Unzulässige Überwachung des Messenger-Accounts eines Arbeitnehmers

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Der Fall

Der Arbeitnehmer (Herr Barbulescu) ist bei einer rumänischen Gesellschaft als Vertriebsingenieur angestellt. Der Arbeitgeber verlangte vom Arbeitnehmer die Einrichtung eines Yahoo-Messenger-Accounts, um damit Kundenanfragen zu beantworten. Vertriebsingenieure werden zumeist damit beauftragt, Kunden bezüglich der technischen Funktionsweise von angebotenen Produkten verkaufsfördernd zu beraten. Wegen einer unangemessenen privaten Nutzung dieses Messenger-Accounts erhielt der Arbeitnehmer eine Kündigung von seinem Arbeitgeber. Zuvor hatte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer darüber informiert, dass er das Internet bei der Arbeit nicht privat nutzen durfte.

Im Kündigungsschutzprozess wendet Herr Barbulescu ein, dass die Erkenntnisse aus der Auswertung des Internetverlaufs nicht hätten verwertet werden und deshalb eine Kündigung nicht hätte ausgesprochen werden dürfen.

Die rumänischen Arbeitsgerichte halten die Kündigung für wirksam und die Beweise für verwertbar. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof stellt im Jahre 2016 durch eine kleine Kammer fest, dass keine Verletzung des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens und der Korrespondenz (Artikel 8 der europäischen Menschenrechtskonvention) gegeben sei.

Herr Barbulescu beantragte daraufhin eine Entscheidung durch die Große Kammer des EGMR.

EGMR – Große Kammer vom 05.09.2017 – Aktenzeichen: 61496/08 (Barbulescu/Rumänien)

Diese hat nun gegenteilig entschieden: Es stellte eine Verletzung von Art. 8 EMRK fest. Der Arbeitgeber habe Herrn Barbulescu vorher nicht über die Überwachung informiert, geschweige denn über ihren Zweck und ihr Ausmaß. Der Arbeitgeber hatte also auch Zugriff auf die Inhalte von privater Internetkommunikation. Der Arbeitgeber hatte auch offensichtlich nicht geprüft, ob auch Eingriffe von geringerer Intensität möglich gewesen wären, um Mitarbeiter zu überwachen.

Auswirkungen auf die Praxis

Die Entscheidung könnte zukünftige Auswirkungen auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der unterinstanzlichen Arbeitsgerichte haben. Die Gerichte haben zwar auch bisher eine Verhältnismäßigkeitsprüfung und Abwägung des Überwachungsinteresses des Arbeitgebers mit den Grundrechten des Beschäftigten auf Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung vorgenommen, gingen aber eher selten von einem Verwertungsverbot aus.

Immerhin hat das Bundesarbeitsgericht in einer kürzlich ergangenen Entscheidung eine Überwachung mittels eines Keylogger-Softwareprogramms, also sämtlicher Tastenbewegungen des Computers, für unverhältnismäßig und damit unzulässig gehalten.

BAG v. 27.07.2017 – 2 AZR 681/16

Auch hielt es die heimliche Durchsuchung eines Spindschranks für unzulässig und eine darauf gestützte Kündigung für unwirksam.

BAG v. 20.06.2013 – 2 AZR 546/12

Die Entscheidung der Großen Kammer des EGMR in der Sache Barbulescu geht in eine ähnliche Richtung: Die Gerichte müssen sehr genau prüfen, ob die Maßnahme verhältnismäßig ist, also ob unter anderem eine mildere Überwachungsmaßnahme möglich gewesen wäre.

Die Entscheidung deutet daraufhin, dass Mitarbeiter vorher über Inhalt, Zweck und Ausmaß von Überwachungen zu informieren sind. Dies widerspricht der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, das auch eine geheime Überwachung in bestimmten Fällen (konkreter Verdacht von Straftaten und schwerwiegenden Pflichtverletzungen) ausreichen ließ. Ob sich dies aufrechterhalten lässt, ist dadurch zweifelhaft geworden. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten.

Dr. Bert Howald

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Anwaltskanzlei Gaßmann & Seidel, Stuttgart 


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