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100 Tage Mindestlohn – Auswirkungen und offene Fragen

  • 4 Minuten Lesezeit
Christian Günther anwalt.de-Redaktion

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Seit Anfang 2015 gilt in Deutschland der flächendeckende, allgemeine Mindestlohn von 8,50 Euro brutto pro Zeitstunde. Das Mindestlohngesetz (MiLoG) ist damit auf den heutigen Freitag bezogen 100 Tage in Kraft. Üblicherweise erfolgt bei etwas entscheidend Neuem nach dieser Zeit eine erste Bilanz. Welche Auswirkungen durch den Mindestlohn sind zu erkennen? Welche Fragen sind beim Mindestlohn noch ungeklärt? Wo gibt es Nachbesserungsbedarf?

Ließ der Mindestlohn die Preise steigen und wenn ja wo?

Eine der zuerst erwarteten Reaktionen auf den Mindestlohn waren steigende Preise vor allem durch die Weitergabe gestiegener Lohnkosten. Tatsächlich lassen sich höhere Preise verzeichnen. Die Teuerung ist allerdings nicht so stark und auch nicht überall gleich, wie einige befürchteten. Preissteigerungen melden Branchenverbände hier bei Hotels und Gaststätten in Höhe von 2,5 Prozent und bei Taxifahrten um durchschnittlich 10 Prozent. Auch bei Friseuren und Bäckern werden die Leistungen etwas teurer. Um 10 Prozent sollen in einigen Regionen auch die Preise bei Reinigungen gestiegen sein. Aufgrund der Anhebung auf den Mindestlohn fallen die Steigerungen in lohnschwachen Regionen vergleichsweise höher aus. In der Landwirtschaft steht die erste Erntesaison unter dem Mindestlohn noch aus. Die Spargelsaison 2015 fing gerade erst vor wenigen Tagen an. Vermutlich steigen aber auch hier die Preise für Obst und Gemüse. Wie in anderen Branchen gilt hier jedoch eine Regelung, nach der der Mindestlohn schrittweise ab gewissen Zeitpunkten auf die vollen 8,50 Euro steigt. Erst ab 2018 sollen generell Ausnahmen vom Mindestlohngesetz entfallen.

Welche Auswirkungen hat der Mindestlohn bislang auf den Arbeitsmarkt?

Wo sich Preissteigerungen nicht durchsetzen lassen, drohen auf mittlere und längere Sicht Entlassungen. Die Befürchtung, der Mindestlohn vernichte zahlreiche Arbeitsplätze, lässt sich nach so kurzer Zeit noch nicht bestätigen. Über die Arbeitsmarktlage entscheiden zudem weitere Faktoren wie die konjunkturelle Lage.

Festgestellt wurde jedoch ein starker Rückgang der auch als 450-Euro-Jobs bekannten Minijobs im Vergleich zum Vorjahr. Deren Zahl ging im Januar 2015 um 255.000 zurück. Im Januar 2014 sank die Zahl der Minijobs um 90.000. Saisonbereinigt sind damit 155.000 weniger Minijobs als im Vorjahr zu verzeichnen. Da bei Verlust eines Minijobs kein Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht und diese häufig von Rentnern und Studenten bzw. als Nebenjob ausgeübt werden, tauchen die Zahlen in der offiziellen Arbeitsmarktstatistik nicht auf. Andererseits ist aber auch nicht ersichtlich, wie viele Minijobber ein anderes Beschäftigungsverhältnis aufgenommen haben.

Zählt zusätzliches Entgelt wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld zu den 8,50 Euro?

