OLG Naumburg: VW hat im Hinblick auf Motor EA 288 2.0 EU 6 mit NKS-Technologie getäuscht.

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Während das Landgericht Halle eine Klage betreffend einen VW Golf VII 2.0 TDI Highline am 19.11.2020 noch abwies, weil nach Ansicht des Landgerichts der klägerische Vortrag zur Zykluserkennung nicht nachvollziehbar sei und es hinsichtlich des Thermofensters an einem sittenwidrigen Handeln fehle, verurteilte das OLG Naumburg mit Urteil vom 20.08.2021 (Az.: 8 U 68/20) die Beklagte zur Rückabwicklung des Fahrzeugkaufs.

Das OLG kam zum Ergebnis, dass VW getäuscht habe, indem der Motor EA 288 2.0 EU 6 mit NKS-Technologie in den Verkehr gebracht und konkludent erklärt wurde, dass die Fahrzeuge, in denen dieser Motor verbaut wurde, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügen würde, deren Fortbestand nicht gefährdet sei. Das OLG stellt fest: Diese Erklärung war unzutreffend, weil es sich bei der eingesetzten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung handle.

Zykluserkennung beeinflusst Abgaswerte.

Der Kläger hatte vorgetragen, dass das erworbene Fahrzeug über zwei unzulässige Abschalteinrichtungen in Gestalt eines Thermofensters sowie einer Zykluserkennung verfüge. Nach Ansicht des OLG ist für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung allein entscheidend, ob die Motorsteuerungssoftware die Funktion eines Teils des Emissionskontrollsystems beeinflusst, um Abgaswerte auf dem Prüfstand zum Zwecke der Verbesserung zu beeinflussen. Die Beklagte vertrat die Auffassung, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegen würde, wenn die gesetzlichen NOx-Emissionsgrenzwerte auch ohne Fahrkurvenerkennung eingehalten werden und durch erneute Messungen der Beklagten für den konkreten Fahrzeugtyp bestätigt wurden. Das OLG Naumburg stellt klar:

"Dem lässt sich allenfalls entnehmen, dass die Beklagte unter Vorlage entsprechender eigener Messergebnisse an das KBA herangetreten ist, diesem versichert hat, dass infolge fehlender Grenzwertkausalität keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt und das KBA diesen Standpunkt dann übernommen hat.

[...]

Die hiervon abweichende Auffassung der Beklagten, welche darauf hinausläuft, dass Manipulationen der Messungen auf dem Prüfstand beliebig möglich sein sollen, führt den Sinn und Zweck des Testverfahrens [....] ad absurdum [....] Wäre die Rechtsauffassung der Beklagten richtig, hätten es die Autohersteller in der Hand, in ihren Fahrzeugen erst einmal heimlich Abschalteinrichtungen zu verbauen, welche die sichere Einhaltung der Grenzwerte auf dem Prüfstand gewährleisten, um sich dann im Fall der unerwarteten Entdeckung der Abschalteinrichtungen unter Bezugnahme auf eigene Messungen immer noch darauf berufen zu können, dass diese Abschalteinrichtungen nicht unzulässig seien, weil auch bei ihrer Deaktivierung die Grenzwerte noch eingehalten würden, ohne dabei erklären zu können, warum sie die Abschalteinrichtungen dann überhaupt installiert habe. Vor diesem Hintergrund stellt jede Verwendung einer Standard-Emissionsstrategie, die beim Motorbetrieb zwischen einem genormten Prüfzyklus [...] und anderen Betriebsbedingungen unterscheiden kann und die zu einer geringeren Emissionsminderungsleistung führt, eine unzulässige Abschalteinrichtung dar.

[...]

Die hiervon abweichende rechtliche Bewertung bzw. Verwaltungspraxis des KBA hat keinerlei Grundlage in der VO (EG) Nr. 715/2007 und ist auch sonst haltlos, weshalb es auch unerheblich ist, dass das KBA für Fahrzeuge mit EA 288 Motoren bisher noch keinen Rückruf angeordnet hat."

Deshalb wurde VW vorliegend zu Schadensersatz verurteilt, da im streitgegenständlichen Fahrzeug mit dem VW-Motor EA 288 eine Fahrkurvenerkennung verwendet wird, was einer Täuschung mittels Kippschalterlogik mit Prüfstanderkennung im VW-Motor EA 189 gleichsteht. 

Keine Unregelmäßigkeiten bei der Verwendung des Motors EA 288 durch VW eingeräumt.

Die Sittenwidrigkeit des Handelns ergebe sich dabei nicht allein aus dem Profitinteresse unter Ausnutzung des Vertrauens der Käufer in das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) als öffentliche Institution, sondern insbesondere auch durch die Inkaufnahme der Schädigung der Käufern und der Umwelt. Es komme auch nicht auf die Motivation des Käufers an, ob dieser nun ein besonderes Umweltbewusstsein besaß und ein geringerer Emissionsausstoß Motiv für die Kaufentscheidung geworden sei oder nicht.

Während VW in den Fällen betreffend den Motor EA 189 ab September 2015 die Öffentlichkeit informierte und Unregelmäßigkeiten eingeräumt hat, wurde sich im Hinblick auf den Motor EA 288 darauf beschränkt, lediglich dem KBA Unregelmäßigkeiten offenzulegen, nämlich dass auch im Nachfolgemotor EA 288 eine Abschalteinrichtung verbaut wurde. Die Öffentlichkeit - so das OLG - erfuhr davon nichts. 

Die Signalwirkung der Entscheidung auf andere Gerichte und die weiteren Entwicklungen um den Motor EA 288 bleiben abzuwarten. 

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RA Thomas Ritter
Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz
Wirtschaftsmediator (MuCDR)

Herr RA Thomas Ritter berät und vertritt Geschädigte im Kontext des sog. Abgasskandals seit 2015.

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Foto(s): RITTER Rechtsanwälte


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