuernden Einkommen Steuervergünstigungen in Form von Kinderfreibeträgen bietet, ist nicht verpflichtet, Sozialleistungen in vergleichbarer Höhe zu gewähren. Insofern liegt keine Ungleichbehandlung vor (BVerfG, Beschluss v. 11.03.2010, Az.: 1 BvR 3163/09).

Existenzminimum ist durch Unterhalt abzudecken

Alleinerziehende können von ihrem Ex-Partner bzw. ihrer Ex-Partnerin in den ersten drei Lebensjahren des gemeinsamen Kindes den Betrag des Existenzminimums verlangen, den der Gesetzgeber im Fall von Kindesunterhaltszahlungen festgelegt hat. Dieser beträgt zurzeit 770 Euro für einen Erwerbslosen und 900 Euro für einen erwerbstätigen Zahlungspflichtigen (Düsseldorfer Tabelle 2010, Abschnitt B., Nummer V.). Dieser Betrag steht gerade auch solchen Elternteilen zu, die zuvor geringere Einkünfte hatten, denn bei nicht ehelichen Lebensgemeinschaften bemisst sich die Höhe des Unterhalts grundsätzlich nach dem eigenen früheren Lebensstandard. Im Gegensatz dazu orientiert sich der Unterhaltsanspruch nach einer Scheidung am Einkommensniveau des zahlungspflichtigen Partners. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun entschieden, dass die Untergrenze des Unterhalts beim Existenzminimum liegt, um eine notwendige persönliche Betreuung des Kindes sicherstellen zu können. Die Dauer des Anspruchs nach den gesetzlich garantierten drei Jahren richtet sich dann nach den vorhandenen Betreuungsmöglichkeiten für das Kind (BGH, Urteil v. 16.12.2009, Az.: XII ZR 50/08).

Übernahme von Beiträgen für die Private Krankenversicherung

Seit 1. Januar 2009 ist nach der Regelung in § 5 Abs. 5a Satz 1 SGB V der Rückweg in die gesetzliche Krankenversicherung für Personen, die Hartz IV beziehen, aber privat krankenversichert sind, ausgeschlossen. In diesem Zusammenhang übernahm in einem aktuellen Fall eine Arge nach § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II nur den Betrag, der für Hartz IV-Empfänger in der gesetzlichen Krankenkasse übernommen wird. Durch die nur anteilige Übernahme der Kosten entsteht jedoch eine Deckungslücke, die nach Auffassung des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen gegen die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates zur Sicherstellung des Existenzminimums verstößt. Daher wurde der betreffenden Arge im Wege einer einstweiligen Anordnung aufgegeben, den Zuschuss in Höhe der tatsächlich zu entrichtenden Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung zu übernehmen (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 03.12.2009, Az.: L 15 AS 1048/09 B ER). In einem ähnlich gelagerten und noch aktuelleren Fall klagte ein Bezieher von Hartz IV ebenfalls auf die Übernahme der kompletten Kosten für seine private Kranken- und Pflegeversicherung, denn es wurde auch in diesem Fall von der Arge nur der Betrag übernommen, den auch Bezieher von Hartz IV in der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten. Das Landessozialgericht Saarland stützte sich in seinem Urteil auf die verfassungskonforme Auslegung von § 26 Abs. 2 SGB II, welcher sich am Regelungszweck des § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II zu orientieren hat und nach dem bei freiwilligen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung die vollen Beiträge übernommen werden. Denn anderenfalls käme es zu einer Deckungslücke, die für Hartz IV-Bezieher zu existenzbedrohenden Schulden führen würde. Daher sind von der Arge die vollen Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung von Hartz IV-Empfängern zu übernehmen (LSG Saarland, Urteil v. 13.04.2010, Az.: L 9 AS 15/09).

Kostenübernahme für eine Schülermonatskarte

Zwei Schüler aus einer Hartz IV-Bedarfsgemeinschaft besuchten ein Gymnasium, welches 4,8 km von ihrem Wohnort entfernt ist. Ihr Antrag auf Übernahme der Kosten für die Schülermonatskarten wurde von der zuständigen Arge mit dem Hinweis abgelehnt, dass diese Kosten aus der Regelleistung zu bestreiten seien, da solche Kosten erst ab einer Entfernung von 5 km übernommen werden. Die dagegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht (SG) Detmold hatte Erfolg. Das Gericht erkannte jedoch, in Anwendung der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Härtefallgrundsätze (BVerfG, Urteil v. 09.02.2010, Az.: 1 BvL 1/09; 1 BvL 3/09; 1 BvL 4/09), die Schülermonatskarten als laufenden Bedarf zur Deckung eines menschenwürdigen Existenzminimums i.S.d. Art 1 GG i.V.m. Art. 20 GG an. Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums umfasst nämlich nicht nur die Erhaltung der physischen Existenz, sondern auch die Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und Teilnahme am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Dazu gehören eben auch die Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, die, noch dazu bei einer solchen Entfernung, nicht unverhältnismäßig sind (SG Detmold, Urteil v. 09.04.2010, Az.: S 12 AS 126/07).

