Sexueller Missbrauch von Kindern: mögliche Ursachen einer Falschbezichtigung

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Wird eine Person des sexuellen Missbrauches von Kindern beschuldigt, liegt der Anschuldigung zumeist lediglich die Aussage einer anderen Person zugrunde. In den meisten Fällen behauptet die anzeigende Person dann, dass jemand anderes vor gewisser Zeit eine Sexualstraftat zu ihrem Nachteil begangen habe, wobei der angebliche Vorfall nicht selten schon viele Jahre zurück liegen soll.

Der Tatvorwurf wird von den Beschuldigten, zumeist Personen aus dem sozialen Nahbereich der Anzeigeerstatterin, häufig energisch bestritten. Viel nützt dies indes nicht, denn in vielen Fällen bedeutet bereits der Verdacht einer solchen Tat das soziale Aus der Betroffenen.

Gerecht ist das indes nicht, den Falschbezichtigungen kommen weitaus öfter vor, als die Öffentlichkeit ahnt. Auch ganz unabhängig von der so oft zitierten Unschuldsvermutung, schätzen führende deutsche Experten - so der Kieler Psychologieprofessor Günther Köhnken - die Quote der Falschbezichtigungen in dem Bereich der Sexualstraftaten bei 30 bis 40 % (andere Experten sprechen sogar von Quoten von bis zu 60 %). Auch der renommierte Rechtsmediziner Klaus Püschel - Direktor des rechtsmedizinischen Institutes Hamburg - musste ernüchtert feststellen, dass sich im Jahre 2009 etwa 27 % der angeblich Vergewaltigten schon bei ersten bei ärztlichen Untersuchungen als Scheinopfer erwiesen hätten (Quelle: Sabine Rückert, Die Zeit/Juli 20 11: Lügen, die man gerne glaubt).

Ralf Eschelbach - Richter am Bundesgerichtshof - schätzt die Quote der Fehlurteile in diesem Bereich sogar auf etwa 1/4. Eine vernichtende Feststellung, die doch im Ergebnis bedeutet, dass die häufig nach einer Verurteilung vorgebrachte Bemerkung des Verurteilten „aber ich war es doch nicht" bei jedem Vierten tatsächlich richtig sein muss.

Doch die Frage ist: wie kann man einer falschen Verurteilung vorbeugen? Und an welchen Stellen lassen sich mögliche Ursachen einer Falschaussage ausmachen?

I. Aussageentstehung

Extrem wichtig ist es, sich genau mit der Entstehungsgeschichte der Aussage zu befassen. In welcher Situation wurden die Anschuldigungen erstmalig vorgebracht?

Ich selbst hatte einen Fall zu betreuen, in dem meinem Mandanten der schwere sexuelle Missbrauch der eigenen Tochter zur Last gelegt wurde; er bestritt die Vorwürfe energisch. Die Entstehungsgeschichte zeigte, dass die Tochter erstmalig im Alter von 14 Jahren gegenüber der Vertrauenslehrerin vage Andeutungen in diese Richtung gemacht hatte. Die Vertrauenslehrerin hatte dann - ohne die Möglichkeit einer Falschbeschuldigung überhaupt in Erwägung zu ziehen - sofort die Polizei, das Jugendamt und die Schulleitung informiert. Die Sache wurde zum Selbstläufer und als sich die Geschichte dann auch noch an der Schule herumsprach, konnte das Mädchen nicht mehr anders, als bei der Geschichte zu bleiben. Eine soziale Katastrophe für alle Beteiligten.

Nach einiger Recherche stellte sich dann heraus: Das Mädchen hatte mit ihren Mitschülern gewettet, dass sie es sich nicht traue, sich die Arme zu „ritzen". Nachdem sie das dann gemacht hatte und von der Lehrerin diesbezüglich zur Rede gestellt wurde, machte sie - aus Scham - die vagen Andeutungen in Richtung eines Missbrauches im Familienkreis. Hierbei hatte sie aber nie gewollt, das dies zur Anzeige gebracht wird, das Mädchen hatte eigentlich nur ihre Ruhe vor den bohrenden Fragen der überengagierten Pädagogin haben wollen, welche die Anzeigeerstattung dann auch weder mit dem Mädchen noch der Mutter besprochen hatte.

