Verkehrsunfall in Polen

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1. KFZ-Mindestdeckungssummen

Laut Art. 36 Abs. 1 des Pflichtversicherungsgesetzes betragen die Mindestdeckungssummen in der Kfz-Haftpflichtversicherung im Falle von Personenschäden 5.000.000 Euro pro Ereignis und im Falle von Sachschäden 1.000.000 Euro pro Ereignis.

2. Unfallaufnahme

Im Fall eines Unfalles muss man sofort anhalten und die Unfallstelle sichern. Wenn man den Unfallort vorzeitig verlässt, gilt das als so genannte Fahrerflucht und wird strafrechtlich verfolgt.

Wenn irgendeine Person verletzt wurde, muss man die Polizei immer benachrichtigen. Gibt es keine Verletzten, sollte man die Polizei nur dann rufen, wenn es Unklarheiten gibt. Die Polizei fertigt ein Protokoll mit Angaben zum Unfallhergang, den beteiligten Personen und Fahrzeugen sowie den Kfz-Versicherungen, den eingetretenen Schäden und etwaigen Straffolgen an.

Wenn niemand verletzt worden ist und keine Zweifel bestehen, ist es ausreichend, wenn der Geschädigte und der Unfallverursacher ein Unfallprotokoll ausfüllen und unterschreiben. Man sollte auch die beschädigten Fahrzeuge möglichst von allen Seiten fotografieren.

3. Außergerichtliche Unfallabwicklung

Laut der 4. Kraftfahrzeughaftpflichtrichtlinie der EU kann bei Unfällen, die sich im Ausland innerhalb der Europäischen Union ereignet haben, die Regulierung der Schäden direkt in Deutschland mit Hilfe eines Schadensregulierungsbeauftragten erfolgen. Der Schadensregulierungsbeauftragte führt die Korrespondenz in deutscher Sprache. Den Namen des zuständigen Schadensregulierungsbeauftragten in Deutschland kann man bei der polnischen Versicherungsgesellschaft einholen.

Für die Ermittlung der zuständigen Versicherung in Polen braucht man nur das amt. Kennzeichen des Fahrzeuges des Unfallverursachers. Wenn das amt. Kennzeichen des Fahrzeuges des Unfallverursachers bekannt ist, den Namen des zuständigen Versicherers und die Versicherungsnummer des Unfallverursachers kann man auf der Internetseite https://zapytania.oi.ufg.pl finden.

Nach Art. 14 Abs. 1 Pflichtversicherungsgesetz ist der polnische Versicherer verpflichtet, den Schaden innerhalb von 30 Tagen ab der Anmeldung des Schadens zu regulieren.

4. Garantiefonds

Nach Art. 98 Abs. 1 Pflichtversicherungsgesetz, haftet der polnische Garantiefonds für Personenschäden, die bei einem von einem nicht identifizierbaren Fahrer verursachten Unfall eingetreten sind. Eine Eintrittspflicht für Sachschäden über 300 EURO liegt vor, wenn bei dem Unfall auch ein beträchtlicher Personenschaden eingetreten ist.

5. Schadenersatzpositionen

a) Sachschaden

- Reparaturkosten

Die Reparaturkosten kann man aufgrund einer quittierten Rechnung der Werkstatt oder eines Gutachtens des Sachverständiger, bzw. eines Kostenvoranschlags verlangen. Für eingebaute neue Ersatzteile erfolgt kein Abzug (Urteil des Amtsgerichtes in Łódź vom 4.11.2009, AZ: I C 516/07).

Nach polnischer Rechtsprechung soll die Entschädigung auch die Mehrwertsteuer umfassen, wenn der Geschädigte zum Vorsteuerabzug nicht berechtigt ist (Beschluss des polnischen Obersten Gerichtshofs vom 15.11.2001 r. AZ: III CZP 68/01).

- Totalschaden

Ein Totalschaden liegt vor, wenn die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert übersteigen. In solchem Fall wird der Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwertes des beschädigten Fahrzeuges ersetzt. Der Geschädigte kann nur die Zahlung des Differenzbetrages zwischen dem Wiederbeschaffungswert und dem Restwert verlangen.

Ein Totalschaden kann durch ein Gutachten eines deutschen Sachverständigen nachgewiesen werden.

- Schadensnachweise

Für die Anmeldung des Schadens reicht ein Kostenvoranschlag aus. Ratsam ist es, wenn dieser Kostenvoranschlag von einem Vertragshändler erstellt ist, denn der Geschädigte ist sicher, dass im Fall einem Gerichtsverfahrens, die Reparaturkosten der Realität entsprechen werden.

Wenn ein Gutachten von einem Sachverständigen oder ein Kostenvoranschlag entgeltlich erstellt worden ist, werden diese Kosten auch ersetzt (Beschluss des polnischen Obersten Gerichtes vom 18.05.2004 AZ: III CZP 24/04. Diese Kosten soll der Geschädigte mit Hilfe einer Rechnung nachweisen.

- Wertminderung

Nach polnischer Rechtsprechung kann ein merkantiler Minderwert unter bestimmen Voraussetzungen berücksichtigt werden. Die Voraussetzungen sind in der Anleitung des polnischen Sachverständigenvereins Nr. 1/2009 vom 12.02.2009. Vor allem wird der merkantile Minderwert des beschädigten Autos ersetzt, wenn das Auto früher nicht beschädigt war und nicht älter als 6 Jahre ist. 

