Insolvenzverschleppung durch den faktischen Geschäftsführer

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BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2014 – 4 StR 323/14 und 4 StR 324/14

Leitsatz des BGH

Der faktische Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung kann Täter einer Insolvenzverschleppung nach § 15a Abs. 4 InsO sein.

Maßgebliche Vorschrift und rechtlicher Kontext

15a Abs. 1 InsO regelt die Insolvenzantragspflicht bei juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit und lautet wie folgt:

„Wird eine juristische Person zahlungsunfähig oder überschuldet, haben die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, einen Eröffnungsantrag zu stellen. Das Gleiche gilt für die organschaftlichen Vertreter der zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigten Gesellschafter oder die Abwickler bei einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, bei der kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist; dies gilt nicht, wenn zu den persönlich haftenden Gesellschaftern eine andere Gesellschaft gehört, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist.“

Wird gegen diese Vorschrift verstoßen, kommt eine Strafbarkeit der hierzu verpflichteten Leitungsorgane gem. § 15a Abs. 4 InsO in Betracht. Dieser lautet auszugsweise wie folgt:

Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen Absatz 1 Satz 1 […] einen Eröffnungsantrag nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig stellt.

Neben dem formell bestellten Geschäftsführer einer Gesellschaft kann es in bestimmten Konstellationen auch einen sog. faktischen Geschäftsführer geben. Rechtlich wird die GmbH nur durch den oder die förmlich bestellten Geschäftsführer, also im Normalfall durch den oder die im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführer vertreten. Oftmals handelt es sich hier um sog. Strohmann-Konstellationen, weil der faktische Geschäftsführer aufgrund von Straftaten oder Vermögensverfall selbst nicht mehr als formeller Geschäftsführer bestellt werden kann. Der faktische Geschäftsführer zieht also die Fäden ,,von hinten” und schiebt den formellen Geschäftsführer vor.

Der faktische Geschäftsführer kann sowohl zivilrechtlich aus Delikt haften als auch strafrechtlich, so etwa für das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt nach § 266a StGB.

Die Beurteilung, ob jemand als faktischer Geschäftsführer agiert, ist nicht immer einfach.

In der Rechtsprechung des BGH lassen sich cum grano salis die folgenden Kriterien bzw. Anhaltspunkte für die Annahme einer faktischen Organstellung herausarbeiten, die bei dem faktischen Geschäftsführer in Mehrzahl vorliegen müssen:

– Bestimmung der Unternehmenspolitik,
– Unternehmensorganisation,
– Einstellung von Mitarbeitern,
– Gestaltung der Geschäftsbeziehungen zu Vertragspartnern,
– Verhandlung mit Kreditgebern,
– Gehaltshöhe,
– Entscheidungen in Steuerangelegenheiten,
– Steuerung der Buchhaltung.

Vgl. exemplarisch BGH, Urteil vom 10.07.1996 – 3 StR 50/96 = NJW 1997, 66 [67]; für eine Übersicht der Rechtsprechung vgl. etwa Dierlamm, NStZ 1996, 153.

Von diesen acht klassischen Merkmalen müssen sechs Merkmale in der Person des faktischen Geschäftsführers vereint sein.

BayObLG, Urteil vom 20.02.1997 – 5 St RR 159/96 = NJW 1997, 1936; Dierlamm, NStZ 1996, 153 [156]

Dabei ist für die deliktische Haftung einer Person als faktischer Geschäftsführer insbesondere erforderlich, dass der Betreffende nach dem Gesamterscheinungsbild seines Auftretens die Geschicke der Gesellschaft – über die interne Einwirkung auf die satzungsmäßige Geschäftsführung hinaus – durch eigenes Handeln im Außenverhältnis maßgeblich in die Hand genommen hat.

BGH, Urteil vom 27.6.2005 – II ZR 113/03 = NZG 2005, 755

Für die Haftung einer solchen Person als faktischer Geschäftsführer genügt es nicht, dass diese auf den satzungsmäßigen Geschäftsführer lediglich gesellschaftsintern einwirkt. Erforderlich ist auch ein nach außen hervortretendes, üblicherweise der Geschäftsführung zuzurechnendes Handeln.

BGH, Urteil vom 25.02.2002 – II ZR 196/00 = NZG 2002, 520 (522)

Andererseits genügt das reine Handeln nach außen hin noch nicht für sich genommen für die Annahme einer faktischen Geschäftsführung.

OLG München, Urteil vom 08.09.2010 – 7 U 2568/10 = BeckRS 2010, 23061

Zudem muss der faktische Geschäftsführer den gesellschaftsrechtlich bestellten Geschäftsführer gänzlich verdrängt haben oder diesem gegenüber ein erhebliches Übergewicht bzw. eine überragende Stellung in der Geschäftsführung gewonnen haben.

