Unterlassene Heparin-Gabe: 3.500 Euro

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Mit gerichtlichem Vergleich vom 15.12.2014 hat sich ein Krankenhaus in Lünen verpflichtet, an meine Mandantin 3.500 Euro zu zahlen. Die Mandantin machte als Witwe ihres am 15.09.2010 im Hause der Beklagten verstorbenen Ehemannes Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche wegen einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung geltend. Ihr Ehemann war im September 2010 mit dem Rettungswagen in das Krankenhaus unter dem Verdacht eines Apoplexes rechts eingeliefert worden. Er war nicht orientiert, redete verwaschen, Augen wurden nur auf Aufforderung geöffnet. Nachdem eine frische neurologische Ursache ausgeschlossen wurde, erfolgte noch am selben Tag eine diagnostische Laparoskopie mit offener Cholezystektomie.

Nach dem Eingriff wurde der Patient auf die Intensivstation verlegt und erhielt Heparin über einen Perfusor. Nachdem er am 03.09.2010 auf die normale Pflegestation verlegt wurde, wurde das Heparin nicht mehr über den Perfusor verabreicht. Ein Absetzungsvermerk wurde in die Kurve eingetragen. Vom 03.09. bis 09.09.2010 fanden sich in der Dokumentation mehrfache Eintragungen, wonach der Patient die Gabe von Fragmin als Thrombose-Prophylaxe ebenso wie eine Lagerung ablehnte. Er sei unkooperativ, ungehalten, beleidigend, verweigere die Tabletteneinnahme und sei aufdringlich und vulgär.

Am 09.09.2010 kam es zu einer akuten Verschlechterung des Allgemeinzustandes mit respiratorischer Insuffizienz. Am 10.09.2010 wurde der Verdacht auf eine septische Entwicklung bei ansteigenden Entzündungsparametern gestellt. Am 10.09. wurde der Ehemann erneut operiert, wobei die Anlage eines Labrastromas durchgeführt wurde. Er verstarb am 15.09.2010 gegen 19.00 Uhr nach weiterer Kreislaufinstabilität und hohen Entzündungswerten.

Die Mandantin hatte den behandelnden Ärzten vorgeworfen, ihren Ehemann trotz intensiven Drängens ab dem 03.09.2010 auf der normalen Station nicht mehr mit gerinnungshemmenden Mitteln versorgt zu haben. Hierdurch habe sich die Lungenembolie ausgebildet, die einen Hirninfarkt verursacht habe. Ärzte und Pflegepersonal hätten genau gewusst, dass ihr Ehemann Schlaganfallpatient gewesen sei und blutgerinnende Mittel benötige. Sie habe mehrere Ärzte und Schwestern darauf aufmerksam gemacht, dass ihr Ehemann geistig verwirrt gewesen sei. Ihr sei mehrfach mitgeteilt worden, die Medikamente seien seitens der Schwestern verabreicht worden. Man hätte ihrem Ehemann die Gefahr des Unterlassens der Thrombose-Therapie näherbringen müssen.

Hätte ihr Ehemann nach ordnungsgemäßer Belehrung weiterhin die Therapie verweigert, hätte ein vormundschaftsgerichtlicher Beschluss durch das Krankenhaus erwirkt werden müssen, um die lebensnotwendige Therapie durchzuführen. Die Ärzte hätten es unterlassen, ein neurologisches Konsil zur Feststellung des Geisteszustandes durchführen zu lassen. Dieser habe postoperativ nämlich unter einem Durchgangssyndrom gelitten. Er sei geistig verwirrt gewesen. Die Ärzte des Krankenhauses hatten angeführt, der Wille des Patienten hätte beachtet werden müssen. Die Gabe blutgerinnender Mittel sei täglich angeordnet, von dem Patienten allerdings genauso hartnäckig wieder verweigert worden. Der Ehemann der Mandantin habe seine Einwilligung zu einer medizinischen Behandlung mit Fragmin P eindeutig verweigert. Auch mehrere ausführliche Gespräche hätten ihn an seinem Entschluss nicht hindern können. Eine geistige Verwirrtheit habe nicht vorgelegen. Das Nein des Patienten sei als höchst persönliches, disponibles Rechtsgut zu respektieren gewesen.

