Anwaltshaftung/Regress: keine Pflichtverletzung durch nicht eingelegte Streitwertbeschwerde

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AG Mitte, Urteil vom 6. Juni 2024, Az.: 16 C 14/24 (nicht rechtskräftig)

Werden durch das Gericht Streitwerte vermeintlich zu hoch festgesetzt, kommt es jedenfalls dann, wenn auf Grund einer Kostenquote keine vollumfängliche Kostenerstattung zu erwarten ist, zu gegenläufigen Interessenströmungen zwischen Rechtsanwalt und Mandant. Denn der Rechtsanwalt wird den hohen Streitwert aus wirtschaftlicher Sicht regelmäßig gerne akzeptieren, während der Mandant mit Blick auf die eigene Kostentragungspflicht eine Herabsetzung des Streitwertes wünscht. Letztere Mandanteninteressen können dann zurücktreten, wenn ein Rechtsschutzversicherer das Kostenrisiko übernommen hat. Denn in diesem Fall ist es der Mandantschaft regelmäßig gleich, wie hoch die schlussendlich realisierte Kostenlast ist. 

Das bedeutet allerdings keinesfalls, dass über die Korrektheit des festgesetzten Streitwertes kein Streit entbrennen kann. In einem von unserer Kanzlei (Keen Law) verteidigten Verfahren wurde ein Anwalt von einem Rechtsschutzversicherer beklagt. Der Vorwurf: das Landgericht der Hauptsache hätte den Streitwert ersichtlich zu hoch angesetzt. Aus diesem Grund hatte der Versicherer den Anwalt seinerzeit gebeten, eine Streitwertbeschwerde zu erheben. Dem kam der Anwalt nicht nach. Hierin sah der Versicherer eine anwaltliche Pflichtverletzung, weshalb er den behaupteten Gebührenschaden - die Differenz von Gerichts- und Anwaltskosten, jeweils berechnet anhand des "richtigen" und des "zu hoch festgesetzten" Streitwerts - klageweise geltend machte. 

Das Amtsgericht Mitte hat mit Urteil vom 6. Juni 2024 (16 C 14/24) die Klage abgewiesen. Es ist hierbei unserer Argumentation gefolgt und hat herausgestellt, dass dem beklagten Anwalt selbst mangels Beschwer kein Beschwerderecht zusteht. Zwar hätte der Beklagte die Streitwertbeschwerde namens und in Vollmacht seines Mandanten führen können. Vorliegend wäre es allerdings Sache des Versicherers gewesen, den Mandanten anzuweisen, die Beschwerde einzulegen. Dem war der Versicherer nicht nachgekommen. Die an den Beklagten gerichtete "Bitte", er wolle doch die Herabsetzung des Streitwertes beantragen, sei rechtlich irrelevant. 

Die (noch nicht rechtskräftige) Entscheidung des Amtsgerichts überzeugt. Eine Beschwerde des Anwalts selbst wäre mangels Beschwer unzulässig. Der Anwalt ist auch nicht verpflichtet, eine Streitwertbeschwerde im Namen des Mandanten gegen das eigene wirtschaftliche Interesse zu beauftragen. In diesen Diskussionen wird oftmals übersehen, dass die Parteien in einem selbstständigen Nebenverfahren, zu denen auch das der Streitwertbeschwerde zählt, selbst auftreten kann. Dies gilt auch dann, wenn sich das Verfahren originär im Anwaltsprozess abspielt. Der Kläger hätte die Streitwertbeschwerde mithin selbst und ohne anwaltliche Unterstützung einlegen können. 

Vor diesem Hintergrund leuchtet auch die Argumentation des Amtsgerichts ein, der Rechtsschutzversicherer hätte die "Bitte" der Streitwertbeschwerde nicht an den Rechtsanwalt, sondern an den Versicherungsnehmer - dann freilich nicht als "Bitte" sondern als Weisung im Sinne der Bedingungen und § 82 VVG - zu richten gehabt. 

Das Amtsgericht löst das zuweilen unübersichtliche Dreiecksverhältnis zwischen Versicherung, Versicherungsnehmer/Mandant und Rechtsanwalt an dieser Stelle schulbuchmäßig auf und erkennt - was gelegentlich übersehen wird -, dass der Rechtsanwalt mangels Vertragsverhältnis mit und Weisungsgebundenheit zum Versicherer auf dessen Bitte hin nicht hätte reagieren müssen. 

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