Schuldrechtliches Existenzminimum

Das sog. schuldrechtliche Existenzminimum definiert das pfändungsfreie Existenzminimum bzw. die Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen. Die Höhe ist in § 850c Zivilprozessordnung (ZPO) geregelt und beträgt 985,15 Euro pro Monat. In diesem Zusammenhang hat der Bundesrat am 07.05.2010 einen Gesetzentwurf (Bundesrat-Drucksache 139/10) beschlossen, durch den der Pfändungsschutz modernisiert werden soll, um effektiver, praktischer und verständlicher zu werden. So sollen beispielsweise die Grundfreibeträge des § 850c ZPO dem Sozial- und Wohngeldrecht angepasst werden, um den Schutz des Existenzminimums im Zwangsvollstreckungs- und Sozialrecht zu harmonisieren.

Das neue P-Konto

Am 1. Juli 2010 trat das Gesetz zur Reform des Kontopfändungsschutzes in Kraft. Darin ist unter anderem das neue P-Konto geregelt, das besonders für solche Personen interessant ist, die von einer Zwangsvollstreckung bzw. Pfändung bedroht oder betroffen sind. Das P-Konto kann jeder Kontoinhaber eines Girokontos einmalig und kostenlos für sich einrichten lassen. Durch dieses P-Konto ist das Konto des Kontoinhabers bis zur Höhe des Freibetrages, welcher zur Zeit 985,15 Euro beträgt, automatisch bis zum Ende des jeweiligen Monats vor einer Pfändung geschützt und der Kontoinhaber kann über diesen Restbetrag frei verfügen, um beispielsweise die Miete pünktlich und vollständig überweisen zu können. Achtung: Der genannte Freibetrag erhöht sich z.B. durch Unterhaltsverpflichtungen oder das Kindergeld.

Mehr Informationen zu dem neuen P-Konto finden Sie im anwalt.de-Rechtstipp Besserer Schutz bei Kontopfändungen: Das neue P-Konto!".

Steuerrechtliches Existenzminimum

Im Einkommensteuerrecht versteht man unter dem Existenzminimum das Einkommen, das ein Steuerpflichtiger zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts benötigt. Dieses beziffert die Höhe des steuerfreien Einkommens, das nach deutscher Rechtslage nicht niedriger ausfallen darf, als die staatlich gewährten Sozialleistungen für bedürftige Bürger. Beispielsweise entspricht der Steuerfreibetrag für das Jahr 2010 für Alleinstehende 8.004 Euro jährlich und für Eheleute 16.009 Euro jährlich. Erst wenn die Einkünfte diesen Betrag übersteigen, kommt man in den Bereich der geringfügigen Steuern. Dabei ist aber zu beachten, dass die Steuerfreigrenze nicht für das Bruttoeinkommen, sondern nur für das allgemein zu versteuernde Einkommen gilt.

Keine Zweitwohnsitzsteuer bei Einkünften unter dem Existenzminimum

Eine Studentin lebte von 410 Euro im Monat, die sie als BaföG erhielt. Die Stadt Halle verlangte von ihr nun die Zahlung einer Zweitwohnsitzsteuer. Dagegen klagte die Studentin vor dem Verwaltungsgericht (VG) Halle und bekam Recht. Nach Meinung des Gerichts ist die Erhebung einer Zweitwohnsitzsteuer unbillig, wenn sie in das Existenzminimum eingreift, dessen Besteuerung dem Staat verwehrt ist. Auf Antrag hätte der Studentin die Steuer erlassen werden müssen (VG Halle, Urteil v. 11.01.2006, Az.: 5 A 99/04 HAL).

Achtung: Sollte man durch die Festsetzung einer Zweitwohnsitzsteuer unter das Existenzminimum rutschen, so sollte, unter Hinweis auf das Urteil des VG Halle, ein Antrag auf Erlass aus Billigkeitsgründen gestellt werden. Bei Ablehnung des Antrags durch die Gemeinde kann Widerspruch eingelegt werden.

Hundesteuer muss immer bezahlt werden

Dennoch gibt es auch Fälle, in denen Steuern gezahlt werden müssen. So müssen beispielsweise Geringverdiener und Hartz IV-Empfänger die volle Hundesteuer zahlen, auch wenn das Existenzminimum als solches nicht besteuert werden darf. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster wies die Klage zweier Rentner ab, die gegen den Steuerbescheid der Hundesteuer geklagt hatten, denn bei der Hundesteuer handelte es sich um eine sogenannte Aufwandssteuer, deren Kosten vermeidbar seien. Allerdings können Kommunen unter bestimmten Bedingungen die Hundesteuer aus eigener Entscheidung ganz oder teilweise erlassen (OVG Münster, Urteil v. 08.06.2010, Az.: 14 A 3020/08 und 14 A 3021/08).

(WEI)

Foto(s): ©iStockphoto.com

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