Urteil des SG Dresden zur Anfechtung einer Ambulanzzulassung nach § 116b SGB V durch Vertragsärzte

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§ 116b Abs. 2 SGB V ermöglicht geeigneten Krankenhäusern auf Antrag und entsprechende Entscheidung der Krankenhausplanungsbehörde des Landes die Erbringung ambulanter spezialärztlicher (z.B. onkologischer) Leistungen, die bislang vorrangig Vertragsärzten vorbehalten war. Umstritten ist vor allem noch in der Literatur, ob sich konkurrierende Vertragsärzte gegen diese Entscheidungen erfolgreich rechtlich zur Wehr setzen können. Zwischenzeitlich haben sich allerdings bundesweit mehrere Sozialgerichte und Landessozialgerichte in diversen Eilverfahren überwiegend dafür ausgesprochen, Vertragsärzten hier Rechtsschutz zu gewähren und die Ambulanzzulassungen in Fällen erheblicher wirtschaftlicher Gefährdung der Niedergelassenen durch die teils unnachgiebige und uneinsichtige Zulassungspraxis der Landesbehörden vorläufig außer Vollzug gesetzt.

Nun hat erstmals auch in einem Hauptsacheverfahren das Sozialgericht (SG) Dresden mit Urteil vom 27.10.2010 (Az: S 18 KR 312/10) qualifiziert betroffenen Vertragsärzten ein Anfechtungsrecht gegen die Zulassung bzw. „Bestimmung" eines Krankenhauses zur ambulanten Behandlung nach § 116b SGB V zugesprochen. Das SG folgt damit der Gesetzesauslegung des LSG Sachsen im vorangegangenen Eilverfahren (Beschluss vom 3.6.2010, Az: L 1 KR 94/10 B ER) und stützt das Ergebnis mit gewichtigen verfassungsrechtlichen Argumenten. Das SG hat die vereinbarte Sprungrevision zum Bundessozialgericht zugelassen.

Im zugrunde liegenden Fall klagte ein Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit Schwerpunkt Gynäkologische Onkologie gegen die Zulassung des beigeladenen Klinikums zur ambulanten Diagnostik und Versorgung von Patienten mit onkologischen Erkrankungen, soweit hiervon gynäkologische Tumore und bestimmte Neubildungen umfasst waren. Die ebenfalls beigeladene Tochtergesellschaft des Klinikträgers betreibt auf dem Krankenhausgelände ein MVZ mit demselben Schwerpunkt. Der rund 7 km von der Klinik entfernt praktizierende Kläger erbringt zu 60 bis 70 % gynäkologisch-onkologische Leistungen (ca. die Hälfte seines Umsatzes). Das SG Dresden hatte zugunsten des Vertragsarztes bereits mit Beschluss vom 29.9.2009 (Az: S 11 KA 114/09 ER) die von dem beklagten Freistaat Sachsen angeordnete sofortige Vollziehung der Ambulanzzulassung im einstweiligen Rechtsschutz aufgehoben; die Beschwerde dagegen vor dem Sächsischen LSG war erfolglos geblieben (Beschluss vom 3.6.2010, Az: L 1 KR 94/10 B ER).

Nach dem Urteil des SG kommt dem gesetzlichen Gebot zur „Berücksichtigung der vertragsärztlichen Versorgungssituation" gemäß Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichheitsgrundsatz) in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) grundsätzlich drittschützende Wirkung zu, und zwar zugunsten der Vertragsärzte, die im selben Einzugsbereich die gleichen Leistungen erbringen. Es bestehe die Gefahr eines (vom Gesetzgeber nicht gewollten) Verdrängungswettbewerbs. Diese Gefahr müsse allerdings „handgreiflich" sein, also über eine bloße (vom Gesetzgeber erwünschte) Verschärfung des Konkurrenzdruckes hinausgehen; wegen strukturell bedingter Wettbewerbsvorteile des Krankenhauses sei dies hier der Fall. Denn diesem komme eine Schlüsselposition insofern zu, als es versorgungsbereichsübergreifend den Therapieverlauf der an sie überwiesenen Patienten mitbestimmen könne, was den vertragsärztlichen Onkologen verwehrt sei. Auf die konkurrierende Tätigkeit des Krankenhauses in der ambulanten Versorgung gesetzlich Versicherter könne der Vertragsarzt nicht wettbewerbsadäquat (bspw. durch Verlagerung des Behandlungsspektrums und Erschließung anderer Tätigkeitsschwerpunkte) reagieren. Das Krankenhaus trage zudem geringere Investitionsrisiken, und seine Vergütung sei mengenmäßig nicht begrenzt, ein besonderes Privileg bei begrenztem Beitragsaufkommen der Krankenkassen.

Nach dem SG habe die Krankenhausplanungsbehörde daher bei ihrer Entscheidung durch eine Interessenabwägung dafür Sorge zu tragen, dass die unvermeidlichen Ungleichheiten im Wettbewerb zwischen Vertragsärzten und Krankenhäusern den Niedergelassenen nicht unzumutbar benachteiligen. Dem diene eine Bedarfsanalyse mit einem gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum der Behörde. Die Krankenhausplanungsbehörde könne im Rahmen ihres „planerischen Ermessens" den ambulanten Versorgungsauftrag des Krankenhauses inhaltlich beschränken, zeitlich befristen und auch kontingentieren. Räumliche Beschränkungen seien allerdings, was überrascht, entgegen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Ermächtigung nach § 116 Satz 2 SGB V (Urteil vom 17.10.2007, Az: B 6 KA 42/06 R) wegen der freien Arztwahl und zu fordernden Gleichbehandlung der Versicherten grundsätzlich ausgeschlossen. Auch eine vollständige Ablehnung des Antrags sei nur ausnahmsweise vorstellbar (z.B. bei vergleichsweise minderer Qualität des Krankenhauses, wodurch das Krankenhaus aber für eine Bestimmung nach § 116b SGB V ungeeignet wäre).

Der beklagte Freistaat Sachsen hatte der vertragsärztlichen Versorgungssituation in seinem Bescheid keine Bedeutung beigemessen und auch öffentliche und private Belange nicht gegeneinander abgewogen. Das SG verurteilte den Beklagten deshalb unter Aufhebung des Bestimmungsbescheids zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.

Die Entscheidung des SG ist zu begrüßen. Sie gewährleistet annähernd gleiche Wettbewerbschancen auf dem noch uneinheitlich geregelten „Dritten Sektor" ambulanter spezialärztlicher Behandlung. Wenn der Staat durch Regulierungen die Wettbewerbschancen verändert, muss er zumindest die Chancen gleich verändern und ungleiche Auswirkungen vermeiden. Das Ausmaß an Krankenhauskonkurrenz, welches Vertragsärzte im Rahmen der Verzahnung der Sektoren noch hinnehmen müssen oder schon abwehren dürfen, und die Konsequenzen für eine abwägungsfehlerfreie Zulassungsentscheidung sind allerdings noch nicht im Detail geklärt. Auch darf man gespannt sein, wie das Bundessozialgericht auf die zu erwartende Sprungrevision des Freistaats Sachsen oder des Klinikträgers entscheiden wird.

Holger Barth

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Medizinrecht

Freiburg i. Br.


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