BGH, Beschluss vom 13.12.2012 – 5 StR 407/12 = NJW 2013, 624 [625]; BGH, Urteil vom 22.09.1982 – 3 StR 287/82 = NJW 1983, 240 [241]; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.1987 – 5 Ss 193/87 = NJW 1988, 3166

Wie auch das Kammergericht Berlin bereits zutreffend entschieden hat, kommt zudem eine Haftung nur dann in Betracht, wenn der so genannte faktische Geschäftsführer einen Auftrag zur Übernahme der Geschäftsführung des Inhabers des Betriebes oder der sonstigen der zu befugten Personen annimmt.

KG, Urteil vom 26.11.1996 – 9 U 6892/95 = NJW-RR 1997, 1126

Der notwendige Gegenpol dieses faktischen Geschäftsführers könnte nur der formal bestellte Geschäftsführer als Scheingeschäftsführer sein. Die Rechtsposition des förmlich bestellten Geschäftsführers einer GmbH muss, um eine rechtlich verbindliche Verantwortlichkeit  begründen zu können, auch davon gekennzeichnet sein, dass sie mit tatsächlichen Befugnissen ausgestattet ist. Tauglicher Täter ist danach nicht, wer nur über den sich aus der Bestellung zum Geschäftsführer ergebenden Rechtsschein verfügt, aber über keine Kompetenzen, um auf die rechtliche und wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaft Einfluss zu nehmen.

OLG Hamm, Beschluss vom 10.02.2000 – 1 Ss 1337/99 = NStZ-RR 2001, 173 [174]

Im vorliegenden Beschluss ging es um die Frage, ob ein solcher faktischer Geschäftsführer für die unterbliebene oder verspätete Stellung eines Insolvenzantrags haftet. Die Frage war aufgekommen, weil durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. Oktober 2008 mit Wirkung zum 1. November 2008 die bis dahin bestehenden Vorschriften zur Insolvenzantragstellung in verschiedenen Einzelgesetzen durch § 15a InsO ersetzt wurden.

Sachverhalt

Das Landgericht hatte den faktischen Geschäftsführer einer GmbH wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung nach § 15a Abs. 4 InsO verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision wurde als unbegründet zurückgewiesen.

Entscheidung des BGH

Der BGH stellt klar, dass die oben genannte Gesetzesänderung ohne Einfluss auf die Strafbarkeit auch des faktischen Geschäftsführers bleibt:

„Der Wortlaut des § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO – „Mitglieder des Vertretungsorgans“ – schließt entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht (vgl. Ulmer/Ransiek, GmbHG, vor § 82 Rn. 60; Kreft/Kleindiek, – 4 – Insolvenzordnung, 6. Aufl., § 15a Rn. 40) den faktischen Geschäftsführer nicht aus. Die Formulierung umschreibt zusammenfassend die Verantwortlichen verschiedener Gesellschaftsformen. „Mitglied des Vertretungsorgans“ der Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist der Geschäftsführer, dem nach ständiger Rechtsprechung der faktische Geschäftsführer gleichsteht. Für die Strafbarkeit des faktischen Geschäftsführers spricht auch die Begründung des Gesetzesentwurfs. Durch die Neuregelung sollten die Vorschriften zur Insolvenzantragstellung aus verschiedenen Einzelgesetzen (GmbHG, AktG, GenG, HGB) rechtsformneutral geregelt und wortgleich erfasst werden (BT-Drucks. 16/6140 S. 55). Eine Einschränkung der strafbewehrten Pflicht zur Antragstellung war mit dem MoMiG nicht bezweckt, vielmehr sollten Schutzlücken vermieden werden (BT-Drucks. 16/6140 aaO). Auch ergibt sich aus der Begründung zu § 15a Abs. 3 InsO (BT-Drucks. 16/6140 S. 56), wonach durch die vorgesehene Regelung zu der Fallgruppe der führungslosen Gesellschaft „die Rechtsprechung zum faktischen Geschäftsführer und die weitere Rechtsentwicklung hierzu nicht berührt [werden]“, dass der Gesetzgeber die Verantwortlichkeit des faktischen Geschäftsführers nicht einschränken wollte (so auch Kuhn, Die GmbH-Bestattung [2011] S. 200 f.; Biehl, Geschäftsführer- und Gesellschafterhaftung wegen Insolvenzverschleppung bei der GmbH [2013] S. 62 f.). Dass durch die Neufassung des § 15a InsO die (strafrechtliche) Haftung des faktischen Geschäftsführers bei Insolvenzverschleppung keine Änderung erfahren hat, ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch bereits inzident bejaht worden (Beschluss vom 21. August 2013 – 1 StR 665/12, NJW 2014, 164; Beschluss – 5 – vom 15. November 2012 – 3 StR 199/12, NJW 2013, 1892; Beschluss vom 26. Mai 2009 – 4 StR 10/09; Urteil vom 1. Februar 2009 – II ZR 209/08, NJW-RR 2010, 1048, 1050).“



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