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Neue Erbchancen für „alte“ nichteheliche Kinder

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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinem Beschluss vom 12.07.2017 (Az.: IV ZB 6/15) auch vor dem 01.07.1949 geborenen nichtehelichen Kindern unter bestimmten Voraussetzungen Erbchancen eingeräumt. Das deutsche Recht versagte bisher nach seinem Wortlaut den vor dem 01.07.1949 geborenen nichtehelichen Kindern erbrechtliche Ansprüche nach ihrem Vater, wenn sich der Erbfall vor dem 29.05.2009 ereignet hat. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) sah darin in drei Fällen, in denen die deutschen Gerichte bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht diese Rechtslage bestätigt hatten, eine Verletzung des Diskriminierungsverbotes der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Der BGH trug der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nunmehr durch Auslegung Rechnung, die den „alten“ nichtehelichen Kindern neue Erbchancen eröffnet.

Zum Verständnis dieser neuen Rechtslage ist es erforderlich, zu wissen, dass der EGMR festgestellt hat, dass Deutschland gegen die EMRK verstoßen habe, in dem es einem vor dem 01.07.1949 außerhalb einer Ehe geborenen Kind jegliche erbrechtlichen Ansprüche auf den Nachlass seines 1998 verstorbenen Vaters versagte. Der deutsche Gesetzgeber nahm anschließend diese Entscheidung zum Anlass, durch Neufassung des Artikels 12 § 10 NEhelG für Erbfälle ab einschließlich 29.05.2009 die seit Inkrafttreten des NEhelG im Jahr 1970 geltende erbrechtliche Diskriminierung der „alten“ nichtehelichen Kindern zu beseitigen. Für alle Erbfälle vor dem 29.05.2009 blieb es aber beim Ausschluss erbrechtlicher Beziehung zwischen dem nichtehelichen Kind und seinem Vater sowie väterlichen Verwandten.

Es kam wie es kommen musste: Im Urteil vom 09.02.2017 erklärte der EGMR die von ihm aufgeworfenen Probleme nicht durch das neue deutsche Recht für abschließend gelöst, sondern sah nach wie vor eine Verletzung der EMRK.

Auch nach einer weiteren Entscheidung vom 23.03.2017 bestätigte der EGMR die Rechtsprechung und betonte darüber hinaus, dass Erbrechte des vor dem 01.07.1949 geborenen Kindes nicht davon abhängig gemacht werden können, dass zwischen dem Erblasser und dem nichtehelichen Kind ein „Familienleben“ stattgefunden haben müsse.

Somit nahm der BGH vor diesem Hintergrund eine Kehrtwende in seiner Rechtsprechung vor, in dem er die oben genannte Grundsatzentscheidung vom 12.07.2017 verkündete. Der BGH nahm diese Kehrtwende in der Weise vor, als er das bestehende Recht, also Artikel 2 § 10 NEhelG, im Wege einer Weiterung durch Auslegung auch auf vor dem 29.05.2009 liegende Erbfälle erstreckt. Allerdings besteht auch nach Auffassung des EGMR für ein vor dem 01.07.1949 geborenes nichteheliches Kind aufgrund dieser neuen Rechtslage keine Möglichkeit, noch eine Erbrechtsposition zu erreichen, wenn vor dem 28.05.2009 eine ihm gegenüber rechtskräftige Entscheidung mit anderem Inhalt ergangen ist. Eine Entscheidung im Erbscheinsverfahren ist zwar insoweit nicht schädlich, aber eine andere gerichtliche Entscheidung, die materielle Rechtskraft gegenüber dem betreffenden nichtehelichen Kind entfaltet, schon.

Weiter ist aber grundsätzlich nicht zu verkennen, dass ein Verstoß gegen die EMRK bei Nichtberücksichtigung eines vor dem 01.07.1949 geborenen nichtehelichen Kindes und damit ein Erbrecht dieses nichtehelichen Kindes nur dann zu bejahen ist, wenn eine Verhältnismäßigkeitsprüfung anhand dreier Kriterien nicht zum Nachteil des nichtehelichen Kindes ausfällt.

Abzuwägen sind in erster Linie die Interessen des nichtehelichen Kindes einerseits und der Vertrauensschutz der sonstigen Familienmitglieder zum anderen. Der zweite Gesichtspunkt betrifft die Frage, ob die übrigen Familienmitglieder bzw. Erben zum Zeitpunkt des Erlasses des Urteiles des EGMR vom 28.05.2009 noch mit einem Bestreiten ihrer Rechtsstellung durch das nichteheliche Kind rechnen mussten. Der dritte im Rahmen des Verhältnismäßigkeitstestes zu berücksichtigende Umstand ist die Zeit, die bis zur Geltendmachung von Ansprüchen durch das nichteheliche Kind verstrichen ist.

Wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, bietet die aktuelle und neue Rechtsprechung für vor dem 01.07.1949 geborene nichteheliche Kinder auch wirklich nur eine neue Erbchance, keine Erbgewissheit.

Fazit

Der betreffende Personenkreis, also vor dem 01.07.1949 geborene nichteheliche Kinder, sollten aber bald eine rechtliche Prüfung ihrer Rechtsposition sinnvollerweise durch einen Rechtsanwalt, besser einen Fachanwalt für Erbrecht, vornehmen lassen, da, wie vorstehend ausgeführt, der Zeitfaktor eine entscheidende Rolle einnehmen kann. Vergehen nun längere Zeiträume, in denen das vor dem 01.07.1949 geborene nichteheliche Kind nicht rechtlich aktiv wird, um etwaige Erbansprüche geltend zu machen, muss damit gerechnet werden, dass eine derartige Anspruchsposition untergeht.

[Detailinformationen: RA Arno Wolf, Fachanwalt für Erbrecht, Tätigkeitsschwerpunkte Immobilien- und Insolvenzrecht]

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