Das Migrationsrecht und Asylverfahren in Deutschland

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Die wahren Geschichten schreibt das Leben. Was für viele zunächst verrückt klingt, geschah tatsächlich: Ein Mann aus Madagaskar sucht im Jahr 2002 Asyl in Deutschland. Einen madagassischen Pass kann er hierbei nicht vorlegen. Der Mann gibt vor, nicht zu wissen wer er sei, er gehe allerdings davon aus, Madagasse zu sein. Dies ist er wohl auch tatsächlich. Nach vielen Jahren in Deutschland, in welchen er eine Ausbildung absolviert hat und seitdem als Pflegeexperte arbeitet, sollte er abgeschoben werden. Hintergrund ist, dass die Passausstellung nur in Paris möglich ist und er mithilfe seiner Kettenduldung nicht legal reisen durfte, sodass er die verpflichtenden Mitwirkungshandlungen zur Passbeschaffung nicht vornehmen konnte. 


Allgemeines zum Migrationsrecht

Das Migrationsrecht umfasst sämtliche Regelungen die sich im Wesentlichen mit der Einreise und dem Aufenthalt von Menschen befassen, welche nicht die (deutsche) Staatsangehörigkeit innehaben. Grundsätzlich handelt es sich um eine Schnittstelle verschiedener Rechtsgebiete – insbesondere dem Verwaltungs-, dem Sozial- und dem Steuerrecht. Inhaltlich beschäftigt sich das Migrationsrecht vor allem, aber nicht nur, mit der Niederlassung im Aufenthaltsstaat, der Erwerbstätigkeit bis hin zur Integration. Auch geregelt werden Familienzusammenführungen und Abschiebungen. Ein Teil des Migrationsrechtes ist daneben auch das Asylrecht, welches die maßgeblichen Vorschriften für das Anerkennungsverfahren von Asylbewerbern stellt. Die maßgebliche Differenzierung zwischen Asyl und Migration liegt grundsätzlich darin, dass Asylbewerber in der Regel zu einem unfreiwilligen Verlassen ihres Herkunftslandes gezwungen werden, während im Rahmen einer Migration ein freiwilliges Verlassen im Vordergrund steht.


Maßgeblichen Vorschriften des Migrationsrechtes

In Deutschland existieren verschiedene gesetzliche Regelungen für das Migrationsrecht. So sind vor allem das Aufenthaltsgesetz (AufenthG), die Aufenthaltsverordnung (AufenthV), das Asylgesetz (AsylG), das Asylbewerberleistungsgesetz, das Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG), das SGB VIII und das Zuwanderungsgesetz bei der Bewertung migrationsrechtlicher Fragestellungen maßgeblich. Daneben ist auf europäischer Ebene das Europäische Asylrecht entscheidend. Bereits seit 2013 gibt es in der Europäischen Union ein gemeinschaftliches EU-Asylsystem, welches seine Grundlage in verschiedenen Richtlinien und Verordnungen findet. Hier zu nennen ist zunächst die Dublin III-Verordnung, welche die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten, welcher für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Die EURODAC-Verordnung regelt den Aufbau eines Fingerabdrucksystems, welches dem Abgleich von Fingerabdruckdaten zur effektiven Anwendung der Dublin III-Verordnung ermöglicht. Die Qualifikations-Richtlinie regelt grundsätzlich, wer als Flüchtling zu klassifizieren ist. Für die Aufnahme und Behandlung von Asylsuchenden ist die Aufnahme-Richtlinie heranzuziehen. Grundlage für das Asylverfahren ist die Asylverfahrensrichtlinie [zu den verschiedenen Rechtsgrundlagen für Asyl in Europa: https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/was-sind-die-rechtsgrundlagen-fuer-asyl-in-europa--512028].


Das Asylverfahren in Deutschland

Das Recht auf Asyl findet seine rechtliche Verankerung im Grundgesetz, Art. 16a GG. Um Asyl in Deutschland erhalten zu können, bedarf es des Durchlaufens eines Drei-Phasen-Systems. Zunächst muss sich der Asylbewerber registrieren und seinen Asylantrag stellen. Nach einer Registrierung, hier werden z.B. unter anderem Fingerabdrücke genommen, werden Asylbewerber zunächst in einer Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht. Der Asylantrag muss persönlich in einer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gestellt werden – eine schriftliche Antragsstellung ist hierbei nur im Ausnahmefalle möglich. Bereits hier müssen vorhandene Unterlagen und Dokumente zur Identitätskontrolle vorgelegt werden. Im Rahmen des sogenannten „Dublin-Verfahrens“ überprüft das BAMF die Zuständigkeit für das Asylverfahren – ggf. ist ein anderer Mitgliedsstaat der EU, etc. zuständig – z.B. wenn dort bereits zuvor ein Asylantrag gestellt worden ist. Im Anschluss hieran wird der Asylbewerber angehört. Hierbei muss der Asylsuchende darlegen, welche Gefahren ihnen im Herkunftsstaat drohen und die Fluchtgründe darlegen. Final entscheidet das BAMF über das Asylgesuch.

