Gesetzesänderung in 2022: Stärkung des Verbraucherschutzes im Kaufrecht!

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Neue Jahresfrist beim Verbrauchsgüterkauf (Verdoppelung der bisherigen Halbjahresfrist)!

Die Gesetzeslage im Kaufrecht hat sich Anfang des Jahres geändert. Das Niveau des Verbraucherschutzes im Kaufrecht wird dadurch deutlich angehoben. Dies betrifft namentlich die gesetzliche Vermutung in § 477 BGB zum Vorliegen eines Mangels der Kaufsache bei Übergabe. Der Zeitraum, in dem die gesetzliche Vermutung zugunsten des Verbrauchers eingreift, verlängert sich von bislang nur sechs Monaten auf künftig ein ganzes Jahr ab Übergabe der Kaufsache!

Was es hat es mit der gesetzlichen Vermutung in § 477 BGB zugunsten des Verbrauchers auf sich?

Kauft ein Verbraucher vom Unternehmer eine Ware, spricht das Gesetz von einem "Verbrauchsgüterkauf". Stellt der Verbraucher nach Übergabe der Kaufsache einen Mangel fest, muss er den Beweis führen, dass der Mangel auch schon bei Übergabe der Kaufsache vorlag. Dieser Nachweis ist dem Verbraucher typischerweise nur schwer möglich. Zum Schutz des Verbrauchers enthält das Gesetz deshalb folgende "Beweislastumkehr":

Gelingt dem Verbraucher der Nachweis, dass sich innerhalb von einem Jahr ab Übergabe ein mangelhafter Zustand (eine Mangelerscheinung) gezeigt hat, für den der Verkäufer im Rahmen der Mängelgewährleistung wegen einer Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit haften müsste, wird gesetzlich vermutet, dass der Mangel auch schon bei Übergabe vorlag (§ 477 BGB, vormals § 476 BGB). 

Diesbezüglich ist mit Blick auf eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs - BGH, Urteil vom 10.11.2021, Az.  VIII ZR 187/20 - folgendes zu beachten:

Kommt als Ursache für die vom Verbraucher festgestellte Mangelerscheinung (auch) ein Umstand in Betracht, der eine Haftung des Verkäufers nicht zu begründen vermag (wie etwa regelmäßig bei gewöhnlichem Verschleiß an nicht sicherheitsrelevanten Teilen eines Gebrauchtfahrzeugs), hat der Verbraucher den vorgenannten Nachweis erst erbracht, wenn feststeht, dass die Ursache daneben (also neben dem Umstand, für den der Verkäufer nicht haften würde) - zumindest auch - in einem Umstand liegen kann, der die Mängelhaftung des Verkäufers auslösen würde.

Gelingt im Bestreitensfalle dem Verbraucher der dahingehende Nachweis, ist es also die Aufgabe des Verkäufers zu beweisen, dass bei Übergabe noch kein Mangel vorgelegen hat. Der Verbraucher hingegen muss nicht mehr beweisen, dass der Mangel auch schon bei Übergabe vorgelegen hat.

Die Vermutungswirkung kommt dem Verbraucher grundsätzlich auch dahin zugute, dass der binnen ein Jahr nach Übergabe zutage getretene mangelhafte Zustand zumindest im Ansatz (latent) schon bei Übergabe vorgelegen hat.

Zudem muss der Verbraucher nicht mehr beweisen, auf welche Ursache der von ihm festgestellte mangelhafte Zustand zurückzuführen ist und ob diese Ursache in den Verantwortungsbereich des Verkäufers fällt. Es wird also unterstellt, dass der mangelhafte Zustand (die Mangelerscheinung) seine Ursache in einem dem Verkäufer zuzurechnenden Umstand hat.

Behauptet der Verkäufer etwas anderes, muss er es also beweisen.

