Aussage-gegen-Aussage bei Vergewaltigung/ Sexualstraftaten § 177 StGB (ein Belastungzeuge)

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In Strafprozessen, in denen die Entscheidung des Gerichts im Wesentlichen davon abhängt, ob das Gericht den Angaben eines einzigen Belastungszeugen folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die seine Entscheidungen beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat.

Dies gilt va dann, wenn der Belastungszeuge weitere erzwungene Sexualhandlungen behauptet, von denen sich der Tatrichter nicht zu überzeugen vermag (BGH, Beschluss v 12.02.2020, Aktenzeichen 1 StR 612/19)

1.Die bindenden Vorgaben an das Gericht

Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die Revision ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denk- oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung stellt.

Allerdings bestehen besondere Anforderungen an die Darlegung der Überzeugungsbildung, wenn das Tatgericht seine Feststellungen zum eigentlichen Geschehen allein auf die Angaben des/ oder der Geschädigten stützt.

In einer Konstellation, in der es keine weiteren Beweismittel als die Belastungszeugin gibt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die seine Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Dies gilt im besonderen Maße dann, wenn der Belastungszeuge weitere erzwungene Sexualhandlungen behauptet, von denen sich der Tatrichter nicht zu überzeugen vermag (BGH Urteil vom 20.02.2014, Aktenzeichen 3 StR 289/13, Rn. 14)

Bedenken begegnet die Beweiswürdigung in der Hauptverhandlung immer dann, wenn sie nicht frei von Widersprüchen und Unklarheiten ist.

Die Glaubhaftigkeit der Aussage des Belastungszeugen oder der Belastungszeugin sinkt, je mehr ihr Bericht über Geschehenes lückenhaft oder paradox ist und die Angaben nicht in die Historie des Zeugen dh mit bisheriger Sexualität und des Liebes- oder partnerschaftlichen Lebens in der Vergangenheit ist (für weiteres Siehe Arntzen: Aussagepsychologie). Zur Thematik können auch Vorerkrankungen wie Borderline-Störungen oder Depressionen oder sonst Persönlichkeitsstörungen oder Drogenkonsum gehören, die Einfluss auf Geschehenes und Aussageverhalten im Strafprozess haben (können).

2. Die Reaktion des Strafrechtsanwalts: Kritische Befragung, Null-Hypothese und Gutachten

Im Falle einer Verurteilung wegen Vergewaltigung erhält der oder die Angeklagte eine Freiheitsstrafe von mindestens 2 Jahren (siehe Strafandrohung § 177 Abs. 6 StGB)

Gute Verteidigerarbeit muss also wissen, wie mit der Aussage-gegen-Aussage Situation bei Vorwurf der Sexualstraftat umzugehen ist.

Aussagepsychologisch wendet ein Strafrechtsanwalt im Gerichtssaal für seinen angeklagten Mandanten die sog. Null-Hypothese bei Befragung des Belastungszeugen der Sexualstraftat an. Diese von führenden Psychiatern und Fachärzten für Psychologie und Psychiatrie entwickelte Methode geht davon aus, dass der Aussagegehalt eines Zeugen keine Glaubhaftigkeit besitzt und erst im Laufe der Vernehmung sich die Belastbarkeit der Angaben erweisen muss und deren Glaubhaftigkeit ggf. steigen.

In einem nächsten Schritt müssen sog. Realitätskennzeichen des Zeugen abgefragt werden und – im Falle derer Wiedergabe – das Erleben kritisch beleuchtet werden, um eine empirische Validität der Aussage eines (einzigen) Belastungszeugen zu sehen oder diese dem Zeugen im Gerichtssaal abzusprechen.

Sollten Angaben zum Kerngeschehen oder zum Randgeschehen des Zeugen noch immer von Inkongruenz dominiert sein, muss der Strafrechtsanwalt ein aussagepsychologisches Gutachten über den Zeugen beantragen einzuholen und das Gericht von den Eingangsmerkmalen überzeugen.

3. Fazit

Da deutschen Strafgerichten nach § 244 Absatz 2 StPO die Amtsaufklärungspflicht obliegt („Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.“) muss „nur“ den Richtern der Weg hin zur Einholung eines Gutachtens vorgeebnet werden, sofern es nicht selbst (bereits im Ermittlungsverfahren?) einen Gutachter mit der Untersuchung beauftragt.

Dieses prozessuale Setting im Gerichtssaal in Richtung Mandanteninteresse zu dirigieren sollte einem Profi und damit einem Fachanwalt im Strafrecht übergeben werden.

D. Lehnert, RA, FAStR, PDoz

Foto(s): www.rechtsanwaltberlin.info

Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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