Das Landgericht Dortmund hat die Klage mit Urteil vom 06.03.2014 abgewiesen. Zwar sei die Thrombose-Prophylaxe laut Leitlinie zwingend zu beachten. Die Kammer sei jedoch davon überzeugt, dass der Ehemann die Prophylaxe-Therapie im Wissen um die bestehenden Risiken aus freiem Willen verweigert habe. Bei einer klar und deutlich verweigerten Einwilligung in die ärztliche Behandlung komme es nicht darauf an, wie schwerwiegend die Folgen des Unterbleibens dieser Behandlungen seien. Der Patientenwille genieße auch stets dann Vorrang und sei zu beachten, wenn das Unterbleiben der Maßnahme schwerwiegende gesundheitliche Folgen habe. Das Personal des Krankenhauses habe sich detailliert mit der Problematik des Patienten befasst und auseinandergesetzt.

Mit der eingelegten Berufung habe ich gerügt: Es habe sich um einen Hochrisikopatienten mit akutem Durchgangssyndrom gehandelt, bei welchem die Heparin-Prophylaxe die Therapie der Wahl darstelle, was aufklärungs- und einwilligungspflichtig war. Medizinisch notwendig sei neben der Heparin-Therapie auch eine Kompression der unteren Extremitäten gewesen. Aus den Behandlungsunterlagen des Krankenhauses ergebe sich aber kein Hinweis über eine vorherige Risikoaufklärung. Es fehle eine Dokumentation zur Belehrung über die Konsequenzen der Nichteinnahme des Heparins. Einen vorherigen ärztlichen und ebenso eindringlichen Hinweis bezüglich der Folgen der Nichteinnahme des Heparins (OLG Hamm VersR 2005, 837) habe die Beklagte nur unsubstantiiert behauptet und unter Beweis gestellt. Ebenso ergäben die beschriebenen Pflegeeintragungen das behauptete Durchgangssyndrom des Ehemannes. Er sei somit nicht uneingeschränkt einsichtsfähig gewesen. Es wäre medizinisch zwingend notwendig gewesen, ein neurologisches Konsil einzuholen. Im Anschluss daran hätte bei weiterer Weigerung ein Beschluss des Betreuungsgerichtes erwirkt werden müssen, um gesundheitliche Nachteile zu vermeiden. Die unterlassene Thrombose-Prophylaxe habe den Tod verursacht.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung konnte der Senat von der behandelnden Assistenzärztin der Station keine schlüssige Begründung erfahren, warum seitens des Oberarztes oder des Chefarztes keine Versuche unternommen wurden, den Patienten umzustimmen. Der Sachverständige hat im Termin nochmals ausgeführt, dass die Thrombose-Prophylaxe für das venöse System absolut indiziert gewesen sei. Wenn sich der Patient gegen die Thrombose-Prophylaxe über Spritzen gewehrt habe, hätte man ihm diese auch weiterhin (wie auf der Intensivstation) über den Perfusor verabreichen können. Da bis zum 05.09.2010 noch ein Zugang gelegen habe, hätte man diesen auch weiterhin für die Prophylaxe nutzen können.

Im Hinblick auf die erheblichen Risiken der Verweigerung wäre eine Aufklärung in jedem Falle dokumentationspflichtig gewesen.

Der Senat hat deshalb vorgeschlagen, sich auf einen Gesamtbetrag von 3.500 Euro zu einigen.

OLG Hamm, Vergleichsbeschluss vom 15.12.2014, AZ: I-3 U 72/14

Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht



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