Hörgeräte: Festbeträge sind nicht zulässig

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Festbeträge für Hörgeräte sind nicht zulässig. Dies hat das Bundessozialgericht entschieden. Der 3. Senat hat die beklagte Securvita BKK zur Übernahme der den Festbetrag übersteigenden Kosten für eine Versorgung mit digitalen Hörgeräten verurteilt (BSG, Urt. v. 17.12.2009, Az. B 3 KR 20/ 08 R) und damit die Rechte von zahllosen hörgeschädigten Menschen nachhaltig gestärkt.

Wie wir bereits berichteten, war die Übernahme der vollen Kosten eines digitalen Hörgerätes durch die Krankenkasse streitig. Unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe die Krankenkasse die Kosten für ein digitales Hörgerät zu tragen hat und ob sie ihre Leistungspflicht auf einen die Kosten der Versorgung unter Umständen nicht vollständig abdeckenden Festbetrag begrenzen kann, ist damit nunmehr höchstrichterlich geklärt - zumindest für ca. 125.000 Menschen mit einem Hörverlust von nahezu 100%.

Hintergrund

Der 1982 geborene Kläger leidet seit Geburt an hochgradiger Schwerhörigkeit, inzwischen ist er nach ärztlicher Einschätzung praktisch ertaubt. Der Hörverlust liegt damit bei 100 %; zuletzt fanden sich nur im Tief- und Mitteltonbereich Hörreste, die bei ausreichender Verstärkung Hören und zum Teil Verstehen ermöglichen. Zum Ersatz seiner alten Hörhilfe beantragte der Kläger bei der Beklagten Anfang 2004 die Versorgung mit einem digitalen Hörgerät und legte dazu eine ohrenärztliche Verordnung sowie den Kostenvoranschlag eines Hörgeräteakustikers vor. Grundlage dafür waren im November 2003 durchgeführte Anpassungsversuche, bei der vier Geräte unter Einschluss eines zuzahlungsfreien Hörgeräts getestet wurden; zwei davon schloss der Kläger wegen auftretender Rückkopplungen aus und entschied sich dann für das Gerät, das eine bessere Verständlichkeit und ein angenehmeres Klangbild bot. Die Beklagte bewilligte die Übernahme der "Kosten für die Hörgeräteversorgung zum Kassensatz für die Gruppe 3", lehnte es aber ab, die den Festbetrag übersteigenden Kosten in Höhe von 3.073 Euro zu übernehmen.

Das Sozialgericht hatte Beweis erhoben durch Einholung u.a. eines Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob die Versorgung mit einem Festbetragshörgerät objektiv ausreicht. denn bereits nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zur Sachleistung begrenzt der Festbetrag die Leistungspflicht der Krankenkasse dann nicht, wenn er für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderungen objektiv nicht ausreicht. Der Gutachter führte an, analoge Geräte könnten Rückkopplungseffekte nur unvollkommen unterdrücken, was für höher und hochgradig Schwerhörige problematisch sei. Bei der vom Kläger benötigten Verstärkerleistung seien Rückkopplungseffekte mit analoger Technik und mit Digitalhörgeräten zum Festbetrag nicht ausreichend vermeidbar. Die dazu erforderliche höchst komplexe Verstärkung sei nur mit höherwertigen Prozessoren im Hörgerät zu bewältigen. Dafür sei das begehrte Hörgerät nach dem Anpassungsbericht des Hörgeräteakustikers in höherem Maße geeignet als die anderen. Ihm kämen wesentliche Gebrauchsvorteile gegenüber den verglichenen Geräten zu; ein Gerät der Hörgerätegruppe 3 zum Festpreis sei medizinisch nicht ausreichend. Dagegen ist der MDK-Gutachter bei seiner Einschätzung geblieben, dass ein Anspruch auf optimale Hilfsmittelversorgung nicht bestehe. Die hier gewünschte optimale Hörgeräteversorgung sei zu kostspielig, denn eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit bestehe bei etwa 5 % aller Hörgeräteträger und damit bei etwa 125.000 Personen. Wäre die Festbetragsregelung in allen diesen Fällen unbeachtlich, entstünde ein Kostenaufwand, den der Gesetzgeber gerade habe unterbinden wollen. Im Übrigen fehle für den höheren therapeutischen Nutzen digitaler Geräte ein wissenschaftlicher Beleg im Sinne von § 139 SGB V. Zutreffend sei jedoch, dass das hier beanspruchte Gerät Gebrauchsvorteile habe.

Nachdem das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilte, hat das Landessozialgericht auf die Berufung der Krankenkasse das Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Die Krankenkasse habe ihre Leistungspflicht zutreffend auf den Festbetrag begrenzt und dieser lasse eine einzelfallbezogene Fallentscheidung nicht zu. Eine Abweichung von der leistungsbegrenzenden Wirkung der Festbetragsfestsetzung sei allein möglich, wenn mit den Festbeträgen nur Hörgeräte zu beschaffen wären, die zum Ausgleich der Hörbehinderung, auch des beim Kläger vorliegenden Ausmaßes, objektiv nicht ausreichen würden. Dies sei hier nicht der Fall, weil dem Kläger eine Verständigung beim Einzelgespräch unter direkter Ansprache mit dem bisher gewährten Gerät gut möglich gewesen sei. Auch ein Fall des Systemversagens liege nicht vor.

Ausblick

Nach der heutigen Entscheidung des Bundessozialgerichts hat die Krankenkasse jedoch für die medizinisch notwendige Versorgung eines nahezu ertaubten Versicherten mit einem digitalen Hörgerät über den bereits übernommenen Teilbetrag (hier 987,31 Euro) hinaus auch die restlichen Kosten (hier 3.073 Euro) zu tragen.

Zum Ausgleich von Hörbehinderungen haben die Krankenkassen nämlich für die Versorgung mit solchen Hörgeräten aufzukommen, die nach dem Stand der Medizintechnik die bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder erlauben und gegenüber anderen Hörhilfen erhebliche Gebrauchsvorteile im Alltagsleben bieten. Daran müssen auch die Festbeträge der Krankenkassen ausgerichtet werden. Demzufolge begrenzt der für ein Hilfsmittel festgesetzte Festbetrag die Leistungspflicht der Krankenkasse dann nicht, wenn er für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreicht. Das beurteilt sich nach den Versorgungsanforderungen der jeweils betroffenen Gruppe von Versicherten, hier der etwa 125.000 Personen mit einem Hörverlust von nahezu 100%. Sie konnten zur Überzeugung des Bundessozialgerichts mit den für Baden-Württemberg im Jahr 2004 geltenden Festbeträgen nicht ausreichend versorgt werden.

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