Zur Wartezeit nach Canabiskonsum (Rauchen eines "Joint" und Autofahrt)

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Zur Frage des „längeren“ Zeitraumes zwischen Canabis-Konsum und Autofahrt: Zum objektiven Handlungsunrecht des § 24a Abs. 2 StVG gehört nur das Führen eines Kfz unter der Wirkung eines in der Anlage zu § 24a Abs. 2 StVG genannten berauschenden Mittels. Eine solche Wirkung ist nach § 24a Abs. 2 Satz 2 StVG dann gegeben, wenn eine der in der Anlage genannten Substanzen – hier THC – im Blutserum nachgewiesen wird (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 15.06.2012 – 2 RBs 50/12; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Auflage 2013, § 24a StVG, Rn. 21, 21a m.w.N.).

Der Gesetzgeber spricht dabei mit § 24a Abs. 2 StVG ein generelles Verbot aus (Gefährdungstatbestand), denn anders als § 24a Abs. 1 StVG für Alkohol knüpft die Norm nicht an einen qualifizierten Grenzwert an.

Nach der Rechtsprechung des BVerfG sind jedoch qualifizierte Anforderungen an den Nachweis der Substanz zu stellen. Dieser Nachweis kann erst ab Erreichen des analytischen Grenzwerts als geführt angesehen werden (BVerfG, Urteil vom 21.12.2004, 1 BVR 2652/03, NJW 2005, 349 ff).

Ausschlaggebend für diesen analytischen Grenzwert ist der Beschluss der Gemeinsamen Arbeitsgruppe für Grenzwertfragen und Qualitätskontrolle (die sog. „Grenzwertkommission“) vom 20.11.2002, aktualisiert durch weiteren Beschluss vom 22.05.2007 (Blutalkohol 44 (2007), 311). Danach liegt der Grenzwert für die Annahme einer Ordnungswidrigkeit gem. § 24a Abs. 2 StVG für THC bei 1 ng/ml Serum. Man könnte auch sagen, es wurde nach der Rechtsprechung des BVerfG quasi durch „die Hintertür“ ein Grenzwert für THC eingeführt.

Probleme bereitet sowohl den THC-Konsumenten als auch Verteidigern und Gerichten oftmals die Frage, ab wann der Betroffene noch damit rechnen musste, unter dem Einfluss von THC zu stehen.

Fahrlässiges Handeln im Sinne von § 10 OWiG, § 24a Abs. 3 StVG liegt zunächst dann vor, wenn der Betroffene die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen des Einzelfalles und seinen persönlichen Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist (OLG Bremen, Beschluss vom 18.06.2014 – 1 SsBs 51/13). Der Vorwurf des schuldhaften Führens eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr unter der Wirkung eines berauschenden Mittels bezieht sich dabei nicht auf den Konsumvorgang, sondern vielmehr auf die Wirkung des Rauschmittels zur Tatzeit (vgl. OLG Bremen, Beschluss vom 30.09.2013 – 2 SsBs 37/13; OLG Bremen, Beschluss vom 18.06.2014 – 1 SsBs 51/13).

Nach überwiegender Rechtsprechung handelt demnach fahrlässig, wer in zeitlicher Nähe zum Fahrtantritt Cannabis konsumiert hat und trotzdem ein Kfz im Verkehr führt, ohne sich bewusst zu machen, dass das Rauschmittel noch nicht unter den Grenzwert von 1,0 ng/ml abgebaut worden ist. Es ist hierzu nicht erforderlich, dass sich der Betroffene einen spürbaren oder auch nur messbaren Wirkstoffeffekt vorgestellt hat oder zu einer entsprechenden genauen physiologischen oder biochemischen Einordnung in der Lage war, zumal ein Kraftfahrer die Unberechenbarkeit von Rauschmitteln stets in Rechnung zu stellen hat (LG Hamm, Urteil vom 15.06.2012 – 2 RBs 50/12, BeckRS 2012, 18138; KG Berlin, Beschluss vom 05.06.2009 – 2 Ss 131/09 in NZV 2009, 572, 573; OLG Celle, Beschluss vom 09.12.2008 – 322 SsBs 247/08 in NZV 2009, 89, 90; OLG Bremen, Beschluss vom 18.06.2014 – 1 SsBs 51/13; vgl. Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 3. Auflage 2012, Rn. 599 f; König, aaO, Rn. 25b).

An der Erkennbarkeit der Wirkung des Rauschmittels für den Betroffenen kann es ausnahmsweise dann fehlen, wenn zwischen dem Zeitpunkt des Drogenkonsums und der Fahrt längere Zeit vergangen ist (OLG Bremen, Beschluss vom 30.09.2013 - 2 Ss 37/13). Mit zunehmendem Zeitablauf schwindet nämlich bei Betroffenen das Bewusstsein dafür, dass der zurückliegende Rauschmittelkonsum noch Auswirkungen bis in die Gegenwart haben könnte (OLG Bremen, Beschluss vom 18.06.2014 – 1 SsBs 51/13).

