Wer „Mein“ und „Dein“ verwechselt, sollte nicht auch noch Ansprüche stellen

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Ein 64 jähriger Arbeitnehmer war seit 37 Jahren bei seinem Arbeitgeber beschäftigt. Seit 1980 hatte er Prokura und war zuletzt für Buchhaltung/Finanzen und Personal verantwortlich.

Dass man im Laufe der Jahre betriebsblind werden kann, weiß jeder. Dass man aber über einen langen Zeitraum hinweg seinen Arbeitgeber schamlos beklaut, ist wirklich nicht die Regel.

Der Arbeitnehmer hatte Firmengelder von mindestens 280.568 € von der Firma abgezweigt und in seine Tasche transferiert. Was seltsam erscheint, der Arbeitgeber hat ihm verziehen. Der Prokurist gab ein notarielles Schuldanerkenntnis ab. Man pfändete daraufhin ab sofort den pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens und beschäftigte ihn weiter. Irgendwie kann ich den Arbeitgeber verstehen, so bestand wenigstens die Chance, den Schaden zu minimieren. Doch der Mann wurde rückfällig und bestahl seinen Arbeitgeber erneut. Abgesehen davon, dass er auch bei anderen Gläubigern rund 50.000 Euro Schulden hatte, die nun von seinem Einkommen gepfändet werden sollten, ist das ein starkes Stück. Der Arbeitgeber kündigte dem Arbeitnehmer am 10.5.2007 fristlos, hilfsweise ordentlich.

Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage und – fast unfassbar – er gewann. Der gutmütige Arbeitgeber hatte versäumt, den Betriebsrat umfassend anzuhören. Die Kündigung wäre eigentlich wirksam gewesen und musste an so einem formellen Versäumnis scheitern. Das ist einfach unglaublich.

Der Arbeitgeber hatte aber wegen weiterer Veruntreuungen, die inzwischen herausgekommen waren, erneut am 15.8.2007 gekündigt. Der Arbeitnehmer erhob Klage und gewann auch diesmal, weil der Betriebsrat nicht richtig angehört worden war ...

In der Zwischenzeit hatte der Arbeitgeber Strafanzeige gestellt. Dem Arbeitnehmer wurden 74 Straftaten zum Nachteil des Arbeitgebers vorgeworfen. 67 Taten konnten bewiesen werden und er erhielt eine Strafe von einem Jahr und fünf Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt waren.

Der Arbeitgeber kündigte nach dem Urteil fristlos hilfsweise fristgerecht und kam endlich damit durch. Der ehemalige Prokurist unterlag in allen drei Instanzen.

Aber seine Dreistigkeit ging weiter. Er machte Annahmeverzugslohn geltend. Er unterlag auch hier in allen 3 Instanzen. Das ist sicherlich nachvollziehbar, denn es ist ein wirklich unerträglicher Gedanke, dass ein Arbeitnehmer, der seinen Arbeitgeber derart schamlos beklaut, auch noch Geld von diesem Arbeitgeber bekommen soll.

Das BAG hat am 16.04.2014 (5AZR 739/11) eine Entscheidung getroffen, die zwar menschlich verständlich aber juristisch nicht ganz nachvollziehbar ist. Der Arbeitgeber gerät in Verzug der Annahme der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers, wenn er dessen Dienste nicht annimmt. Bei einer Kündigung ist dies in der Regel der Fall – Der Arbeitgeber bringt durch die Kündigung zum Ausdruck, dass er die Arbeitsleistung nicht mehr annehmen will. Wenn der Arbeitnehmer nun die Kündigungsschutzklage gewinnt, dann ist ja rückblickend betrachtet das Arbeitsverhältnis gar nicht beendet gewesen. Die Arbeitsleistung kann aber nicht mehr nachgeholt werden. Der Arbeitgeber war mit der Annahme im Verzug und muss das Gehalt zahlen, ohne dafür eine Gegenleistung zu bekommen. Das Bundesarbeitsgericht hat in dem vorliegenden Fall aber entschieden, dass es dem Arbeitgeber gar nicht zumutbar war, die Arbeitsleistung entgegen zu nehmen, weil der Arbeitnehmer sich so schwere Pflichtverstöße zuschulden kommen lassen hat.

Arbeitgeber sollten dieses Urteil nicht als Freibrief sehen, seinen Arbeitnehmer schnell, kostengünstig und am Betriebsrat vorbei loszuwerden. Es ist vielmehr notwendig, bei eindeutigen Sachverhalten juristisch sauber zu kündigen und dafür vielleicht auch juristischen Rat durch einen Anwalt einzuholen.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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