Hinweisbeschluss des Landgerichts Ingolstadt: Audi muss Details zu EA897 offenlegen

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Was die zuständigen Behörden bislang weitgehend versäumt haben, erledigen nun die Gerichte. Sie zwingen die Autohersteller Transparenz zu den Abschalteinrichtungen in ihren Dieselmotoren herzustellen. 

In einem wegweisenden Hinweisbeschluss hat das Landgericht Ingolstadt Audi dazu aufgefordert, Details zum Thermofenster, zu Entscheidungsprozessen im Konzern und zum Genehmigungsverfahren beim Kraftfahrtbundesamt herzustellen (Beschluss vom 30.07.2020, Az. 34 O 1547/19). 

Die Schadensersatzklage des Käufers eines Audi A5 3,0 l Quattro Sportback hat beim Landgericht Ingolstadt eine Menge Fragen aufgeworfen. Das Dieselfahrzeug ist mit einem von Audi entwickelten EA 897-Motor der Abgasnorm Euro 5 ausgestattet, bei dem eine Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters  wirkt.
Nach PEMS-Messungen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) führt diese Softwaremanipulation dazu, dass die Fahrzeuge auf dem Prüfstand sauber sind, aber im Realbetrieb auf der Straße vor allem bei niedrigen Temperaturen extrem hohe Mengen an gesundheitsschädlichen Stickoxiden (NOx) ausstoßen – bis zu acht Mal mehr als die gesetzlichen Grenzwerte zulassen. Mit diesen Messergebnisse hatte der geschädigte Audi-Käufer seine Klage begründet.

Audi  hat die Verwendung des Thermofensters vor Gericht grundsätzlich eingeräumt, allerdings keine Informationen zur Wirkungsweise, zum Temperaturrahmen und weiteren technischen Daten herausgegeben. Stattdessen argumentierte der Konzern, dass Thermofenster erstens ein Industriestandard seien und zweitens nach Art. 5 Abs. 2 der europäischen Verordnung 715/2007 zum Zweck des Motorschutzes erlaubt wären. Im Übrigen berief sich das Unternehmen auf einen „Verbotsirrtum“. Schließlich habe das Kraftfahrt Bundesamt (KBA) die Typgenehmigung für das Fahrzeug erteilt und bislang keinen Rückruf dafür angeordnet. Außerdem hätten auch Gerichte Thermofenster für zulässig erachtet. 

Dieser Argumentation ist das Landgericht Ingolstadt in seinem Hinweisbeschluss nicht gefolgt. Weshalb es sich beim Einbau des Thermofensters um einen „Verbotsirrtum“ handeln solle, habe der Autohersteller nicht substantiiert begründet, so die Kammer. Anstatt dem Kläger unzureichende Darlegungen vorzuwerfen, hätte Audi selbst seiner Darlegungs- und Beweislast nachkommen müssen.

Die Implementierung einer Abgasstrategie sei eine bewusste Entscheidung, zumal Audi die Zulässigkeit des Thermofensters mit dem Ausnahmetatbestand „Motorschutz“ begründet habe. Das Unternehmen sei sich also der Gefahr bewusst gewesen, dass die Softwaremanipulation doch illegal sein und das Modell seine Typengenehmigung verlieren könnte.

Abschalteinrichtungen, die die Wirksamkeit Emissionskontrollsystems im Fahrzeug beeinflussen, sieht das Ingolstädter Gericht – ebenso wie die Generalanwaltschaft beim Europäischen Gerichtshof – nur in sehr engen Grenzen ausnahmsweise als zulässig an. Ein Thermofenster darf demnach nur innerhalb eines engen Temperaturrahmens wirken und auch nur so lange, dass das Fahrzeug nach einem Kaltstart innerhalb weniger Minuten (z. B. nach 400 Sekunden) in einen Betriebsmodus gelangt, in dem es die Schadstoffgrenzwerte einhält – und das auch bei niedrigen Außentemperaturen. 

Dass das Kraftfahrt-Bundesamt die Typgenehmigung für das Fahrzeug erteilt hatte, ist für die Kammer vor diesem Hintergrund ohne Bedeutung. Diese Genehmigung sei nur dann rechtlich relevant und bindend, wenn Audi seiner Pflicht nachgekommen wäre und im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens alle notwendigen Daten zum Thermofenster offengelegt hätte. Dazu stellte das Gericht dazu fest: „Aus dem bisherigen Vortrag ist für das Gericht nicht erkennbar, ob die Abgasstrategie ‚Thermofenster‘ überhaupt dargelegt wurde. Die Beklagte lässt einen klaren Vortrag hierzu vermissen und führt vielmehr umfassend aus, zu was sie nach ihrer Rechtsauffassung nicht verpflichtet gewesen sei.“ 

Das Landgericht hat Audi nunmehr unmissverständlich aufgefordert, seiner Darlegungs- und Beweislast nachzukommen. Der Konzern muss detailliert erklären, wie, in welchem Temperaturrahmen und mit welcher Dauer sein Thermofenster funktioniert. Außerdem muss er die Entscheidungswege und Verantwortlichkeiten bei der Installation der Abschalteinrichtung offenlegen und nachweisen, dass dabei die gesetzlichen Vorgaben eingehalten wurden. Schließlich muss der Autohersteller auch darlegen, inwieweit er das KBA beim Typengenehmigungsverfahren über das Thermofenster informiert hat – bzw. weshalb dies nicht erfolgt ist. „Zweifel“, so das Gericht, „wirken sich zu Lasten der Beklagten aus.“

Dieser Beschluss setzt ein klares Signal gegen die Verschleierungstaktik der Autohersteller und das Wegsehen von Behörden wie dem KBA, das möglicherweise selbst getäuscht wurde. Wenn dieses Beispiel Schule macht, kommt es hoffentlich endlich zur längst fälligen lückenlosen Aufklärung der Abgas-Tricksereien – und das nicht nur beim EA 897, sondern auch bei weiteren manipulationsverdächtigen Motoren wie dem EA 288, dem EA 896 oder einigen OM-Motoren von Daimler. Im Interesse der geschädigten Autokäufer begrüßen wir das sehr.


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