Problem: Beweis des Vorhandenseins des Mangels zum Zeitpunkt der Übergabe noch nicht ausreichend

Zu beachten ist jedoch, dass der Beweis, dass der Sachmangel bereits zum Zeitpunkt der Übergabe vorlag, für die Durchsetzung der Mängelrechte des Verbrauchers noch nicht ausreicht. Der Verbraucher muss auch beweisen, dass der Mangel weiterhin vorlag, als er das Mangelrecht gegenüber dem Verkäufer ausgeübt hat (also Rücktritt bzw. Minderung erklärt hat, Schadensersatz verlangt hat usw.). Denn ein (behebbarer) Sachmangel kann jederzeit beseitigt werden oder in bestimmten Fällen auch ohne das Zutun der Vertragsparteien (von selbst) wieder entfallen. Darüber hinaus muss der Verbraucher im Falle eines Gerichtsprozesses grundsätzlich auch beweisen, dass der Sachmangel zum Zeitpunkt des letzten Gerichtstermins noch fortbestanden hat.

Streng genommen müsste der Verbraucher also bezogen auf diese späteren Zeitpunkte den vollen Beweis für das Vorliegen eines Mangels erbringen und hätte somit auch nachzuweisen, dass der mangelhafte Zustand tatsächlich auf einer dem Verkäufer haftungsrechtlich zuzurechnenden Ursache beruht (und nicht nur - neben anderen Ursachen - darauf beruhen kann).

Lösung: "Ausstrahlungswirkung" und "Fortwirkung" der gesetzlichen Vermutung

Zum Schutz des Verbrauchers und um die gesetzliche Vermutung im Ergebnis nicht weitestgehend leerlaufen zu lassen, wird deshalb der gesetzlichen Vermutungswirkung in § 477 BGB von Seiten der Rechtsprechung über den Wortlaut der Vorschrift hinaus eine sog. "Ausstrahlungswirkung" und eine sog. "Fortwirkung" wie folgt zugeschrieben:

"Ausstrahlungswirkung" innerhalb der Jahresfrist

Hat der Verbraucher innerhalb der Jahresfrist

- alle Voraussetzungen für die Entstehung des betreffenden Mangelrechts geschaffen (d.h. insbesondere den Mangel beim Verkäufer gerügt und dem Verkäufer erfolglos eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt)

und

- das Mangelrecht gegenüber dem Verkäufer geltend gemacht (also z.B. den Rücktritt bzw. die Minderung erklärt oder Schadensersatz verlangt),

reicht bezogen auf sämtliche Zeitpunkte, die neben dem Zeitpunkt der Übergabe für die Durchsetzung des Mangelrechts zusätzlich maßgeblich sind und die innerhalb des (gesamten) Jahreszeitraums liegen, der Nachweis des Vorhandenseins einer Mangelerscheinung aus.

Der Verbraucher muss dann also nur beweisen, dass die gerügte Mangelerscheinung (der mangelhafte Zustand) noch fortbestanden hat, als er z.B. den Rücktritt erklärt oder vom Verkäufer Schadensersatz verlangt hat. Nicht erforderlich ist dagegen der Beweis der Verursachung des mangelhaften Zustands durch den Verkäufer.

Die Rechtsprechung spricht hierbei von einer sog. "Ausstrahlungswirkung" der gesetzlichen Vermutungswirkung des § 477 BGB.

"Fortwirkung" nach Ablauf der Jahresfrist

Auch bezogen auf solche für die Durchsetzung des Mangelrechts maßgeblichen Zeitpunkte, die außerhalb der Jahresfrist liegen (z.B. der Zeitpunkt des letzten Termins im Gerichtsprozess), muss der Verbraucher lediglich das Fortbestehen der innerhalb der Jahresfrist unstreitig oder nachgewiesenermaßen aufgetretenen Mangelerscheinung beweisen, nicht aber deren Verursachung durch den Verkäufer.

Insoweit spricht die Rechtsprechung von einer sog. "Fortwirkung" der Vorschrift des § 477 BGB.

Rechtsprechungsnachweis: BGH, Urteil vom 10.11.2021, Az.  VIII ZR 187/20.



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