OLG Naumburg zum Umfang der Akteneinsicht für den Verteidiger in Bußgeldsachen

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Der Verteidiger hat im Rahmen eines Bußgeldverfahrens, das eine Geschwindigkeitsüberschreitung zum Gegenstand hat, das Recht auf Akteneinsicht in alle Unterlagen, die auch dem Sachverständigen zur Verfügung gestellt werden. Das folgt aus dem Gesichtspunkt der Gewährleistung eines fairen Verfahrens (Art. 6 EMRK), der Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der der Rechtspflege (§ 1 BRAO) und dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit.

Das hat das OLG Naumburg entschieden und damit ein Urteil des Amtsgerichts Dessau-Roßlau aufgehoben und dem dortigen Abteilungsrichter nebenbei gleich noch mitgeteilt, dass überdies die Begründung eine Verurteilung wegen Vorsatzes ohnehin nicht trage.

Kurz zum Sachverhalt: In einem Bußgeldverfahren wurde dem Verteidiger der Betroffenen weder im gerichtlichen Verfahren noch im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde eine ausreichende Einsicht in die Bedienungsanleitung des Geschwindigkeitsmessgerätes gewährt.

Der Verteidiger der Betroffenen hatte daher in der mündlichen Verhandlung einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens gestellt, den er mit einer vorherigen unzureichenden Gewährung von Akteneinsicht (§ 147 Abs. 1 StPO) begründet hatte. Diesen Antrag hatte der Richter im Bußgeldverfahren vor Urteilsverkündung nicht beschieden (was beim Einzelrichter einer Ablehnung durch Gerichtsbeschluss gleichzustellen ist, vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Auflage 2012, § 229 Rdn. 17 mit Hinweis auf § 338 Rdn. 60).

Die Betroffene hat in ihrer Rechtsbeschwerde eine Versagung des rechtlichen Gehörs dargelegt (§ 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

Das OLG Naumburg hat das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben. Das OLG führt hierzu aus: Das Amtsgericht hat die Verteidigung der Betroffenen durch die Nichtbescheidung des Antrages des Verteidigers auf Aussetzung des Verfahrens (§ 228 Abs. 1 StPO) in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt unzulässig beschränkt (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG 1. V. m. § 338 Nr. 8 StPO) und hiermit gleichzeitig das Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzt.

Die Betroffene habe mit der Rechtsbeschwerdebegründung dargelegt, dass ihrem Verteidiger im gerichtlichen Verfahren (und auch im Verwaltungsverfahren vor der Bußgeldbehörde) keine ausreichende Einsicht in die Bedienungsanleitung des Geschwindigkeitsmessgerätes gewährt worden ist. Das Amtsgericht führt hierzu im Urteil aus: „Der Verteidiger hat im Bußgeldverfahren keinen Anspruch auf Einsicht in die Bedienungsanleitung (vgl. Amtsgericht Detmold, Beschluss vom 04.02.2012, Az.: 4 OWi 989/11). Die zahlreichen von dem Verteidiger dem Messbeamten gestellten Fragen zeigen im Übrigen, dass die Stellung sachgerechter Fragen auch ohne Kenntnis der Bedienungsanleitung möglich ist.“

Dies sei nicht frei von Rechtsfehlern so das OLG. Der Verteidiger habe im Bußgeldverfahren, das eine Geschwindigkeitsüberschreitung zum Gegenstand hat, das Recht auf Akteneinsicht in alle Unterlagen, die auch dem Sachverständigen zur Verfügung gestellt werden (vgl. auch LG Ellwangen, Beschluss vom 14.12.2009 – 1 Qs 166/09; AG Gelnhausen, Beschluss vom 14.09.2012 – 44 OWi 2945 Js 1351/10; AG Verden, Beschluss vom 23.08.2010 – 9 b OWi 764/10; Dauerbrenner: Einsicht in Messunterlagen im OWi-Verfahren in VRR, 250 f.). Dies folge schon aus dem Gesichtspunkt der Gewährleistung eines fairen Verfahrens (Art. 6 EMRK), der Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der der Rechtspflege (§ 1 BRAO) und dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit.

Nur wenn dem Verteidiger alle Unterlagen zur Verfügung stehen, die auch dem Sachverständigen zugänglich sind, sei es ihm überhaupt möglich, das Sachverständigengutachten auf seine Richtigkeit zu überprüfen, so das OLG.

Darüber hinaus wäre ohne Akteneinsicht im geschilderten Umfang zwischen Betroffenem und der Ermittlungsbehörde keine Waffengleichheit gegeben, wenn die Ermittlungsbehörde einen Wissensvorsprung dadurch erlangt, dass sie maßgebliche Unterlagen zurückhält und dem Betroffenen deren Kenntnisnahme verweigert. Das OLG stellt klar, dass es ist nicht ausreichend sei, den Verteidiger auf allgemein zugängliche Sekundärliteratur zu verweisen, in denen die Funktions- und Bedienweise von Geschwindigkeitsmessgeräten erklärt wird.

Ganz nebenbei bemerkt das OLG im letzten Satz noch an, „dass die Begründung im aufgehobenen Urteil die Annahme von Vorsatz nicht trägt“.

(OLG Naumburg, Beschluss vom 05.11.2012 – 2 Ss (Bz) 100/12)



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