Kartellrechtliche Diskriminierung des Online-Handels? - Markenhersteller und ihre Vertriebswege

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Der Online-Handel hat sich in den letzten Jahren zu einem bedeutenden Vertriebsweg entwickelt. Gleichwohl sehen Hersteller von etablierten Markenprodukten dem Online-Handel zum Teil äußerst kritisch entgegen. So ist zum einen von „Beratungsklau“ die Rede, wenn die Kunden nach intensivem Beratungsgespräch im Fachhandel mit geschultem Personal das entsprechende Produkt danach billiger im Online-Handel erwerben. Zum anderen sorgen sich die Markenhersteller um ihr Markenimage und die Qualität ihres Kundendienstes, wenn die hochwertige Markenware etwa über Amazon oder eBay „verramscht“ werde. Aus diesem Grund versuchen zahlreiche Hersteller, ihren Vertriebshändlern durch Einschränkungen ihrer Vertriebsmöglichkeiten bezüglich des Online-Handels, den „guten Ruf“ ihrer Marke zu sichern.

Diese einschränkende Vertriebsvereinbarung steht jedoch im Blickwinkel des Kartellrechts. Sowohl die Rechtsprechung als auch das Bundeskartellamt (z.B. im Falle von Adidas) haben zuletzt zahlreiche Entscheidungen getroffen, welche den kartellrechtlich zulässigen Rahmen für vertikale und selektive Vertriebswege in Bezug auf den Online-Handel herausarbeiten.

Die zu der Thematik ergangene unterschiedliche Judikatur ist primär darauf zurückzuführen, dass sich die kartellrechtlichen Vorgaben und die erfolgte relevante Rechtsprechung auch des EuGH bisher auf den stationären Fachhandel und dessen Vertriebsstruktur bezogen haben.

Rechtlicher Rahmen

Jedem Händler ist es vom Grundsatz her freigestellt, welche Waren er wie und wo vertreibt, sodass er seine Produkte auch im Online-Handel bewerben und verkaufen kann. Kann er jedoch den Vertrieb nicht frei bestimmen, da er durch den Hersteller des Produkts mittels Vertriebsvereinbarung „gesteuert“ wird, liegt hierin eine Wettbewerbsbeschränkung.

Die Regelungen des Art. 101 Abs. 1 AEUV und § 1 GWB untersagen jede Vereinbarung zwischen Unternehmen, die geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und die eine Verhinderung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezweckt oder bewirkt. Eine Beschränkung oder gar ein Verbot des Online-Handels ist bei entsprechender Spürbarkeit wegen Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV oder § 1 GWB wettbewerbswidrig.

Für den Fall, dass ein vom Hersteller etabliertes Vertriebssystem unter den Tatbestand des Art. 101 AEUV, § 1 GWB fällt, kommt gleichwohl noch eine Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV iVm. der Europäischen Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen vom 20.04.2010 (sog. „Vertikal-GVO“) in Betracht.

Beschränkungen des Online-Handels

Nach Auffassung der Europäischen Kommission (Leitlinien zu vertikalen Beschränkungen) darf der Vertrieb von Produkten über das Internet zwischen dem Hersteller und dem Händler nur unter sehr engen Voraussetzungen eingeschränkt werden. Die Zielvorgabe der Kommission liegt vielmehr grundsätzlich darin, den Vertrieb über das Internet im Interesse eines stärkeren Preiswettbewerbs und einer größeren Produktvielfalt zu fördern.

