Im Zweifel für den Angeklagten – leider nicht im Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht

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Im Zweifel für den Angeklagten (in dubio pro reo)

Der Grundsatz im Zweifel für den Angeklagten ist im Strafverfahren einer der wichtigsten Grundsätze. Niemand soll verurteilt werden, wenn seine Schuld nicht zu einhundert Prozent feststeht. Lieber kommt ein Schuldiger frei, als das ein Unschuldiger bestraft wird.

Sofern das Gericht (Einzelrichter oder Schöffengericht) letzte Zweifel an der Schuld des Angeklagten hat, dann hat es diesen freizusprechen. Nur wenn nach Beendigung der Beweisaufnahme die Schuld des Angeklagten zweifelsfrei feststeht, darf eine Verurteilung erfolgen.

Die Beweislast für die Schuld des Angeklagten liegt dabei bei der Staatsanwaltschaft und dem Gericht. Der Angeklagte muss seine Unschuld nicht aktiv beweisen.


Keine Geltung des Grundsatzes im Zweifel für den Betroffenen im Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren

Im Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren gilt dieser Grundsatz jedoch nicht. Begründet wird dies damit, dass es sich im Gegensatz zum Strafverfahren nur um ein verwaltungsrechtliches Verfahren handelt. Anders als im Strafverfahren gehe es nur um geringe Verstöße, die nur mit Geldbußen oder Nebenfolgen, wie beispielsweise einem Fahrverbot und Punkten im Fahreignungsregister geahndet werden. Im Strafverfahren hingegen ginge es um Strafen (Geldstrafe oder Freiheitsstrafe mit und ohne Bewährung), die im Führungszeugnis eingetragen und das Leben des Angeklagten nachhaltig prägen würden.


Welche Folgen hat dies für das Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren

Die Nichtgeltung des Grundsatzes „im Zweifel für den Betroffenen“ im Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren hat zur Folge, dass die Beweislast umgekehrt wird. Nicht die Behörde oder das Gericht müssen die Schuld dem Betroffenen zweifelsfrei nachweisen. Die Beweislast für seine Unschuld liegt beim Betroffene selbst oder seinem Verteidiger.

Daraus resultiert, dass der Betroffene oder sein Verteidiger, beispielsweise bei einem Geschwindigkeitsverstoß, aktiv nachweisen müssen, dass die Messung nicht ordnungsgemäß erfolgt ist. Das sie fehlerhaft ist. Um Fehler aktiv finden zu können muss die Ermittlungsakte genaustens überprüft werden. Sofern die Akte unvollständig ist, müssen die fehlenden Unterlagen unverzüglich erneut angefordert werden.

Leider ist die Ermittlungsakte in der Praxis häufig unvollständig, da die Behörden Unterlagen einfach nicht übersenden wollen. In solchen Fällen muss der Verteidiger dann einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen. Diesem muss das Gericht selbst dann stattgeben, wenn es selbst die Unterlagen nicht für erforderlich erachtet. Bei der Frage, welche Beweismittel zur Entlastung des Betroffenen erforderlich sind, kommt es nur auf die Sicht des Verteidigers und des Betroffenen an.


Welche Unterlagen darf der Betroffene bzw. sein Verteidiger anfordern

Durch mehrere Entscheidungen verschiedener Oberlandesgerichte und des Bundesverfassungsgericht ist mittlerweile der Anspruch des Betroffenen auf Zugang zu den Messunterlagen erweitert worden. Der Betroffene bzw. sein Verteidiger dürfen mithin auch Unterlagen durch Akteneinsicht beanspruchen, die sich zwar bei der Behörde befinden, jedoch nicht zur Ermittlungsakte genommen wurden.

Dazu gehören die klassischen Unterlagen, wie Messprotokoll, Eichschein, Schulungsnachweis, Beweisfotos.

Durch die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 14.12.2017 (2 BvR 1616/18) und vom 4.05.2021 (2 BvR 868/20) gehören dazu mittlerweile auch die Rohmessdaten, sofern welche gespeichert werden und die Lebensakte des Messgerätes, aus der die Reparaturen und Wartungen am Messgerät hervorgehen können.

Das Recht auf Zugang zu den Rohmessdaten wurde durch die Beschlüsse des OLG Karlsruhe vom 22.8.2023 (1 ORBs 34 Ss 468/23) und OLG Bremen, Beschluss vom 20.10.2023 (1 ORbs 25/23) uvm. noch weiter konkretisiert, indem ausdrücklich auch die Übersendung der unverschlüsselten Rohmessdaten bzw. die Übersendung der Rohmessdaten einschließlich Token und Passwort davon erfasst sind.

Das OLG Köln, Beschluss vom 30.05.2023 (1 RBs 288/22) hat das Recht auf Zugang noch einmal dahingehend erweitert, dass der Betroffene bzw. sein Verteidiger auch Zugang zu der gesamten Messserie des Tattages haben muss. Sprich sämtliche Verstöße die am Tattag durch das Messgeräte erfasst worden sind, sind dem Verteidiger zugänglich zu machen, da er anhand dessen mögliche Fehlerquellen aufdecken könnte.


Fazit

Im Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren trägt der Betroffene bzw. sein Verteidiger die Beweislast für Messfehler. Der Betroffene bzw. sein Verteidiger muss die Fehlerhaftigkeit der Messung und damit die Unschuld des Betroffenen beweisen. Durch die Rechtsprechung wurden jedoch zumindest die Zugangsrechte zur den Messunterlagen für den Betroffenen und seinen Verteidiger erleichtert.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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