Zeugen im Strafprozess: Was Sie dürfen und was Sie müssen!
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Experten-Autorin dieses Themas
Was ist ein Zeuge und welche Pflichten hat ein Zeuge?
Der Zeuge ist ein persönliches Beweismittel; eine Person, die in einem nicht gegen sie selbst gerichteten Strafverfahren Auskunft über die Wahrnehmung von Tatsachen gibt. Gesetzliche Regelungen finden Sie v.a. in §§ 48 ff. Strafprozessordnung (StPO).
Wichtig: Auch der Zeuge vom Hörensagen ist ein taugliches Beweismittel. Das Gericht muss sich zwar um die Vernehmung des unmittelbaren Zeugen bemühen; ist diese jedoch nicht möglich, kann der Zeuge vom Hörensagen vernommen werden, und es ist eine besonders sorgfältige Würdigung der Aussagen des Zeugen vom Hörensagen erforderlich.
Grundsätzliche Pflichten (§ 48 StPO) des Zeugen sind:
- Erscheinungspflicht
- Wahrheitspflicht
- Aussagepflicht
- Beeidigung der Aussage auf Verlangen
Nach § 57 StPO werden Zeugen vor der Vernehmung zur Wahrheit ermahnt und über die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage belehrt. Bei Zeugen vor Gericht ist die gleichzeitige Belehrung aller nach Aufruf erschienenen Zeugen zulässig.
Von den oben genannten Pflichten gibt es jedoch Ausnahmen (siehe Wann entfällt die Aussagepflicht?) Unterschiede bei den Zeugenpflichten bestehen insbesondere auch im Hinblick darauf, wer (Staatsanwaltschaft, Polizei oder Richter) den Zeugen lädt. Außerdem hat der Zeuge Gegenüberstellungen nach § 58 Abs. 1 StPO zu dulden, an Augenscheinseinnahmen teilzunehmen und unter Umständen körperliche Untersuchungen nach § 81c StPO zu dulden.
Wichtig: Bestimmte Zeugen (insbesondere Richter, Polizeibeamte, Staatsanwälte) haben außerdem die Pflicht, sich auf ihre Aussage vorzubereiten. Wenn zur Erinnerung an Einzelheiten notwendig, müssen sie die bei ihrer Behörde zugänglichen Akten vorher einsehen.
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Wann entfällt die Aussagepflicht?
Nicht in jedem Fall muss der Zeuge aussagen. Er darf unter Umständen schweigen, und zwar dann, wenn ihm ein Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht zusteht.
Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrecht
Manche Zeugen haben das Recht zu schweigen. Die Aussagepflicht entfällt, wenn dem Zeugen ein
zusteht. Was das genau bedeutet, soll im Folgenden in Kürze erklärt werden. Man differenziert grundsätzlich zwischen dem Zeugnisverweigerungsrecht und dem Auskunftsverweigerungsrecht. Hinweis: Das sogenannte Aussageverweigerungsrecht steht nur dem Beschuldigten selbst zu und ergibt sich aus § 136 Abs. 1 S. 2 StPO bzw. dem Grundsatz, dass sich niemand selbst belasten muss.
Zeugnisverweigerungsrecht
Das Zeugnisverweigerungsrecht soll den Zeugen vor inneren Konfliktlagen bewahren. Unterschieden wird zwischen:
- Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen des Beschuldigten (wegen persönlicher Verbundenheit)
- Zeugnisverweigerungsrecht der Berufsgeheimnisträger (aus beruflichen Gründen)
Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen des Beschuldigten dient der Rücksichtnahme auf die Zwangslage des Zeugen, der grundsätzlich zur Wahrheit verpflichtet ist (s. o.), aber bei wahrheitsgemäßer Aussage fürchten muss, einem Angehörigen zu schaden. Gegen den Angehörigen muss zum Zeitpunkt der Vernehmung zumindest ein Ermittlungsverfahren laufen.
Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt:
- Verlobte
- Ehegatten (auch nach Scheidung oder Auflösung der Ehe)
- Lebenspartner (auch, wenn Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht)
- wer mit dem Beschuldigten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war
Verwandtschaft und Schwägerschaft beurteilen sich nach § 1589 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) (Verwandtschaft) bzw. § 1590 BGB (Schwägerschaft). Die Schwägerschaft besteht auch fort, wenn die Ehe, durch die die Schwägerschaft begründet wurde, aufgelöst ist. Begründet werden muss das Zeugnisverweigerungsrecht nicht. Auch nicht, aus welchem Grund von dem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht wird.
