Abgrenzung Selbstständigkeit zur Scheinselbstständigkeit: Checkliste mit Leitfaden

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Abgrenzung Selbstständigkeit zur Scheinselbstständigkeit: Checkliste mit Leitfaden für den Arbeitsalltag von Personalverantwortlichen

Grundsätzliches

Ob ein Auftragnehmer tatsächlich selbstständig tätig ist, ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu entscheiden. Auf die Bezeichnung in dem der Tätigkeit zugrunde liegenden Vertrag kommt es nicht an.

Typische Merkmale eines selbstständigen unternehmerischen Handelns sind:

  • Erbringung von Leistungen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung
  • Erbringung von vorher definierten Werkleistungen zum Fixpreis und die Bezahlung nach Abnahme des mangelfreien Werkes gegen Rechnungserstellung
  • für jeden Auftrag ein dokumentiertes Angebot in Textform (welche Leistung in welchem Zeitrahmen zu welchem Preis) und eine Annahme des Angebots (z. B. auf der Grundlage eines schriftlichen Rahmenvertrages)
  • eigenes Haftungsrisiko für die erbrachte Dienstleistung bzw. das erstellte Werk und zur Absicherung dieses Risikos abgeschlossene Versicherungen
  • eigenständige Entscheidung über Einkaufs- und Verkaufspreise und Warenbezug
  • Einstellung von eigenem Personal
  • Vorhandensein eigener Geschäftsräume
  • Einsatz von Kapital und eigener Arbeitsgeräte
  • freie Gestaltung von Tätigkeit und Arbeitszeit
  • keine Abstimmung und Bezahlung von Urlaub und keine Meldung und Entgeltfortzahlung bei Krankheit
  • eigene Kundenakquisition
  • Werbemaßnahmen und Auftreten als Selbstständiger in der Geschäftswelt (Eigener Briefkopf, Annoncen, Gewerbeanmeldung)

Typische Merkmale der Scheinselbstständigkeit sind:

  • Weisungsgebundenheit (wichtigstes Kriterium)Regelmäßige personenbezogene Weisungen, wann der Auftragnehmer wo und was wie zu tun hat, sind typisch für abhängig beschäftigte Arbeitnehmer und Ausdruck einer Weisungsgebundenheit. Liegen solche Weisungen vor, hat man praktisch keine Chance mehr, zur Selbstständigkeit zu gelangen. Fachbezogene Weisungen sind unproblematisch, wenn sie nur die Spezifikation bzw. die Qualitätsanforderungen an das Arbeitsergebnis betreffen und nicht den Weg, der zum Arbeitsergebnis führen soll (also das wie). Der Selbstständige findet den Weg zum Ziel selber. Der Arbeitnehmer kann ihn vorgegeben bekommen.
  • Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers (z. B. feste Arbeitszeiten bzw. Kernarbeitszeiten, enge Abstimmung mit den Arbeitnehmern des Auftraggebers, Arbeitsplatz beim Auftraggeber, E-Mail-Adresse unter der Domain des Auftraggebers, Teilnahme an Firmenveranstaltungen des Auftraggebers, Essen in der Kantine des Auftraggebers, Abstimmung von Urlaub, Meldung von Krankheit, Schlüssel zur Betriebsstätte des Auftraggebers usw.)
  • Auftragnehmer arbeitet auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber. Bei der Auslegung des Begriffs „im Wesentlichen“ gehen die Sozialversicherungsträger von einem Anteil von fünf Sechsteln des Umsatzes mit einem Auftraggeber aus. Es genügt nicht, vertraglich die Zulässigkeit weiterer Auftragsverhältnisse festzustellen, sondern die Auftraggeber müssen tatsächlich nachgewiesen werden.
  • Monatliche, gleichbleibende Entlohnung oder Entlohnung nach geleisteten Stunden zu einem gleichbleibenden Stundensatz.
  • Bezahlung, die sich von der Entlohnung Angestellter nicht unterscheidet.
  • Auftraggeber hat Beschäftigte, die dieselben Tätigkeiten verrichten wie der Selbstständige.
  • Auftragnehmer hat Tätigkeit beim Auftraggeber zuvor als dessen Arbeitnehmer verrichtet.
  • Auftragnehmer hat keine regelmäßig Beschäftigten. Als regelmäßig Beschäftigte gelten solche Arbeitnehmer, deren monatliches Einkommen 450,- € übersteigt.
  • Auftragnehmer hat keine eigenen Geschäftsräume oder nur solche, die sich in der eigenen Wohnung befinden und unbedeutend sind.
  • Auftragnehmer hat keine eigenen Arbeitsgeräte.
  • Auftragnehmer setzt kein eigenes Kapital ein und hat kein wirtschaftliches Risiko außer dem Risiko, vom Auftraggeber zukünftig nicht mehr beauftragt zu werden.

Eindeutige und unklare Fälle

Bei gelebter Weisungsgebundenheit ist eine selbstständige Tätigkeit ausgeschlossen.

Wenn Auftragnehmer eine Gesellschaft ist (z. B. GmbH, KG oder GmbH & Co.KG), für die mehr Personen als nur der Alleininhaber tätig sind, wird es keine Schwierigkeiten mit dem Thema Scheinselbstständigkeit geben.