Aus dem Mindestlohngesetz geht nicht hervor, welche Entgeltbestandteile zum Mindestlohn zählen. Das Arbeitsgericht Berlin hat zu dieser Frage ein erstes, noch nicht rechtskräftiges Urteil gefällt (Urteil vom 04.03.2015, Az.: 54 Ca 14420/14). Arbeitgeber dürfen der Entscheidung zufolge zusätzliches Urlaubsgeld und eine jährliche Sonderzahlung nicht auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen. Anlass war die erfolgreiche Klage einer Arbeitnehmerin gegen eine Änderungskündigung. Bislang hatte diese einen Stundenlohn von 6,44 Euro, eine Schicht- und Leistungszulage, zusätzliches Urlaubsgeld und eine Jahressonderzahlung erhalten. Nach Einführung des Mindestlohns hatte der Arbeitgeber der Frau gekündigt und ihr die Weiterbeschäftigung zu 8,50 Euro angeboten – allerdings ohne die ganzen Zusatzleistungen. Diese Kündigung hielt das Arbeitsgericht jedoch für unwirksam.

Bekommen auch Amateurspieler und ausländische LKW-Fahrer den Mindestlohn?

In einigen Bereichen sorgte bzw. sorgt der Mindestlohn für Unsicherheit. Mittlerweile geklärt ist die Frage, ob auch Amateurspieler oder Trainer eines Sportvereins, die bislang eine Aufwandsentschädigung für Spieleinsatz und Training erhielten, fortan den Mindestlohn erhalten müssen. Das Mindestlohngesetz enthielt dazu keine Aussage. Erst ein Treffen mit Sportverbänden brachte Klarheit. Ende Februar 2015 stellte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles klar: Wenn der Spaß am Sport im Vordergrund steht und nicht der Broterwerb, ist kein Mindestlohn zu zahlen. Es ließe sich von keinem Verhältnis zwischen dem Verein als Arbeitgeber und Amateuren als Arbeitnehmer sprechen.

Letztere Ansicht darf jedoch nicht wörtlich genommen werden. Amateurfußballspieler, die für ihre Tätigkeit ein Entgelt erhalten, gelten zumindest steuerrechtlich als Arbeitnehmer des Vereins. Eine Vergütung ist daher der Lohnsteuer zu unterwerfen, sofern sie sich nicht als reine Aufwandsentschädigung nachweisen lässt.

Hingegen ist in der Frage des auch ausländischen Lkw-Fahrern zu zahlenden Mindestlohns noch nicht das letzte Wort gesprochen. Nach Protesten wurde die Regelung für den bloßen Transitverkehr – also die Fahrt durch Deutschland ohne Aufnahme bzw. Ablieferung von Ware – vorerst ausgesetzt. Vom Tisch ist das Thema aber noch nicht. Endet oder beginnt eine Fahrt in Deutschland, unterliegt die Bezahlung des Fahrers weiter dem Mindestlohngesetz. Die Idee dahinter ist die Vermeidung von Schlupflöchern durch den Einsatz im Ausland angestellter Arbeitnehmer. Speditionen aus Österreich, Polen und Ungarn haben daher Mitte März Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht eingelegt (Az: 1 BvR 555/15). Diese richtet sich auch gegen die Dokumentationspflichten. Zudem prüft die EU-Kommission, ob sie ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleitet. Denn möglicherweise verletzt die Regelung die in der EU geltende Dienstleistungsfreiheit.

Kritik der Arbeitgeber an Dokumentations- und Meldepflichten

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die mit dem Mindestlohn einhergehenden Dokumentations- und Meldepflichten für Arbeitgeber in bestimmten Branchen wie der Bauwirtschaft, Gebäudereinigung und weiteren nach § 2a Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz. Durch die Vorgaben soll sich schnell kontrollieren lassen, ob ein Arbeitgeber die Mindestlohnvorgaben einhält. Davon betroffene Arbeitgeber beklagen jedoch, dass die die Pflichten regelnde Mindestlohndokumentationspflichten-Verordnung (MiLoDokV) ein Bürokratiemonster erschaffen habe. Erst für Arbeitnehmer mit einem Bruttolohn von über 2958 Euro brutto entfällt demnach die Pflicht, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit jedes Arbeitnehmers innerhalb einer Woche aufzuzeichnen und diese Aufzeichnungen mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Um diesen Lohn zu erreichen, müsste ein Arbeitnehmer zum Mindestlohn von 8,50 Euro 29 Tage im Monat jeden Tag 12 Stunden arbeiten.

(GUE)

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