Wichtig: Das Zeugnisverweigerungsrecht berechtigt nur zu Verweigerung der Aussage, nicht zum Lügen. Auch wesentliche Tatsachen dürfen bei einer Aussage nicht einfach verschwiegen werden. Die Verweigerung der Aussage muss erklärt werden, denn auch eine unvollständige Aussage kann strafbar sein.
Es ist jedoch möglich, sowohl die ganze Zeugenaussage zu verweigern als auch nur einen Teil bzw. einzelne Fragen. In Verfahren gegen mehrere Beschuldigte kann die Aussage in vollem Umfang verweigert werden, wenn der Zeuge andernfalls Gefahr läuft, den Angehörigen mittelbar zu belasten.
Wichtig: Die Feststellung, ob ein Verlöbnis tatsächlich vorliegt, unterliegt der wertenden Beurteilung des Richters nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls. Wenn niemand widerspricht, darf das Gericht die Angabe des Zeugen über das bestehende Verlöbnis grundsätzlich als richtig hinnehmen.
Das berufliche Zeugnisverweigerungsrecht dient dem Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen bestimmten Berufsangehörigen und denen, die ihre Hilfe und Sachkunde in Anspruch nehmen. Zur Verweigerung des Zeugnisses sind beispielsweise Geistliche in ihrer Eigenschaft als Seelsorger, Ärzte, Verteidiger des Beschuldigten und Rechtsanwälte berechtigt. Eine vollständige Auflistung finden Sie in § 53 Abs. 1 S. 1 StPO. Wichtig: Das Zeugnis darf u.a. nicht verweigert werden, wenn einer der in § 53 Abs. 1 S. 1 StPO genannten Berufsangehörigen von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden ist.
Auskunftsverweigerungsrecht
Nach § 55 StPO kann jeder Zeuge die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 StPO bezeichneten Angehörigen (s. o.) die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.
Belehrungspflicht
Steht dem Zeugen ein Recht nach § 52 StPO zu, ist er entsprechend zu belehren. Das ergibt sich aus § 52 Abs. 3 StPO. Dem Zeugen muss durch die Belehrung eine genügende Vorstellung von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts vermittelt werden. Dabei darf auf die Entschließungsfreiheit des Zeugen nicht eingewirkt werden.
Die Belehrung ist Aufgabe des Richters. Bei Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft oder die Polizei obliegt die Belehrungspflicht den Beamten.
Es ist immer der Zeuge selbst zu belehren und zwar vor jeder Vernehmung zur Sache – unabhängig davon, ob sie bereits in einer vorherigen Vernehmung erfolgt ist und unabhängig davon, ob der Zeuge auf sein Weigerungsrecht verzichtet. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat aber entscheiden, dass bei einer nochmaligen Vernehmung am selben Verhandlungstag eine erneute Belehrung entbehrlich ist. Die Belehrung sowie die diesbezüglich abgegebene Erklärung sind zu protokollieren. Wichtig: Ist die Belehrung unterblieben, darf die Aussage des Zeugen nicht verwertet werden.
Bei dem beruflichen Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 StPO besteht keine Belehrungspflicht. Das Gericht darf davon ausgehen, dass der Zeuge seine Berufsrechte und -pflichten kennt. Etwas anderes gilt nur, wenn die Unkenntnis des Zeugen offensichtlich ist (Fürsorgepflicht).
Bei dem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO ist eine Belehrungspflicht in Abs. 2 normiert. Die Belehrung sollte aber erst erfolgen, wenn Grund zu der Annahme und nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, dass der Zeuge oder ein in § 52 Abs. 1 StPO bezeichneter Angehöriger (s.o.) infolge der Aussage wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt werden könnte.
Vorladung als Zeuge – muss ich erscheinen?
Ob man als Zeuge auf eine Vorladung erscheinen muss, ist abhängig davon, von wem die Ladung stammt. Nach § 161a StPO sind Zeugen verpflichtet, auf Ladung vor der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen. Sofern die Vorladung durch die Polizei selbst erfolgt, sind Zeugen nicht verpflichtet, dort zu erscheinen.
Aber Achtung: Erfolgt die Vorladung zwar durch polizeiliches Schreiben, aber auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft, sind Zeugen seit Änderung der StPO im Jahre 2019 gem. § 163 Abs. 3 StPO verpflichtet, dieser Ladung nachzukommen und auszusagen. Lesen Sie die Ladung deshalb ganz genau!
