Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (VGH): Sog. Idiotentest schon ab 0,3 Promille

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Bisher galt: Erst wer mit einer Alkoholisierung von 1,6 Promille oder mehr im Straßenverkehr aufgegriffen wird und dem deswegen die Fahrerlaubnis vom Gericht entzogen wird, musste zur Wiedererteilung eine positive MPU vorlegen.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat seine bisherige Rechtsprechung geändert. Bisher ist eine MPU (sog. Idiotentest) erst ab 1,6 Promille der Regelfall. Nun kann dies schon bei relativer Fahruntüchtigkeit eintreten (VGH München, Urt. v. 17.11.2015 – 11 BV 14.2738).

Der Leitsatz der Entscheidung lautet: „Nach strafgerichtlicher Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB), die auf einer Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss beruht, ist im Wiedererteilungsverfahren unabhängig von der bei der Verkehrsteilnahme vorgelegenen Blutalkoholkonzentration die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen (Änderung der Rechtsprechung).“

Die Landesanwaltschaft Bayern weist darauf hin: „Nach der vorliegenden Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (BayVGH) müssen sich auch Trunkenheitsfahrer, denen wegen einer einzigen strafbewehrten Alkoholfahrt mit weniger als 1,6 Promille – im vorliegenden Fall 1,28 Promille BAK – vom Strafgericht die Fahrerlaubnis entzogen worden ist, im behördlichen Wiedererteilungsverfahren einer medizinisch-psychologischen Begutachtung stellen. Die bisherige Verwaltungspraxis knüpfte das Erfordernis einer MPU an eine vorausgegangene Trunkenheitsfahrt mit einem BAK Promillewert von mindestens 1,6.“

Eine Autofahrerin war nach einigen Gläsern „Melissengeist“ mit 1,28 Promille auffällig worden. Der Strafrichter hatte die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperre von drei Monaten für erforderlich gehalten, damit sich die Frau auf ihre „zum Führen von Kraftfahrzeugen notwendige charakterliche Eignung“ besinnen könne. Vor Gericht hatte die Frau erklärt, nur drei Gläser mit Wasser verdünnten Melissengeist getrunken zu haben. Die Führerscheinbehörde sah jedoch den Verdacht eines sorglosen oder missbräuchlichen Umgangs mit Melissengeist gegeben, den die Klägerin im Übrigen stets vorrätig hatte. Daraus schlossen die Beamten, die Klägerin sei eine Spiegeltrinkerin, also jemand, der ständig einen bestimmten Alkoholpegel aufrecht halte. Die Behörde hielt daher einen Abstinenznachweis und eine medizinisch-psychologischer Untersuchung (MPU) für erforderlich.

Die Frau klagte gegen die Verwaltungsmaßnahme vor dem Verwaltungsgericht, das der Führerscheinstelle in erster Instanz recht gab. Das Verwaltungsgericht hatte nach bisheriger Rechtsprechung bei einer einmaligen Alkoholfahrt mit Werten unter 1,6 Promille die Anordnung eines Gutachtens nicht für nötig gehalten.

„Nach strafgerichtlicher Entziehung der Fahrerlaubnis (...), die auf einer Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss beruht, ist im Wiedererteilungsverfahren unabhängig von der bei der Verkehrsteilnahme vorgelegenen Blutalkoholkonzentration die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen.“ Das gelte auch, wenn der Fahrer weniger als 1,6 Promille Blutalkoholkonzentration habe und zum ersten Mal auffällig werde. Wenn ein Strafrichter einen Angeklagten wegen Alkohol am Steuer zu einem Entzug der Fahrerlaubnis verurteilt habe, sei es egal, wie viel Promille der Betroffene im Blut habe. Bevor die Behörde eine neue Fahrerlaubnis erteilen dürfe, „ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen“.

Der bayerische VGH hat die Revision zugelassen, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Dieses Urteil hat erhebliche Bedeutung. Die Änderung der Rechtsprechung wird mit der Anwendung des § 13 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) begründet (Klärung von Eignungszweifeln bei Alkoholproblematik). Die Norm ist unpräzise verfasst, so dass sowohl Gerichte wie Behörden diese unterschiedlich auslegen können. § 13 FeV regelt, dass eine MPU angeordnet werden muss, wenn Fahrzeuge mit einem Promillewert von mehr als 1,6 geführt wurden (§ 13 FeV, Nr. 2 Buchstabe c), aber auch, wenn der Führerschein (strafrechtlich) entzogen wurde (§ 13 FeV, Nr. 2 Buchstabe d – verweisend auf Buchstaben a bis c).

Die Frage, ob schon nach der ersten Trunkenheitsfahrt eine MPU notwendig ist, ist also rechtlich strittig. Trunkenheitsfahrt und Trunkenheit im Verkehr regeln § 316 StGB und § 24a StVG. Da Fahrfehler aber auch bei nüchternen Fahrern vorkommen, ist entscheidend, ob das konkrete Fahrverhalten typischerweise bei alkohol- bzw. drogenbeeinflussten Fahrern vorkommt und deshalb den Schluss rechtfertigt, dass man sich in nüchternem Zustand anders verhalten hätte (z.B. Schlangenlinien fahren, um Straßenschäden ausweichen zu wollen). Nach der genannten sehr strengen Rechtsprechung müssten nun auch Fahrer, die sehr wenig trinken oder getrunken haben, nachweisen, dass sie keine Alkoholiker sind bzw. Trinken und Fahren trennen können; vom Verwaltungsaufwand bei den Führerscheinstellen ganz zu schweigen.

In den meisten Bundesländern wird die MPU bei Ersttätern erst ab einem Schwellenwert von 1,6 Promille angeordnet. Nur wenige Länder wie Baden-Württemberg, Berlin und jetzt auch Bayern weichen davon ab.

Sofern Sie Betroffener sind, empfiehlt sich unbedingt die anwaltliche Vertretung. Wichtig ist, bis zur Akteneinsicht des Verteidigers konsequent zu schweigen.

Rechtsanwalt Holger Hesterberg

Bundesweite Tätigkeit. Mitgliedschaft im Deutschen Anwaltverein.


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