In diesem Fall war das Herausarbeiten der Entstehungsgeschichte das entscheidende Moment in dem Verfahren, quasi die erste Karte, die das Kartenhaus dann letztlich zum Einsturz brachte und den Mandanten letztlich auch sozial rehabilitierte.

II. Aussageentwicklung

Weiterhin von extremer Wichtigkeit ist die Betrachtung der Entstehungsgeschichte unter dem Gesichtspunkt einer möglicherweise fremdsuggerierten Falschaussage.

Schon der Bundesgerichtshof hatte in seiner Grundsatzentscheidung vom 30.07.1999 erkannt: „Speziell bei kindlichen Zeugen besteht die Gefahr, dass diese ihre Angaben unbewusst ihrer eigenen Erinnerung zuwider verändern, um den von ihnen angenommenen Erwartungen eines Erwachsenen, der sie befragt, zu entsprechen oder sich an dessen größerer Kompetenz auszurichten" (S. 8). Anknüpfend an diesen Gedanken kommt auch ein Fachbuch zu dem Schluss: „Kinder bieten aufgrund ihrer mangelnden Lebenserfahrung, ihres Urvertrauens in andere und sogar zum Teil in fremde Personen und noch nicht voll ausgereiften Charakterzügen wie Skepsis, Standhaftigkeit, u. ä. einen idealen Nährboden für suggestive Beeinflussung. Diese muss nicht zwangsläufig gewollt sein, sondern kann auch als Nebeneffekt unabsichtlich auftreten" (Regber, Glaubhaftigkeit und Suggestibilität kindlicher Zeugenaussagen, S. 47).

Diese Feststellungen sollten man sich als Anwalt bei der Auseinandersetzung mit der Aussage stets vor Augen halten, wenn man versucht die Gründe für die falschen Anschuldigungen herauszufinden. Im Zweifel sind - durch das Stellen entsprechender Beweisanträge - alle diejenigen Personen zu befragen, welche mit der mutmaßlich Geschädigten über das Geschehen gesprochen haben. Hier ist dann zu untersuchen, was genau besprochen worden ist, und über welche Erfahrung die befragende Person auf diesem Gebiet verfügt. Hierbei sind insbesondere die folgenden Aspekte zu beachten (übernommen aus: Regber, Glaubhaftigkeit und Suggestibilität kindlicher Zeugenaussagen, S. 62):

1. suggestive Befragung im Vorfeld der Aussage (insbesondere der Erstaussage),

2. einseitige Hypothesenbildung der Befrager,

3. unangemessene Gesprächsatmosphäre bei der Befragung (Erwartungsdruck),

4. wiederholte thematisch einseitige Befragung (z. B: „Aufdeckungsgespräch").

III. Fazit

Wieder einmal zeigt sich, dass die Verteidigung in Sexualstrafverfahren spezielle Kenntnisse voraussetzt. Wird jemandem eine Sexualstraftat zur Last gelegt, sollte man sich tunlichst davor hüten, seinen Haus-und-Hofanwalt mit der Interessenvertretung zu beauftragen, nur weil dieser vor einigen Jahren die Nebenkostenabrechnung erfolgreich um einige Euro reduziert hat. Angesichts der - im Falle der Verurteilung vorgesehenen - hohen Haftstrafen ist hier zu einem Anwalt zu raten, welcher auf die Verteidigung in Sexualstrafverfahren spezialisiert ist und über das entsprechende in diesem Bereich Fachwissen verfügt.

Sie erreichen mich unter 0201/79916004 oder info@ra-odebralski.de.


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