Zeugen, die eine Ladung vom Gericht erhalten haben, müssen ebenfalls zu dem zu ihrer Vernehmung bestimmten Termin erscheinen (§ 48 StPO). Lesen Sie, was passiert wenn ein Zeuge nicht vor Gericht erscheint, im gleichnamigen Abschnitt in diesem Ratgeber.
Zeugen haben gemäß § 68b StPO das Recht, sich eines Rechtsanwalts als Beistand zu bedienen.
Falschaussage: Das droht!
Wegen der in jedem gerichtlichen Verfahren geltenden Wahrheitspflicht des Zeugen ist eine Falschaussage strafbar. Nach § 153 StGB droht bei einer uneidlichen falschen Aussage vor Gericht oder vor einer anderen zur eidlichen Vernehmung von Zeugen zuständigen Stelle eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.
Nicht strafbar ist wegen des o. g. Gesetzestextes eine falsche Aussage vor der Polizei oder der Staatsanwaltschaft. Aber Achtung: Es kann eine Strafbarkeit wegen falscher Verdächtigung (§ 164 StGB), übler Nachrede (§ 186 StGB) oder Verleumdung (§ 187 StGB) in Betracht kommen.
Falsch ist die Zeugenaussage nach herrschender Meinung und Ansicht des BGH, wenn sie im Hinblick auf den Vernehmungsgegenstand nicht der Wahrheit entspricht, also die Wirklichkeit unzutreffend wiedergibt bzw. von der objektiven Sachlage abweicht. Auch das Verschweigen von Tatsachen bzw. eine unvollständige Aussage kann zur Strafbarkeit nach § 153 StGB führen.
Wichtig: Der Straftatbestand ist erst mit dem Abschluss der Vernehmung beendet. Es ist also möglich, die Aussage vor Abschluss der Vernehmung noch zu korrigieren, ohne dass man sich strafbar gemacht hat – und zwar unabhängig davon, ob man eigeninitiativ die Aussage ändert oder, ob Richter oder Staatsanwaltschaft an die Wahrheitspflicht erinnern und diesbezüglich nochmal nachhaken und die Aussage erst daraufhin korrigiert wird.
Was passiert, wenn ein Zeuge nicht vor Gericht erscheint?
Erscheint ein ordnungsgemäß geladener Zeuge nicht, muss er wegen der Erscheinungspflicht (s. o.) mit erheblichen Konsequenzen rechnen. Welche das sind, regelt § 51 StPO für das Strafverfahren und § 380 Zivilprozessordnung (ZPO) für das Zivilverfahren.
Danach werden dem Zeugen die durch sein Ausbleiben verursachten Kosten auferlegt (beispielsweise Anwaltskosten). Zugleich droht ein Ordnungsgeld – dessen Höhe im Ermessen des Gerichts steht – bzw. alternativ sogar Ordnungshaft, wenn das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann. Möglich ist auch die zwangsweise Vorführung. Im Zivilverfahren allerdings erst im Falle des wiederholten Ausbleibens (§ 380 Abs. 2 ZPO).
Kann der Zeuge rechtzeitig eine genügende Entschuldigung vorweisen, drohen ihm keine Konsequenzen. Rechtzeitig ist die Entschuldigung nur, wenn eine Verlegung des Termins und eine Abstellung der geladenen Personen noch im gewöhnlichen Geschäftsbetrieb möglich ist.
Fazit
- Der Zeuge ist ein persönliches Beweismittel: eine Person, die in einem nicht gegen sie selbst gerichteten Strafverfahren Auskunft über die Wahrnehmung von Tatsachen gibt.
- Auch der Zeuge vom Hörensagen ist ein taugliches Beweismittel.
- Grundsätzliche Pflichten des Zeugen sind, Erscheinungspflicht, Wahrheitspflicht, Aussagepflicht, Beeidigung der Aussage auf Verlangen.
- Von der Aussagepflicht gibt es Ausnahmen (Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrecht).
- Die Erscheinungspflicht ist davon abhängig, welche Behörde den Zeugen geladen hat.
- Sofern die Vorladung durch die Polizei selbst erfolgt, sind Zeugen nicht verpflichtet, dort zu erscheinen.
- Erfolgt die Vorladung zwar durch polizeiliches Schreiben, aber auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft, sind Zeugen gem. § 163 Abs. 3 StPO verpflichtet, zu erscheinen.
- Erscheint ein Zeuge nicht vor Gericht, werden dem Zeugen die durch sein Ausbleiben verursachten Kosten auferlegt. Zugleich droht ein Ordnungsgeld – dessen Höhe im Ermessen des Gerichts steht – bzw. alternativ sogar Ordnungshaft, wenn das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann.
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