- Mietwagenkosten

Die Mietwagenkosten sind ein erstattungsfähiger Schaden, unabhängig davon, ob das beschädigte Auto gewerblich oder privat genutzt worden ist (Beschluss des polnischen Obersten Gerichtshofes vom 07.11.2011, AZ: III CZP 05/11).

- Nutzungsausfallentschädigung

Der Nutzungsausfall kann ein erstattungsfähiger Schaden sein, vor allem wenn das Fahrzeug gewerblich genutzt worden ist. Die Regulierung der Mietwagenkosten scheidet grundsätzlich den Ersatz des Nutzungsausfalls aus.

- Kaskoselbstbeteiligung

Die Kaskobeteiligung wird gegen Vorlage einer entsprechenden Abrechnung des Kaskoversicherers ersetzt.

- Übernachtungs-/ Verpflegungskosten

Solche Kosten sind ein erstattungsfähiger Schaden, wenn sie begründet, notwendig und unfallbedingt sind.

- Unkostenpauschale

In der Regel wird die Unkostenpauschale nicht bezahlt.

- sonstige Schadenpositionen

Nach polnischer Rechtsprechung ist auch ein Schadenersatz für Urlaubsbeeinträchtigung möglich. Ein Schaden an persönlichen Sachen ist zum Zeitwert erstattungsfähig.

b) Personenschaden

- Heilbehandlungs- / Pflegekosten

Im Falle einer Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung umfasst der Schadensersatz alle daraus entstehenden Kosten. Auf Verlangen des Geschädigten hat der Schadensersatzpflichtige im Voraus den zur Deckung der Kosten der medizinischen Behandlung erforderlichen Betrag, und, wenn der Geschädigte Invalide geworden ist, auch die für seine Vorbereitung auf einen anderen Beruf erforderlichen Kosten vorzustrecken (Art. 444 § 1 KC). Die Kosten sind jedoch konkret nachzuweisen.

- Schmerzensgeld

Gemäß Art. 445 § 1 i.V.m. Art. 444 § 1 KC kann das Gericht dem Geschädigten als Wiedergutmachung für das erlittene Unrecht einen angemessenen Geldbetrag zuerkennen.

- Verdienstausfall 

Wenn der Geschädigte die Fähigkeit zu einer Erwerbstätigkeit ganz oder teilweise verloren hat oder haben sich seine Bedürfnisse erhöht oder seine Erfolgsaussichten für die Zukunft verringert, so kann er vom Schadensersatzpflichtigen eine angemessene Rente verlangen (art. 444 § 2 KC). Erstattungsfähig sind auch Einkünfte aus nebenberuflichen Tätigkeiten.

- Sonstige Schadenspositionen

Erstattungsfähig sind auch Reisekosten zur Untersuchung durch einen Arzt, und alle Kosten, die wegen eines konkreten Unfalls entstanden sind.

- Anerkennung medizinischer Gutachten aus dem Ausland

Die medizinischen Gutachten, die von den ausländischen Sachverständigen erstellt worden sind, sind in Polen anerkannt. Für das Gerichtsverfahren muss jedoch ein solches Gutachten ins Polnische von einem vereidigten Dolmetscher übersetzt sein.

c) Gerichtverfahren

Wenn es zu einem Verkehrsunfall in Polen gekommen ist, dann ist das polnische Recht anwendbar. Der Geschädigte kann den Haftpflichtversicherer vor dem Gericht am Unfallort, am Wohnsitz des Unfallverursachers, sowie auch am Sitz des Haftpflichtversicherers verklagen. Der Geschädigte kann auch die Haftpflichtversicherung vor dem für seinen Wohnort in Deutschland zuständigen Gericht verklagen (nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. b) der Verordnung (EG) Nr. 1215/2012).

Sachlich zuständig ist das Amtsgericht (Sąd Rejonowy) bei Streitwerten bis 75.000 PLN. Sofern der Schaden höher ist, sind die Landgerichte (Sąd Okręgowy) zuständig.

Die Dauer des Gerichtsverfahrens ist von der Schwierigkeit der Fallgestaltung abhängig,.

6. Rechtsverfolgungskosten

Die im Gerichtsverfahren in der Sache unterliegende Partei ist verpflichtet, dem Gegner auf sein Verlangen die für die zweckmäßige Verfolgung der Rechte und zweckmäßige Verteidigung notwendigen Kosten zurückzuerstatten (Prozesskosten) (Art. 98 § 1 polnische ZPO/KPC). Die Prozesskosten umfassen vor allem die Klagegebühr in Höhe von 5 % des Gegenstandwertes, die Anwaltskosten und eventuell die Sachverständigenkosten.

Die Anwaltskosten sind nach Gebührenordnung für Rechtsanwälte berechnet und richten sich nach dem Gegenstandswert und dem Arbeitsaufwand. 

Nach polnischer Rechtsprechung ist die Erstattung der außergerichtlichen Anwaltskosten streitig, d.h. diese Kosten werden ersetzt, wenn sie begründet und notwendig sind.

7. Informationsquellen zum Schadenersatzrecht

Abgesehen davon, ist es ratsam im Fall eines Unfalles in Polen, mit einem deutsch sprechenden Rechtsanwalt aus Polen Kontakt aufzunehmen, weil die Versicherungsgesellschaften in Polen regelmäßig die Beträge der Entschädigung von den Haftpflichtversicherungen kürzen.



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