Gerichtlicher Urkundenbeweis trotz Gutachten medizinischer Schlichtungsstelle

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In einem Arzthaftungsprozess kann das Gutachten einer medizinischen Schlichtungsstelle im Wege des Urkundenbeweises gewürdigt werden. Dies führt aber weder zu einer Erhöhung der Darlegungslast des Patienten, noch ist das Schlichtungsgutachten auf Beweisebene geeignet, den Sachverständigenbeweis zu ersetzen. Mangels gerichtlicher oder staatsanwaltschaftlicher Veranlassung kann es nicht gem. § 411 a ZPO als Sachverständigengutachten verwertet werden. Als Urkunde bezeugt es gem. § 416 ZPO nur, dass der Schlichtungsgutachter ein solches Gutachten erstattet hat. Ob hingegen die darin enthaltene Einschätzung auch inhaltlich richtig ist, unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung. Dementsprechend muss der Tatrichter in einem solchen Fall einen Sachverständigen hinzuziehen und eine Begutachtung anordnen.


Der Entscheidung des BGH vom 12.03.2019 – VI ZR 278/18 – lag folgender Sachverhalt zugrunde: die Klägerin begehrte mit der Begründung, für den Tod ihrer Mutter sei aufgrund eines unerkannt und unbehandelt gebliebenen Darmverschlusses anlässlich einer Operation an der Lendenwirbelsäule ein Behandlungsfehler ursächlich, materiellen und immateriellen Schadensersatz. Der Sachverständige des Schlichtungsverfahrens hatte zuvor einen Behandlungsfehler verneint. Da die Klägerin gegen dieses Gutachten keine substantiierten Einwendungen erhoben habe, blieb die Klage in beiden Instanzen erfolglos.


Nach Auffassung des BGH wurden mit diesen Erwägungen die an den Klagevortrag zu stellenden Anforderungen überspannt und die Klägerin dadurch in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Im Arzthaftungsprozess sind an die Substantiierungspflichten des Patienten nur „maßvolle Anforderungen“ zu stellen, da von ihm keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet werden kann. Mangels Einsicht in das Behandlungsgeschehen und des nötigen medizinischen Fachwissens zur Erfassung und Darlegung des Konfliktstoffes ist er insbesondere nicht verpflichtet, sich dieses zur ordnungsgemäßen Prozessführung anzueignen, um einen schlüssigen Klagevortrag zu halten. Zur Gewährleistung prozessualer Waffengleichheit geht hiermit eine gesteigerte Verpflichtung des Gerichts zur Sachverhaltsaufklärung bis hin zur Einholung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen einher.



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