Was genau ist IT-Recht, wozu braucht man das eigentlich? Heute: Softwarevertragsrecht

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Lassen Sie uns zusammen einen der Realität entsprungenen Fall betrachten, der geradezu typisch für die Probleme rund um den Abschluss eines Softwarevertrages ist. Der Fall spielt in Nordrhein-Westfalen und betrifft eine bekannte Großhandelskette. Um Sie nicht mit den Problemen alleine zu lassen, wenden wir uns anschließend den Möglichkeiten zu, wie Sie die Softwareverträge erfolgreich abschließen und umsetzen.

Der Fall und die sich aufdrängenden Fragen:

Sie sind ein Unternehmen mit ca. 200 Mitarbeitern an zwei Standorten und planen den Erwerb einer Standard-ERP-Software, die, angepasst an die Bedürfnisse Ihres Unternehmens, im Vertrieb, in der Produktionsplanung sowie in der Finanzbuchhaltung eingesetzt werden soll. Auf Basis eines von Ihnen als Pflichtenheft bezeichneten Dokuments wird eine Ausschreibung durchgeführt und sich auf Basis eines Präsentationstermins und einiger Gespräche für die Standard-ERP-Software „08/15“ des Herstellers X-AG entschieden. Diese hatte im Rahmen einer Präsentation zugesichert, dass die Geschäftsprozesse Ihres Unternehmens in der Standardfunktionalität bereits vollumfänglich abgebildet seien. Anpassungen seien ausschließlich durch Parametrisierungen (die korrekte Implementierung eines Softwaresystems durch das Einstellen von Parametern, gemäß den Anforderungen und Bedürfnisse der Kunden) möglich, eine Zusatzprogrammierung nicht erforderlich. Die in der Präsentation abgegebene Zusicherung findet sich auch im Angebot der X-AG wieder: „Die Module unserer Standard Software„08/15“ stellen einzigartige Fähigkeiten bereit, die das komplette Anforderungsprofil Ihres Unternehmens abdecken, ohne dass zusätzliche Programmierungen erforderlich sind.“

Überlassung, Anpassung und Implementierung der Module für den Vertrieb, die Produktionsplanung und die Finanzbuchhaltung werden von der X-AG zu einem Festpreis von mehreren 100.000 € netto angeboten. Dieser Festpreis sollte ausweislich des Angebots alle bis zur Inbetriebnahme erforderlichen Leistungen umfassen. Vertragliche Grundlagen waren

  • das Angebot der X-AG (Stand 2010), das keinen Bezug auf die Ausschreibung Ihres Unternehmens und das Pflichtenheft nimmt, sowie
    • die AGB der X-AG (Stand 2008) für Softwareüberlassung und Dienstleistungen (Customizing und Anpassung).

Geplante Inbetriebnahme für alle Module war ausweislich des Angebots der X-AG der 01. 02.2012.

Am 30.06.2012 wird tatsächlich das Modul Finanzbuchhaltung in Betrieb genommen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten läuft das Modul bis auf gelegentliche Fehlermeldungen stabil. Das Modul Produktionsplanung wurde am 01.02.2013, also ein Jahr nach dem ursprünglich geplanten Termin, in Betrieb genommen und kann nur eingeschränkt genutzt werden. Das Modul für den Vertrieb konnte bislang überhaupt nicht in Betrieb genommen werden.

Im Projektverlauf hatte sich herausgestellt, dass die Geschäftsprozesse Ihres Unternehmens keineswegs durch Parametrisierungen umgesetzt werden konnten, sondern umfangreiche Zusatzprogrammierungen erforderlich sind (dies hat für Ihr Unternehmen zur Folge, dass gewünschte Funktionalitäten nur dann zu Verfügung stehen, wenn Teile der Software neu programmiert werden und Sie selbstverständlich der X-AG diesen Aufwand erneut vergüten).

Ihre Unzufriedenheit mit den Leistungen der X-AG nimmt langsam zu. Sie haben sich bereits mit – selbstverständlich vergütungspflichtigen – nachträglichen Vereinbarungen (so genannte Change Requests) in Höhe von mehreren 10.000 € netto einverstanden erklärt. Am 30.09.2013 wird Ihnen erneut ein Nachtragsangebot vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass für eine Inbetriebnahme des Moduls Vertrieb weitere zusätzliche Leistungen und eine Vergütung in Höhe von mehreren 100.000 € erbracht werden müssen. Als unverbindlicher Termin für die Inbetriebnahme wird seitens der X-AG nunmehr der 02.12.2014 angegeben.

Das Fass ist für Sie spätestens damit endgültig übergelaufen. Sie sind nicht mehr bereit, das Verhalten der X-AG noch weiter zu akzeptieren. Als Reaktion konsultieren Sie daher erstmalig einen auf die Informationstechnologien spezialisierten Rechtsanwalt, der ihnen vor allem hinsichtlich der folgenden Fragen zur Seite stehen soll:

  • „Ist das Projekt noch zu retten?“
  • „Welche Beendigungsmöglichkeiten bestehen“, bzw. „welche Voraussetzungen zur Beendigung des bestehenden Vertrags müssen geschaffen werden?“
  • „Inwieweit ist zu berücksichtigen, dass die Module Finanzbuchhaltung und Produktionsplanung ganz oder teilweise produktiv genutzt werden können?“

Antworten und Tipps, wie Softwareverträge problemlos gemeistert werden können:

1. Ist das Projekt noch zu retten?

Selbstverständlich, wenn Sie das wünschen, aber nur unter anwaltlicher Federführung, die sicherstellt, dass die X-AG ihre ursprünglichen Vertragspflichten erfüllt und nicht immer wieder neue Fakten zu Ihrem Nachteil schafft.

