Ausstellung sierra-leonischer Pässe in Deutschland nicht möglich – Straflosigkeit trotz Aufenthalts ohne Pass
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Das Landgericht Landshut hat mit Urteil vom 13.10.2022 einen sierra-leonischen Staatsangehörigen, welcher wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Pass angeklagt war, freigesprochen. Dabei hat das Gericht entschieden, dass eine Strafbarkeit ausscheidet, sofern die Beschaffung eines Passes oder Passersatzes unmöglich oder unzumutbar ist.
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Der Angeklagte ist sierra-leonischer Staatsbürger, sein Asylbegehren wurde 2018 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt. Zugleich wurde seine Abschiebung nach Sierra-Leone angeordnet. Nach erfolglosem Klageverfahren hiergegen, war dem Angeklagten spätestens zum 02.06.2020 bekannt, dass er vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und damit auch passpflichtig ist. Dennoch hielt sich der Angeklagte jedenfalls bis zum 12.07.2021 ohne Reisepass in Deutschland auf.
Das Amtsgericht Landshut verurteilte den Angeklagten aufgrund dessen zu einer Geldstrafe wegen unerlaubten Aufenthaltes ohne Pass. Auf die Berufung des Angeklagten wurde dieses Urteil vom Landgericht Landshut aufgehoben und der Angeklagte freigesprochen.
Wie argumentiert das Gericht?
Das Landgericht Landshut ist zu der Überzeugung gelangt, dass es dem Angeklagten innerhalb des Tatzeitraums vom 02.06.2020 bis 12.07.2021 weder möglich noch zumutbar gewesen ist, einen Pass oder Passersatz zu beschaffen. Die Zumutbarkeit der Beschaffung ist jedoch Voraussetzung für eine Strafbarkeit wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Pass nach §§ 95 Abs. 1 Nr. 1, 48 Abs. 2 AufenthG.
Nach den Ausführungen des Landgerichts ist die Ausstellung oder Ausfertigung eines Passes durch die Botschaft der Republik Sierra Leone mit Sitz in Berlin nicht möglich gewesen. Die Botschaft stellte dem Angeklagten bereits im März 2020 die Bescheinigung darüber aus, dass man dort aktuell nicht in der Lage ist, Pässe zu erstellen oder zu verlängern. Vielmehr müsse der Angeklagte hierfür persönlich im „Immigration Department in Freetown, Sierra Leone“ vorsprechen. Eine durch das Gericht gestellte Anfrage beim Landesamt für Asyl und Rückführungen bestätigte diese Unmöglichkeit der Ausstellung in Deutschland auch für den Zeitraum ab dem 02.06.2020.
Zudem ist dem Angeklagten eine Ausreise nach Sierra Leone, zur persönlichen Vorsprache und Stellung eines Passantrages, nach Auffassung des Gerichts nicht zumutbar gewesen. Auf Grund der rechtskräftigen Abschiebeanordnung gegen den Angeklagten stehen diesem nur noch eingeschränkte Leistungen nach § 1 a AsylbLG in Höhe von ca. 160,00 € monatlich zu. Mit diesem Betrag kann eine Reise nach Sierra Leone offenkundig nicht realisiert werden. Auch eine Übernahme der Kosten für die Passbeschaffung durch das Landratsamt ist auf Grund der drohenden Abschiebung ausgeschlossen.
Dem Angeklagten ist es finanziell ebenfalls nicht zumutbar gewesen, einen Pass mit Hilfe von Mittelsmännern in Sierra Leone zu beschaffen. Grundsätzlich soll es nach Angaben des Landesamtes für Asyl und Rückführung solche Möglichkeiten zwar geben, es konnte aber schon nicht geklärt werden, welche Kontakte und Zahlungen hierfür erforderlich sind. Ebenfalls ungeklärt blieb die Frage, ob der Angeklagte in Freetown Bekannte oder Verwandte hat, welche sich für ihn einsetzen oder in Vorleistung gehen würden. Dies hielt das Gericht aufgrund der Mittellosigkeit und drohenden Abschiebung des Angeklagten jedoch für höchst unwahrscheinlich und damit ebenfalls nicht für zumutbar.
Was bedeutet das nun für die Praxis?
Die Ausstellung und Erneuerung von Pässen für sierra-leonische Staatsbürger werden auch zum jetzigen Zeitpunkt von der Botschaft in Berlin nicht mehr vorgenommen. Dies lässt sich der offiziellen Homepage der Botschaft entnehmen. Pässe werden ausschließlich vom „Immigration Department in Freetown“ ausgestellt und erneuert.
Im Zusammenhang mit der Unzumutbarkeit einer Reise nach Sierra Leone aus finanziellen Gründen bedeutet dies eine Straflosigkeit im Hinblick auf einen unerlaubten Aufenthalt ohne Pass für viele sierra-leonische Staatsbürger, die vollziehbar zur Ausreise verpflichtet sind.
Dieser Umstand wird allerdings nicht automatisch dazu führen, dass bei einer Kontrolle der fehlende Pass von sierra-leonischen Staatsbürgern keinerlei Unannehmlichkeiten mit sich bringt. Denn innerhalb des deutschen Strafrechts gilt das Legalitätsprinzip, welches besagt, dass die Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft, Polizei, Finanzbehörden und Hauptzollamt) verpflichtet sind, Straftaten bei Bestehen eines Anfangsverdachts von Amts wegen zu verfolgen. Sie haben daher die Pflicht einzuschreiten. Dies gilt nur in den Fällen der sogenannten Antragsdelikte nicht. Ein solches stellt der unerlaubte Aufenthalt ohne Pass jedoch nicht dar. Im Falle einer Kontrolle sollte man allerdings von seinem Schweigerecht Gebrauch machen und sodann anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen.
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