Im Anschluss erlässt das BAMF einen Bescheid mit der Entscheidung über das Asylgesuch. Hierbei bestehen verschiedene, denkbare inhaltliche Varianten. Grundsätzlich existieren vier Schutzformen, sofern keine gänzliche Abweisung erfolgt.

Die erste Möglichkeit ist, dass die Person als Asylberechtigter im Sinne von Art. 16a GG anerkannt wird. Als zweite Möglichkeit ist die Anerkennung von Flüchtlingsschutz entsprechend der Genfer Flüchtlingskonvention gemäß § 3 AsylG möglich. Als dritte Option ist die Zuerkennung eines subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG denkbar. Als vierte Möglichkeit ist die Feststellung eines Abschiebeverbotes, § 60 V, VII AufenthG denkbar. Sofern keine dieser Schutzformen in Betracht kommt, wird der Asylantrag abgelehnt.


Die Unterschiede der vier Schutzformen

Folge der Anerkennung als Asylberechtigter ist die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre. Nach dieser Zeit ist eine Niederlassungserlaubnis denkbar, sofern weitere Voraussetzungen wie z.B. ausreichende Deutschkenntnisse erfüllt sind. Eine Erwerbstätigkeit ist gestattet sowie der Familiennachzug. Ähnliche Folgen hat die Anerkennung von Flüchtlingsschutz – im Gegensatz zur Asylberechtigung ist dieser jedoch umfangreicher und greift auch dann, wenn eine Verfolgung durch nichtstaatlichen Akteure vorliegt. Eine subsidiäre Schutzberechtigung liegt vor, wenn Menschen stichhaltige Gründe vortragen können, dass sie in ihrem Herkunftsstaat einem ernsthaften Schaden ausgesetzt sind und durch ihren Herkunftsstaat keinen Schutz erfahren können. In der Folge wird eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr anerkannt, welche verlängert werden kann. Eine Niederlassungserlaubnis ist erst nach fünf Jahren denkbar. Die Erwerbstätigkeit ist ebenfalls gestattet, nicht jedoch der privilegierte Familiennachzug. Abschiebeverbote können festgestellt werden, wenn die Rückführung eines Menschens eine Verletzung der EMRK zur Folge hätte (vgl. § 60 Abs. 5 AufenthG) oder eine massive Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit (§ 60 Abs. 7 AufenthG) besteht. Bei diesen Abschiebungsverboten handelt es sich um zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote. In der Folge eines Abschiebeverbotes ist eine Aufenthaltserlaubnis von einem Jahr möglich sowie eine Verlängerung von dieser. Für eine Erwerbstätigkeit ist die Erlaubnis der Ausländerbehörde erforderlich. Im Unterschied hierzu gibt es inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, welche nicht das BAMF innerhalb des Asylprüfungsverfahrens prüft, sondern die Ausländerbehörde, welche dann unter Umständen eine sogenannte „Duldung“ ausspricht, § 60a AufenthG.


(Ketten-)Duldung

Sofern im eingangs genannten Fall von einer „Kettenduldung“ gesprochen wird, liegt kein Aufenthaltsrecht im obigen Sinne vor, vielmehr handelt es sich um eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung ausreisepflichtiger Personen. Grundsätzlich muss der Betroffene damit Deutschland verlassen, allerdings wird vorübergehend davon abgesehen, die Pflicht zur Ausreise mittels Abschiebung durchzusetzen. Die gesetzliche Grundlage hierfür findet sich in § 60a AufenthG. Die Norm unterscheidet zwischen zwei verschiedenen Gründen, weshalb eine Duldung ausgesprochen werden kann. Gemäß § 60a Abs. 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung ausgesetzt wird. Ferner kann gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG die Abschiebung ausgesetzt werden, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Liegt eine Duldung vor, wurde also ein Asylantrag abgelehnt, welcher den Betroffenen zur Ausreise zwingt, was im Zweifel mit einer Abschiebung durchgesetzt werden kann. Sofern diese nicht möglich ist, erhält der Betroffene die Duldung.

