Urlaubsanspruch im langjährig ruhenden Arbeitsverhältnis?

  • 4 Minuten Lesezeit

Bis zum Jahr 2008 war im deutschen Urlaubsrecht bei einer dauerhaften Erkrankung des Arbeitnehmers eigentlich alles klar: Der Anspruch auf Gewährung von Urlaub verfiel ersatzlos spätestens nach Ende der ersten drei Monate, die auf das vorangegangene Kalenderjahr folgten, wenn der Arbeitnehmer aus Gründen einer Langzeiterkrankung nicht in der Lage war, den Urlaub tatsächlich anzutreten. Doch dann kam der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit einem Paukenschlag und stellte die gefestigte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) auf den Kopf. Mit seiner Entscheidung vom 20.01.2009 in der Rechtssache „Schulz-Hoff" leitete der EuGH eine grundlegende Rechtsprechungsänderung ein.

Seitdem gilt Folgendes: Der Urlaub wird nicht nur für Zeiten erworben, in denen der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft tatsächlich zur Verfügung gestellt hat, sondern auch für Zeiten, in denen er ordnungsgemäß krankgeschrieben und damit arbeitsunfähig war. In diesem Fall verfällt der Urlaubsanspruch nicht mit Ablauf des 31.03. des Folgejahres, sondern ist vom Arbeitgeber zu späterer Zeit nachzugewähren, falls der Urlaub im Urlaubsjahr nicht erteilt wurde. Der Arbeitnehmer hat bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf Abgeltung des noch offenen Urlaubs; dies gilt auch dann, wenn er während des gesamten Urlaubsjahres und darüber hinaus krankgeschrieben ist. Für den EuGH ergab sich dies unter Anwendung der europäischen Arbeitszeitrichtlinie mit der Folge, dass die deutschen Rechtsvorschriften an diesem Punkt nicht europarechtskonform waren.

So weit, so gut. Das BAG folgte der Entscheidung des EuGH vom 20.01.2009 und gab seine entgegengesetzte Rechtsprechung auf. Auch das BAG geht in seiner neueren Rechtsprechung nunmehr davon aus, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch nicht verfällt, wenn er wegen einer Erkrankung nicht in Anspruch genommen werden konnte.

Doch auch nach der Entscheidung des EuGH vom 20.01.2009 sind noch lange nicht alle Fragen geklärt. Zunächst sah es so aus, dass langjährig erkrankte Arbeitnehmer „endlos" Urlaub ansammeln konnten. Dies hätte bedeutet, dass ein dauerhaft erkrankten Arbeitnehmer, der schon längst nicht mehr auf der Payroll des Arbeitgebers steht und bereits „ausgesteuert" ist, weiterhin einen Urlaubsanspruch erwirbt, der erst im Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber abzugelten wäre. Für den betroffenen Arbeitgeber bestand die Gefahr, dass durch ein jahrelanges „Ansammeln" von Urlaubsansprüchen hohe Forderungen des erst später ausscheidenden Arbeitnehmers entstehen.

Dieses Problem haben sowohl der EuGH als auch das BAG zwischenzeitlich erkannt. In seiner Entscheidung vom 22.11.2011 hat der EuGH nunmehr festgestellt, dass eine nationale Regelung oder Gepflogenheit (etwa in einem Tarifvertrag) europarechtskonform und somit zulässig ist, die eine zeitliche Beschränkung der Möglichkeit des dauerhaft erkrankten Arbeitnehmers zur Ansammlung von Urlaubsansprüchen enthält. Voraussetzung ist aber, dass dabei ein Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorgesehen ist. Nach Ablauf dieser Frist ist das Erlöschen der bis dahin angesammelten Urlaubsansprüche zulässig und möglich.

Am 07.08.2012 hatte jetzt auch das BAG Gelegenheit, seine neue Rechtsprechung zum Urlaubsanspruch des langzeiterkrankten Arbeitsnehmers zu präzisieren. Im Streitfall des BAG ging es um eine schwerbehinderte Arbeitnehmerin, die im Jahr 2004 erkrankte und seit Dezember 2004 eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung bezog. Bis zum Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis am 31.03.2009 nahm sie ihre Tätigkeit nicht mehr auf. Sie forderte von ihrem Arbeitgeber Urlaubsabgeltung für insgesamt 149 Urlaubstage aus den Jahren 2005 bis 2009 in Höhe eines Betrages von immerhin 18.841,05 EUR brutto.

Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht gaben der Klage unter Berufung auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Schulz-Hoff" überwiegend statt. Das BAG räumte zugunsten der Arbeitnehmerin zunächst ein, dass allein das Ruhen des Arbeitsverhältnisses während des Bezugs der Rente kein Hinderungsgrund für das Ansammeln von Urlaubsansprüchen in den Jahren der Krankheit und/oder Erwerbsunfähigkeit ist. Doch davon konnte sich die Klägerin letztendlich aber „nichts kaufen". Nach Meinung des BAG gingen die angesammelten Urlaubsansprüche jeweils zum 31.03. des übernächsten Jahres unter. Konkret verfielen die Urlaubsansprüche für 2005 am 31.03.2007, die Urlaubsansprüche für 2006 am 31.03.2008 und die Urlaubsansprüche für 2007 am 31.03.2009. Übrig blieben daher nur die Urlaubsansprüche für 2008 und für das erste Quartal 2009. Daher sprach das BAG der Arbeitnehmerin letztlich nur 3.919,95 EUR brutto zu. Die Erfurter Richter führten zur Begründung ihrer Entscheidung aus, die Bestimmung im deutschen Urlaubsrecht (§ 7 Abs. 3 BUrlG) sei, „unionskonform", d.h. in Übereinstimmung mit dem europäischen Recht, so auszulegen, dass der vom langzeiterkrankten Arbeitnehmer angesammelte Urlaub 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfällt.

Fazit:
Der Arbeitnehmer kann über Jahre hinweg arbeitsunfähig erkrank sein und/oder eine Rente wegen Erwerbsminderung beziehen (mit der Folge, dass sein Arbeitsverhältnis „ruht"): Für jedes Jahr der Krankheit bzw. des Rentenbezugs erwirbt er Arbeitnehmer auch seinen vollen gesetzlichen Urlaubsanspruch (und ggfls. seinen Zusatzurlaub als Schwerbehinderter). Diese Ansprüche gehen aber ziemlich rasch wieder unter, nämlich zum 31.03. des übernächsten Jahres. Damit gilt nach der Rechtsprechung des EuGH und des BAG eine allgemeine „gesetzliche" 15-Monats-Grenze für das Ansammeln von Urlaubsansprüchen bei langer Krankheit.

Michael Popp
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von SALLECK + PARTNER

Beiträge zum Thema