Hass-Postings auf Facebook: Ist die Aussage „bekannter Neonazi“ eine zulässige Meinungsäußerung?

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OLG Stuttgart: Die Bezeichnung „bekannter Neonazi“ stellt in bestimmten Fällen eine zulässige Meinungsäußerung dar

Äußert oder billigt jemand öffentlich typisches rechtsradikales Gedankengut, kann die Bezeichnung dieser Person als „bekannter Neonazi“ eine zulässige Meinungsäußerung darstellen (OLG Stuttgart, Urteil vom 23.09.2015, Az.: 4 U 101/15).

Die momentane politische Lage erscheint dem äußeren Betrachter als eine hitzig aufgeladene Mischung des politischen und gesellschaftlichen Spektrums. Die gegenwärtige Flüchtlingspolitik fördert verlorengeglaubte Ressentiments zutage, die in unterschiedlichster Form verbreitet werden.

Was dabei rechtsradikal und strafbar ist, beschäftigt die Justiz und den Gesetzgeber immer wieder.

Nicht erst seit der Diskussion um „Hass-Postings“ auf Facebook bestehen rechtsdogmatische Streitigkeiten über die Abwägung der Meinungsäußerung einerseits und einer möglichen Persönlichkeitsrechtverletzung andererseits.

Das Oberlandesgericht Stuttgart entschied in einem Fall, dass die Bezeichnung „bekannter Neonazi“ für einen „Blogger“ – dessen Webseite der rechtsextremen Szene zuzuordnen ist- eine zulässige Meinungsäußerung darstellt (OLG Stuttgart, a. a. O.).

Besonders interessant an dieser Entscheidung ist die Begründung des Gerichts und die damit einhergehende Stärkung der Meinungsäußerung bei zweifelhaften Deutungen von Aussagen und Behauptungen.

Der gegenständliche Sachverhalt

In dem gegenständlichen Sachverhalt, den das OLG Stuttgart zu entscheiden hatte, klagte ein parteiloser politischer Blogger, dessen Homepage den Titel trägt: „Islamisierung und Linkstrend stoppen — Grundrechte schützen — Demokratie stärken“. In seinen Veröffentlichungen thematisiert der Kläger nach eigenen Angaben unter anderem die „europäische Islamisierung“ und die damit einhergehenden „Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung“.

In einem Artikel, der sowohl in der Printausgabe erschien als auch online abrufbar war, bezeichnete eine beklagte Stuttgarter Zeitung diesen Blogger als „bekannten Neonazi“, nachdem dieser an einer Pegida-Demonstration in Karlsruhe teilgenommen hatte. In dieser Bezeichnung sah der Kläger eine Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte und stellte einen Verfügungsantrag gegen die Zeitung.

Dieser Verfügungsantrag hatte einen Anspruch auf Unterlassung der Bezeichnung „bekannter Neonazi“ nach §§ 1004 i. V. m. 823 Abs. 1 BGB und §§ 823 Abs.2 BGB i. V. m. § 186 StGB zum Inhalt.

Jedoch lehnte sowohl das erstinstanzliche Gericht (LG Stuttgart, Urteil vom 11.06.2015, Az.: 11 O 80/15) als auch das Berufungsgericht diesen Anspruch ab.

Die Bezeichnung „bekannter Neonazi“ ist keine Tatsachenbehauptung, sondern eine Meinungsäußerung

In seiner Begründung führte das Oberlandesgericht Stuttgart aus, dass die Bezeichnung „bekannter Neonazi“ keine Tatsachenbehauptung sei, sondern die angegriffene Äußerung in dem konkreten Fall von der Meinungsäußerung gedeckt sei.

Auch wenn eine solche Beschreibung einen erheblichen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers bedeutet, da sie in ihrem sozialen Geltungsanspruch erhebliche Beeinträchtigung sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld begünstige (u. a. OLG Frankfurt NJW-RR 1996, 1050f.), stelle dieser Eingriff nicht zwangsläufig einen rechtswidrigen Eingriff dar, welcher einen Unterlassungsanspruch rechtfertigt. Vielmehr müsse im Kontext zum Umfeld und den Tätigkeiten des Klägers geprüft werden, ob eine etwaige schlagwortartige Bewertung der geistigen Haltung zutreffe (OLG Jena, BeckRS 2009, 23868).

Diese Einordnung in den Gesamtzusammenhang bedarf es, da die Reichweite der Persönlichkeitsrechte nicht absolut wirken, sondern begrenzt sind. Eine Grenze stellen dabei die widerstreitenden grundrechtlichen Belange dar. Vorliegend kam hierbei die Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG in Betracht.

Generell gilt: ein Eingriff in ein Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen überwiegt (u. a. BVerfG NJW 2009, 3016 ff.). Dabei stellte das Gericht fest, dass der Begriff „Neonazi“ keine objektiv überprüfbare Tatsachenbehauptung sei und es damit nicht allein auf den Wahrheitsgehalt dieser Bezeichnung ankäme. Gerade solche schwammigen Begriffe, deren Zuordnung sowohl einer Meinungsäußerung als auch einer Tatsachenbehauptung nahe stünden sei im Zweifelsfall im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Schutz der Meinungsäußerung auf die Grundrechte –auch und gerade der Medien – abzustellen.

Somit lag der Kern der gerichtlichen Auseinandersetzung in der Abwägung zwischen Regulierung der Meinungsfreiheit der beklagten Zeitung und der Bestätigung einer rechtswidrigen Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers.

Nicht zuletzt wegen der medial getätigten Aussagen des Klägers, entschied das Gericht, dass dem Kläger eindeutig rechtsextremes Gedankengut nachzuweisen und deswegen eine schlagwortartige Verkürzung seiner geistigen Haltung als „(bekannter) Neonazi“ zulässig sei.

„Neonazi“ – ein Definitionsansatz

Die rechtsradikale Szene wird vom Verfassungsschutz ebenso beobachtet wie von der Forschung und dem Journalismus. Es erscheinen tagtäglich Artikel über die „Neue Rechte“ und deren Forderungen und Aussagen. Jedoch lässt sich dieses heterogene Umfeld nicht einfach fassen und eine allgemeingültige Definition lässt sich schwerlich finden. Diesem Umstand trägt auch das vorliegend behandelte Urteil Rechnung, indem für die Begriffserklärung die negativen und positiven Voraussetzungen des Verfassungsschutzberichts zugrunde gelegt wurden.

Hiernach ist das Bekenntnis zu den Gräueltaten des Nationalsozialismus keinesfalls als Ausgangspunk für die Begriffszuweisung „Neonazi“ angeführt. Im Gegenteil stellte die Bundeszentrale für politische Bildung fest, dass in Teilen der rechtsradikalen Szene dies als Abkehr von der „reinen Lehre des wahren Nationalsozialismus“ angesehen werde. Der Begriff „Neonazi“ sei vielmehr im Vergleich zu den eigentlichen Zielen des Nationalsozialismus zu sehen.

Dazu zählt die rassistische Hetze gegen Ausländern und das Ideal des „Völkischen“. Einzelne Äußerungen sind jeweils nach dem Inhalt zu bestimmen und damit ebenfalls im Einzelfall als rechtsradikal einzustufen.

Erstellt von: Rechtsanwalt Marc Sturm, Anwaltskanzlei Sturm, Dr. Körner & Partner in Aichach, in Zusammenarbeit mit stud. iur. Kevin Joder (Uni Konstanz).


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