Bei Beauftragung einer One-Man-Show über einen längeren Zeitraum mit Stundenvergütung können Sie nie sicher in Bezug auf den sozialversicherungsrechtlichen Status sein und sollten diesen immer im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens verbindlich klären lassen.

Wann immer der Fall nach obigen Kriterien nicht eindeutig ist, müssen Sie ein Statusfeststellungsverfahren anstrengen. Wird der Fall im Rahmen einer Betriebsprüfung von der Behörde anders beurteilt, wird der Vorsatz zur Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen, strafbar nach § 266a StGB, und zur Hinterziehung von Lohnsteuer, strafbar nach § 370 AO von bayerischen Gerichten immer unterstellt. Bedenken Sie bitte auch, dass die Juristerei keine Mathematik ist und persönliche Wertungen immer eine Rolle spielen. Unterschiedliche Berater und unterschiedliche Prüfer können also zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Verbindlichkeit kann daher oft nur mit dem Statusfeststellungsverfahren herbeigeführt werden.

Die Deutsche Rentenversicherung Bund, Clearingstelle für sozialversicherungsrechtliche Statusfragen, 10704 Berlin, Service-Telefon: 0800 10004800, ist zuständig für das Anfrageverfahren, mit dem eine verbindliche Klärung herbeigeführt werden kann. Die Deutsche Rentenversicherung ist gesetzlich verpflichtet, vor ihrer Entscheidung, diese vorab bekannt zu machen, um den Beteiligten die Möglichkeit zu geben, weitere für die Entscheidung erhebliche Tatsachen und Gesichtspunkte hervorzubringen. Der Widerspruch und eine Klage gegen die Entscheidung haben aufschiebende Wirkung.

Das benötigte Antragsformular (V027) sowie Erläuterungen zum Antrag (V028) können auf der Internetseite der Deutschen Rentenversicherung abgerufen werden.

  • http://www.deutsche-rentenversicherung.de/cae/servlet/contentblob/217158/publicationFile/53367/V0050.pdf
  • http://www.deutsche-rentenversicherung.de/cae/servlet/contentblob/217160/publicationFile/53366/V0051.pdf

Informationen zur Versicherungsrechtlichen Beurteilung von Handelsvertretern (Sonderfall) finden Sie auf der Internetseite der Deutschen Rentenversicherung.

  • http://www.deutsche-rentenversicherung.de/cae/servlet/contentblob/204896/publicationFile/1926/2005_07_05_text_rs_anlage_2.pdf

Ein Katalog bestimmter Berufsgruppen zur Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit finden Sie ebenfalls auf der Internetseite der Deutschen Rentenversicherung.

  • http://www.deutsche-rentenversicherung.de/Allgemein/de/Inhalt/3_Infos_fuer_Experten/02_arbeitgeber_steuerberater/01a_summa_summarum/04_rundschreiben/2010/april_rs_selbstaendigkeit_anlage_5_pdf.pdf?__blob=publicationFile&v=4

Hohes wirtschaftliches Risiko

Neben der strafrechtlichen Verfolgung (s. o.) droht ein hohes wirtschaftliches Risiko: Der Auftraggeber muss nicht nur den Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung nachbezahlen, sondern auch den Arbeitnehmeranteil und zwar für das laufende Jahr und die vergangenen 4 Jahre! Bei vorsätzlicher Vorenthaltung der Sozialversicherung können die Beiträge sogar bis zu 30 Jahre nachgefordert werden. Den Arbeitnehmeranteil kann sich der Auftraggeber vom Auftragnehmer nur noch dann „zurück“ holen, wenn dieser noch bei ihm tätig ist und dies auch nur durch Verrechnung mit den nächsten 3 Gehaltsabrechnungen, wobei die Pfändungsfreigrenzen zu beachten sind. Meistens kommt dabei nur wenig bis gar nichts heraus. Damit ist das wirtschaftliche Risiko schon einmal verdoppelt.

Dazu kommen nach § 24 SGB IV Säumniszuschläge in Höhe von 1 % für jeden angefangenen Monat auf den Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil! Je nachdem, wie lange es bis zur Nachzahlung dauert, kann da ein sehr großer Betrag zusammenkommen.

Hat der Auftragnehmer sein Einkommen gegenüber dem Finanzamt nicht oder falsch erklärt oder hat er die vom Finanzamt festgesetzte Steuer nicht bezahlt, haftet der Auftraggeber nach § 42 d EStG auch für die dem Fiskus entgangene Lohnsteuer, die er für den scheinselbstständigen Arbeitnehmer hätte abführen müssen.

In jedem Fall bindet die nachträgliche Aufarbeitung im Unternehmen erhebliche Ressourcen. Dazu kommen Anwalts- und Steuerberaterhonorare und Geldstrafen für die verantwortlichen Personalvorstände/Geschäftsführer.

Alles in allem kostet die nachträglich festgestellte Scheinselbstständigkeit nach Angabe von Christian Zieglmeier, Richter am Landessozialgericht München, die Unternehmen im Schnitt das 5-fache des Arbeitgeberanteils. Ihr proaktiver Ansatz ist daher genau richtig.

Verfasst von Herrn Rechtsanwalt Jens-Arne Former


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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