Es werden in Rechtsprechung und Literatur unterschiedliche Zeiträume angenommen um den Zeitraum „längere Zeit“ zu definieren:

  • zwei bis drei Tage (OLG Bremen, Beschluss vom 17.02.2006, Ss (B) 51/05, NZV 2006, 276),
  • zwei Tage (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.09.2010, 3 (7) SsBs 541/10, BeckRS 2011, 21298),
  • 24 Stunden (OLG Braunschweig, Beschluss vom 27.01.2010, Ss (OWi) 219/09, BeckRS 2010, 28813),
  • mehr als 24 Stunden (Hans. OLG Bremen, Beschluss vom 30.09.2013, 2 SsBs 37/13),
  • weniger als 24 Stunden (OLG Hamm, Urteil vom 15.06.2012, 2 RBs 50/12, BeckRS 2012, 18138; OLG Celle, Beschluss vom 09.12.2008, 322 SsBs 247/08, BeckRS 2008, 26992; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 25.04.2007, 3 Ss 35/07, BeckRS 2007, 09344),
  • 20 Stunden (vgl. König, NStZ 2009, 425, 427).

Die fehlende Erkennbarkeit einer im Tatzeitpunkt noch andauernden Wirkung durch das Rauschmittel wird in der Rechtsprechung nicht nur von dem Zeitpunkt des letzten Drogenkonsums abhängig gemacht, sondern zum Teil auch von der Konzentration des Wirkstoffes THC zum Zeitpunkt der Blutentnahme. Bei einem knapp 23 Stunden zurückliegenden Drogenkonsum und einer nur etwas mehr als zweifachen Überschreitung des analytischen Grenzwertes sei ohne weitere Feststellungen die Fahrt unter Wirkung von Cannabis nicht vorwerfbar (so OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 25.04.2007, 3 Ss 35/07, BeckRS 2007, 09344).

Jedenfalls bei einer THC-Konzentration im Blutserum mit 1,4 ng/ml und einem mehr als zwei Tage zurückliegenden Cannabiskonsum sei von fehlender Vorwerfbarkeit auszugehen (so OLG Zweibrücken, Beschluss vom 06.01.2009, 1 Ss 178/08, BeckRS 2009, 03276).

Bei einem vage bleibenden Zeitraum zwischen ein und zwei Tagen könne bei einer verhältnismäßig geringen Überschreitung des analytischen Grenzwertes von 4,6 ng/mg THC nicht auf eine fahrlässige Tatbestandsverwirklichung geschlossen werden (so OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 20.08.2010, 2 Ss-OWi 166/10, BeckRS 2010, 20608; OLG Bremen, Beschluss vom 18.06.2014 – 1 SsBs 51/13).

Damit ist die Frage, wann ein längerer Zeitraum anzunehmen ist, nicht klar zu beantworten.

Das OLG Bremen hat hierzu ausgeführt: Für einen Schuldspruch ist nicht erforderlich, dass der Betroffene die Fahrt in Kenntnis der langen Wirkungsdauer von THC antritt und so die Tatbestandsverwirklichung zwar für möglich hält, aber noch darauf vertraut, dass sie nicht eintreten werde (bewusste Fahrlässigkeit). Ausreichend ist bereits, dass er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten die Möglichkeit der Überschreitung des Grenzwertes von 1,0 ng/ml erkennen kann (unbewusste Fahrlässigkeit). Ein Konsument von Cannabis hat alles in seiner Macht Stehende zu tun, damit er keine für andere potentiell gefährliche Fahrt unter der Wirkung von Drogen antritt. Er darf sich als Kraftfahrer erst in den Straßenverkehr begeben, wenn er sicherstellen kann, den analytischen Grenzwert von 1,0 ng/ml THC im Blutserum nicht mehr zu erreichen. Das erfordert ein ausreichendes – gegebenenfalls mehrtägiges – Warten zwischen letztem Cannabiskonsum und Fahrtantritt. Im Regelfall besteht für den Tatrichter kein Anlass, an der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung und dem subjektiven Sorgfaltsverstoß zu zweifeln, wenn der analytische Grenzwert nach Beendigung der Fahrt erreicht ist.

Damit ist die teilweise in Internetforen (und manchmal sogar im Kreis der Anwälte) verbreitete Meinung „nach 24 Stunden darf ich wieder fahren“ nur als gefährlich zu bezeichnen.



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