Berechtigen Chaos und Müll in der Wohnung den Vermieter zu einer (fristlosen) Kündigung?

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Regelmäßig unternehmen Vermieter den Versuch, auch langfristige Mietverhältnisse zu beenden, um die Wohnung zu einer deutlich höheren Miete auf dem Wohnungsmarkt anzubieten. Dies gilt erst recht, wenn für die betreffende Wohnung ein wirksamer Mietpreisspiegel zu beachten ist. Denn in diesem Fall ist eine Mieterhöhung nur begrenzt möglich. Mietpreisspiegel gelten allerdings nicht für Neuvermietungen.

Das BGB bietet zahlreiche Möglichkeiten, ein Mietverhältnis ordentlich, aber auch außerordentlich, d.h. fristlos zu kündigen. Der Kündigung muss aber stets ein berechtigter Grund zugrunde liegen. In derartigen Konstellationen wird vermieterseits gerne die Kündigung wegen Eigenbedarfs ausgesprochen. Nachdem der Eigenbedarf allerdings stets zu realisieren ist, gerät diese (vorgeschobene) Kündigung immer mehr in den Hintergrund.

An Bedeutung hingegen gewinnt die Kündigung nach der eigentlich als Auffangtatbestand gedachten Regelung des § 543 Abs. 1 BGB. Und wenn diese Kündigung nicht zum Ziel führt, dann wird doch wenigstens eine Kündigung nach § 573 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 BGB versucht.

Im Gesetz steht Folgendes:

§ 543 Abs. 1 BGB: Jede Vertragspartei kann das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann. (außerordentliche Kündigung)


§ 573 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 BGB: Der Vermieter kann nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. (...) Ein berechtigtes Interesse (...) liegt insbesondere vor, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat. (ordentliche Kündigung).


Zum Fall:

In einem Gerichtsverfahren am Bodensee hat eine Vermieterin genau diesen Versuch unternommen und ist nach einem Ortstermin in der Wohnung des Mieters mit der zuständigen Richterin, mit ihrer Räumungsklage gescheitert.

Die erwachsenen Kinder der Vermieterin haben die Wohnung des Mieters aus vorgeschobenen Gründen mit Einverständnis des Mieters betreten. Dieser war der Auffassung, diese wollten die defekte Heizung im Bad anschauen und ggf. reparieren lassen. Tatsächlich haben die Kinder aber gegen den Willen des Mieters Bilder vom Zustand der gesamten Wohnung gefertigt. Damit wollten sie eine spätere Kündigung begründen und das Vorliegen des Kündigungsgrundes sogleich beweisen. Beim dritten Versuch, die Wohnung zu betreten, verweigerte der Mieter jedoch den Zutritt.

Nachdem der Mieter auf anwaltlichem Rat weiterhin den Zutritt verweigert und die Wohnung nicht geräumt hat, sondern die Abmahnung und die außerordentliche und hilfsweise Kündigung nach 15 Jahren Mietverhältnis schlichtweg ignoriert hat, wurde von der Vermieterseite Räumungsklage erhoben.

Kleiner Tipp am RandeBei Eingang einer Kündigung des Mietverhältnisses kann es ggf. ratsam sein, auf die Kündigung nicht zu reagieren. Denn, wenn man als Mieter auf die Kündigung reagiert und auf etwaige Fehler in der Kündigung hinweist, ist zu erwarten, dass der Vermieter sogleich eine fehlerfreie Kündigung erklärt. Lassen Sie die Kündigung durch einen Rechtsanwalt überprüfen.

Im Rahmen des Beweisverfahrens wollte sich die Richterin gerne selbst ein Bild vom Zustand der ca. 35 qm großen Einzimmer-Wohnung machen und fand folgendes vor:

Viel ungespültes Geschirr im Spülbecken, Essensreste in der Küche, viele leere Pfandflaschen, z.T. gefüllte gelbe Müllsäcke in der Küche, auf dem Küchenboden herzumliegende leere Einkaufstaschen, ungewaschene Wäsche auf dem Wäschekorb sowie in der Badewanne, viel unsortierte Wäsche in und um den Garderobenschrank im Flur, viele Schuhe im Flur, unaufgeräumtes Wohn- und Schlafzimmer, starken Rauchgeruch in der gesamten Wohnung.

Das Gericht kam zu dem Ergebnis: ein Kündigungsgrund lag nicht vor - weder für eine fristlose noch für eine ordentliche Kündigung. Auch ein Zutrittsrecht bestand nicht. Die Räumungsklage wurde abgewiesen.

Begründung des Gerichts: Die Wohnung sei zwar unaufgeräumt, aber "Der Begriff des Wohnens beinhaltet eine auf eine gewisse Dauer angelegte eigenständige Gestaltung des häuslichen Lebens durch Begründung eines Lebensmittelpunktes sowie die persönliche Entfaltung des Einzelnen im privat geschützten Raum. Jedem Mieter, dem auch hinsichtlich des berechtigten Besitzes an der ihm überlassenen Mietwohnung der Schutz der Art. 14 Abs. 1 G zuteil wird (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 18.10.1993, Az. 1 BvR 1335/93 juris) steht das Recht zu, seine Wohnung so einzurichten und so zu leben, wie er es für richtig hält, solange er hierdurch Rechte Dritter nicht beeinträchtigt."Eine Grenze dieser mieterseitigen Freiheit ist z.B. bei einer Substanzbeeinträchtigung der Fall, wenn die Wohnung also z.B. von Schimmel befallen oder die Statik negativ beeinträchtigt wäre sowie wenn aufwändige Reparaturmaßnahmen durchgeführt werden müssten.  Oder aber wenn andere durch üble Gerüche wegen exzessiver Lagerung von Lebensmitteln oder sonstigen Gegenständen belästigt werden würden.

Der Mieter hat auch das Recht, in Ruhe gelassen zu werden. Routinekontrollen durch den Vermieter sind nicht zulässig. Im Rahmen eines Mindestmaßes an Einwirkungsmöglichkeit aufgrund seines ebenfalls verfassungsrechtlich verankerten Eigentumsrechts nach Art. 14 Abs. 1 GG hat der Vermieter ein Zutrittsrecht nur bei Vorliegen eines sachlichen Grundes. Es müssen ernsthafte Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein drohender Schaden für die Wohnung oder eine Belästigung der anderen Mieter vorliegt.

Aus dem vom Gericht vorgefundenen Zustand, der sich im Übrigen mit den von den Kindern gefertigten Bilder deckte, waren derartige Anhaltspunkte nicht erkennbar.

Fazit, zu dem das Gericht kommt: Weder der Vermieter noch das Gericht haben das Recht, einem Mieter eine besonders aufgeräumte Lebensform vorzugeben. Solange die Wohnung nicht beeinträchtigt und andere nicht belästigt werden, ist der Mieter durch Art. 14 Abs. 1 GG (berechtigter Besitz im Rahmen der Eigentumsfreiheit) geschützt. Er darf im Rahmen seines auch vertraglich zustehenden Nutzungsrechtes wohnen wie es ihm beliebt.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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