Ist der Verkaufswert oder der Verkehrswert für die Bemessung des Pflichtteilsanspruchs maßgeblich?

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Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 25.11.2010 – IV ZR 124/09 hierüber zu urteilen und stellte folgenden Leitsatz auf:

Die Bewertung von Nachlassgegenständen, die nach dem Erbfall veräußert werden, orientiert sich, soweit nicht außergewöhnliche Verhältnisse vorliegen, am tatsächlich erzielten Verkaufspreis. Diese Rechtsprechung heute unreflektiert anzuwenden stellt nach Ansicht des Unterzeichners einen Fehler dar.

Die erste Frage, die man sich zu stellen hat ist meine ich die Folgende: Was waren aus Sicht des Bundesgerichtshofes damals (2010) außergewöhnliche Verhältnisse?

Dieser Leitsatz, dass man sich am Verkaufspreis zu orientieren hätte, falls keine außergewöhnliche Verhältnisse vorliegen, sollte nach dieser Rechtsprechung unabhängig davon gelten, ob die Gegenstände (hier: Grundstücke) zu einem Preis veräußert werden, der über oder unter dem durch einen Sachverständigen ermittelten Schätzwert liegt.

Darlegungs- und beweispflichtig für den Wert des Nachlassgegenstandes im Zeitpunkt des Erbfalls ist der Pflichtteilsberechtigte.

Es gilt m. E. in unseren Zeiten Vorsicht walten zu lassen. Im Kalenderjahr 2010 gab es jedenfalls keine Verhältnisse wie derzeit. In Ballungsgebieten und hervorragenden Lagen waren Preissteigerungen von 10 % pro Jahr und ggf. mehr keine Seltenheit. Daher spricht vieles dafür, diese Tatsache als außergewöhnlichen Verhältnisse im Sinne der Rechtsprechung des BGH zu bewerten.

Gemäß § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB ist der Pflichtteilsberechtigte wirtschaftlich so zu stellen, als sei der Nachlass beim Tod des Erblassers in Geld umgesetzt worden (BGHZ 14, 368, 376; Senatsurteile vom 14. Oktober 1992 - IV ZR 211/91, NJW-RR 1993, 131 unter I 2 a; vom 13. März 1991 - IV ZR 52/90, NJW-RR 1991, 900). Abzustellen ist mithin auf den so genannten gemeinen Wert, der dem Verkaufswert im Zeitpunkt des Erbfalles entspricht.

Auch aus der damaligen Perspektive, die Kenntnis, dass die Preis von Immobilien stabil sind und ggf. ein moderate Werteentwicklung von ggf. 3,5 – 4,5 % zu erwarten ist, lässt sich also noch verstehen, dass der obig genannte Leitsatz jedenfalls dann nicht mehr anwendbar ist, wenn in Zeiten außergewöhnlicher Preissteigerungen dieser Grundsatz durchbrochen wird.

Die ursprünglich angeführte Ursache der Rechtsprechung, wonach Schätzungen des so genannten gemeinen Wertes der Immobilie zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers mit Unsicherheiten verbunden sind, weshalb dem Verkaufswert in wesentlicher Betrachtung ausschlaggebende Bedeutung beigemessen wurde, verkehrt sich aber dann ins Gegenteil, wenn jährliche Preissteigerungen von bis zu 10 % oder mehr zu verzeichnen sind.

Eine insoweit weiter geführte ständige Rechtsprechung , dass sich die Bewertung von Nachlassgegenständen, die bald nach dem Erbfall veräußert worden sind, grundsätzlich an dem tatsächlich erzielten Verkaufspreis orientieren muss (Senatsurteile vom 14. Oktober 1992 und 13. März 1991 aaO; vom 24. März 1993 - IV ZR 291/91, NJW-RR 1993, 834 unter 2; vom 17. März 1982 - IVa ZR 27/81, NJW 1982, 2497), ist insoweit aufgrund der aktuellen Preisentwicklung überholt.

Erst recht muss dies gelten, soweit nach der historischen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auch dann noch auf den Verkaufserlös abstellt werden kann, wenn zwischen Erbfall und Verkauf ein Zeitraum von 3 ½ oder gar 5 Jahren liegt (Urteil des BGH vom 14. Oktober 1992 (IV ZR 21/91, NJW-RR 1993, 131).

MJH Rechtsanwälte, Herr Rechtsanwalt Haas meint: In Fällen, in welchen es um hohe Zahlungsverpflichtungen geht, sollte man Vorsicht walten lassen und auf keinen Fall vorschnell Leitsätze unreflektiert anwenden. Hier kann manchmal ein Rechtstreit klärend sein. Die Rechtsprechung entwickelt sich fort. Manchmal aber leider nicht so schnell wie die Grundstückspreise selbst.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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