  1. Komplettverbot des Online-Handels kartellrechtswidrig: Ein generelles Verbot des Internetvertriebs durch den Hersteller ist unzulässig. Jedem Händler soll es nach Auffassung der Europäischen Kommission erlaubt sein, den Internetvertrieb nutzen zu können. Der Betrieb einer Webseite des Händlers mit einer Bestellmöglichkeit von Waren durch den Kunden wird als sog. „passiver Verkauf“ qualifiziert, der nicht zu untersagen ist. Das Komplettverbot des Online-Handels ist somit der Hauptfall einer nicht nach Art. 4 Vertikal-GVO freizustellenden schwerwiegenden Kernbeschränkung des Gebiets oder des Kundenkreises, in das der Händler verkaufen darf.
  2. Selektive Vertriebssysteme: Nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 lit. e der Vertikal-GVO sind selektive Vertriebssysteme solche, in denen sich der Anbieter oder Hersteller von Waren verpflichtet, die Vertragswaren oder- dienstleistungen unmittelbar oder mittelbar nur an Händler zu verkaufen („Vertragshändler“), die anhand festgelegter Merkmale ausgewählt werden, und in denen sich diese Händler verpflichten, die betreffenden Waren oder Dienstleistungen nicht an Händler zu verkaufen, die innerhalb des vom Anbieter für den Betrieb dieses Systems festgelegten Gebiets nicht zum Vertrieb zugelassen sind („Verbot der Außenseiterbelieferung“). Der EuGH hat in seiner „Metro I“-Entscheidung (EuGH, Urteil vom 25.10.1977, Az.: Rs. 26/76 – Metro SB-Großmärkte) frühzeitig Kriterien aufgestellt, bei deren Erfüllung bereits nicht von einer wettbewerbswidrigen Beschränkung ausgegangen wird:
  • Die Auswahl der Wiederverkäufer erfolgt anhand objektiver Kriterien qualitativer Art;
  • Die Eigenschaften des Produkts erfordern die Einrichtung eines selektiven Vertriebs zur Wahrung der Produktqualität;
  • Die aufgestellten Kriterien werden diskriminierungsfrei auf alle interessierten Händler angewandt und gehen nicht über das erforderliche Maß hinaus.

Mit diesen Kriterien billigte der EuGH den Markenherstellern – zeitlich noch weit vor der Entwicklung des Internets und des Online-Handels – an der Koordinierung und Positionierung der eigenen Marke den Vorrang vor einem freien Preiswettbewerb auf Händlerebene zu.

Der EuGH bestätigte mit seinem Urteil vom 13.10.2011 (Az. Rs. C-439/09 – Pierre Fabre Dermo-Cosmétique), dass die in der Metro I-Entscheidung dargestellten Kriterien nach wie vor auch im aktuellen Umfeld der Internetökonomie gelten.

Fazit

Die von den Herstellern teilweise „gewünschten“ Beschränkungen des Online-Handels werden von den deutschen Gerichten und dem Bundeskartellamt äußerst kritisch gesehen. Sie sind nur unter engen bestimmten Voraussetzungen denkbar. Da von der Europäischen Kommission die grds. diskriminierungsfreie Gleichbehandlung von Online-Handel und stationärem Fachhandel als Ziel ausgegeben wird, ist diese Zielvorgabe in selektiven und vertikalen Vertriebsverträgen trotz der Besonderheiten des Internetvertriebs umzusetzen.

Die Regelungen der Europäischen Kommission zum Online-Handel in der Vertikal-GVO sind jedoch Gegenstand deutlicher Kritik geworden, da bei bestimmten Produkten der Online-Handel und der stationärer Fachhandel gerade keine vergleichbaren Vertriebskanäle sind. Dies gilt etwa für besonders beratungsintensive Produkte, bei denen der Fachhändler in seinem Ladengeschäft eine erhebliche Vorleistung vollbringt, von welcher der Online-Händler im Anschluss profitieren kann.

Eine Entscheidung des BGH zu den aufgeworfenen Problemkreisen steht noch aus. Hersteller von Markenprodukten sollten gleichwohl zurückhaltend bei der Einschränkung des Online-Handels in ihren Vertriebsverträgen agieren.

Onlinehändler hingegen, die sich beim Einkauf von Markenprodukten vom Hersteller diskriminiert (z.B. beim Einkaufspreis) oder gar ausgeschlossen sehen, sollten sich rechtlich beraten lassen. Für sie gibt es entsprechend der vorstehenden Ausführungen womöglich Ansatzpunkte, sich gegen die vorgenommene Diskriminierung zu wehren.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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