2.Welche Beendigungsmöglichkeiten bestehen, bzw. welche Voraussetzungen zur Beendigung des bestehenden Vertrags müssen geschaffen werden?

Inwieweit ist zu berücksichtigen, dass die Module Finanzbuchhaltung und Produktionsplanung ganz oder teilweise produktiv genutzt werden können?

Wenn Sie an einer Fortführung des Vertrags mit der X-AG kein Interesse mehr haben, gibt es mehrere Möglichkeiten, sich von diesem zu lösen. Zunächst könnte daran zu denken sein, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten. Schließlich hat sich die X-AG wieder an die Vorgaben ihre Ausschreibung, noch an ihr Pflichtenheft gehalten.

Eine Anfechtung des Vertrags infolge arglistiger Täuschung ist jedoch nicht möglich. Im Angebot der X-AG (Stand 2010) wurde nicht auf Ihre Ausschreibung Bezug genommen. Ebenfalls wurde Ihr Pflichtenheft nicht erwähnt. Da zwei der drei Module funktionieren und Ihnen das Angebot bekannt war, kann man der X-AG weder eine Täuschung, noch eine Arglist unterstellen. Vielmehr wurde Ihr ursprüngliches Angebot unter Abänderungen angenommen. Da Sie sich hierzu nicht geäußert haben, wurde ein Vertrag nach den Vorgaben der X-AG geschlossen!

Bereits zu diesem Zeitpunkt hätte Sie ein Rechtsanwalt darauf hingewiesen, dass die X-AG das ihrem Angebot zu Grunde liegende Anforderungsprofil nahezu vollkommen abgeändert hat und somit nicht die von Ihnen gewünschte Software angeboten hat.
Infolgedessen bleiben die Möglichkeiten, einen Aufhebungsvertrag mit der Gegenseite zu schließen, einen Rücktritt zu erklären, oder aber zu kündigen. Da jedoch die vertraglichen Grundlagen im Vorfeld nicht ausreichend definiert wurden, Sie sich subjektiv etwas anderes erwartet haben, als Ihnen „verkauft“ wurde, und bereits zwei der insgesamt drei angebotenen Module durch Inbetriebnahme abgenommen wurden, setzt man der X-AG entweder eine erneute Frist, ordnungsgemäß das ursprünglich von dieser angebotene Modul Vertrieb zu erbringen (dies dürfte erneut zu erheblichen Verzögerungen der Inbetriebnahme führen), oder man kündigt den Vertrag und sucht sich einen neuen Softwareanbieter.
Insgesamt also ein äußerst unbefriedigender Zustand, den man im Vergleich zu einer Rückabwicklung mit einem marginalen Aufwand hätte im Vorfeld der Vertragsdurchführung vermeiden können.

3. Fazit

Als Fazit bleibt somit festzuhalten, dass bei Sachverhalten, die einen Bezug zu Informationstechnologien aufweisen, die vorherige Konsultation eines Anwalts mit Schwerpunkt im IT-Recht zu empfehlen ist. Der Rechtsanwalt im Informationstechnologierecht begleitet bestenfalls bei der Anschaffung von Softwareprodukten, berät beim Abschluss der Verträge und liegt mit Ihnen gemeinsam vor Beginn der Vertragsverhältnisse verlässlich fest, welche Rechte und Pflichten durch die Verträge im Einzelnen bestehen sollen. Während des Projektverlaufs steht Ihnen der Rechtsanwalt partnerschaftlich zur Seite, sollte es Fragen zur oder sogar Probleme mit der Umsetzung der Verträge geben. Sollte die Vertragsbeziehung durch Streitigkeiten über einzelne Punkte belastet werden, kümmert sich der mit der Materie bestens vertraute Rechtsanwalt um die außergerichtliche, wie gerichtliche Durchsetzung Ihrer Ansprüche und wehrt für Sie unberechtigte Forderungen Ihres Vertragspartners ab. Indem Sie sich von Anfang an anwaltlich begleiten lassen, sind Sie auf der sicheren Seite im hochkomplexen Bereich des Informationstechnologierechts.

Zugegebenermaßen war dies ein äußerst komplexer und langer Sachverhalt. Es lässt sich aus der eigenen Erfahrung festhalten, dass auch den erfahrensten Unternehmen unzählige – schwerwiegende, da im Nachhinein teure – Fehler bei der Gestaltung von Softwareverträgen unterlaufen, die mit der nötigen Expertise leicht zu vermeiden wären. Um nicht in die üblichen Fallen zu tappen, stehe ich im IT-Recht gerne zu Ihrer Verfügung 

Dominic Baumüller
Rechtsanwalt
und Fachanwalt für Arbeitsrecht


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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