Gemäß § 60a AufenthG Abs. 1 AufenthG kann die Dulung über einen Zeitraum von bis zu drei Monaten ausgesprochen werden. Häufig können Abschiebungshindernisse in dieser Zeit nicht beseitigt werden, sodass die Duldung mehrfach verlängert wird („Kettenduldung“). Infolgedessen lebt der Betroffene in der stetigen Ungewissheit, doch noch abgeschoben zu werden.

Erst seit 2015 können Personen, welche bereits über einen längeren Zeitraum geduldet werden, ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland erhalten [BeckOK-Ausländerrecht/Kluth, 33. Edi. 2022, AufenthG § 25b Rn. 1].

§ 60b AufentG enthält die sogenannte Duldung für Personen mit einer ungeklärten Identität – also gerade der zugrundeliegende Ausgangsfall. § 60b Abs. 2 AufenthG legt dem Betroffenen die Pflicht auf, alle zumutbaren Handlungen zur Beschaffung eines Passes bzw. eines Passersatzes selbst vorzunehmen.

§60c AufenthG ermöglicht die Erteilung einer Ausbildungsduldung; § 60d AufenthG die einer Beschäftigungsduldung.


Reisen bei Vorliegen einer Duldung

Bei Vorliegen einer Duldung unterliegen Betroffene der sogenannten Residenzpflicht, § 61 AufenthG. Infolgedessen ist ihre Bewegungsfreiheit auf das Gebiet des jeweiligen Bundeslandes eingeschränkt, wenn keine der genannten Ausnahmen vorliegt [vgl. BeckOK-Ausländerrecht/Kluth, 33. Edi. 2022, AufenthG § 61 Rn. 13 ff.]. Gemäß § 3 AufenthG besteht eine grundlegende Passpflicht – sowohl bei Einreise in das Bundesgebiet als auch bei Aufenthalt. Sofern der Ausreisepflichtige keinen gültigen Pass oder Passersatz besitzt, so ist er dazu verpflichtet, alle zumutbaren Handlungen vorzunehmen, um sich einen Pass oder Passersatz zu beschaffen. Für die Beurteilung, ob die Zumutbarkeit einer Handlung vorliegt, ist § 60b Abs. 3 AufenthG heranzuziehen. Hierbei handelt es sich um Regelbeispiele [BeckOK-Ausländerrecht/Kluth, 33. Edi. 2022, AufenthG § 60b Rn. 27].

Gemäß § 60b Abs. 5 S. 3 AufenthG unterliegt der Duldungsinhaber mit einer ungeklärten Identität einer Wohnsitzauflage nach § 61Abs. 1d AufenthG [hierzu auch Bergmann/Dienelt/Dollinger, 13. Auflage 2020, AufenthG § 60b Rn. 29]. Gleichermaßen untersagt § 60b Abs. 5 S. 2 AufenthG dem Betroffenen die Ausübung einer Erwerbstätigkeit [hierzu auch Bergmann/Dienelt/Dollinger, 13. Auflage 2020, AufenthG § 60b Rn. 29].


Zugrundeliegender Fall

Vorliegend kollidiert infolge des obig Ausgeführten die Pflicht zur Beschaffung der Passdokumente mit dem Verbot, das Bundesland bzw. letztlich auch den Wohnsitz nicht zu verlassen. Die Beantragung beziehungsweise Beschaffung eines (Ersatz)passes ist letztlich nur in der Botschaft von Madagaskar in Paris möglich. Eine Reise dorthin mit der Kettenduldung stellte sich damit als nicht durchführbar heraus, sodass die zuständige Behörde mit der Abschiebung drohte. Erst im Rahmen des Eilrechtschutzes wurde dem Betroffenen eine (vorläufige) Aufenthaltserlaubnis erteilt, sodass er mithilfe einer erteilten Aufenthaltserlaubnis nun vorläufig der Reisebeschränkung nicht mehr unterliegt und einen Pass beantragen kann.


Anwaltliche Sicht

Trotz Implementierung von § 25 Abs. 5 AufentG sind bestehende Probleme im Rahmen von Duldungen noch nicht umfänglich beseitigt worden. Betroffenen ist daher zu raten, sich bereits bei Stellung des Asylantrages an einen Rechtsanwalt zu wenden, um bestenfalls eine Aufenthaltserlaubnis erteilt zu bekommen. Der vorliegende Fall zeigt, dass auch bei erfolgreicher Integration – der Betroffene arbeitet seit mehreren Jahren als Pflegeexperte – dies in Ermanglung eines Aufenthaltstitels und nur bloßen Vorliegen einer Duldung, eine Abschiebung noch durchaus denkbar ist und eine gelebte Praxis darstellt.



Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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