Bestimmtheitsanforderungen an eine Patientenverfügung

  • 6 Minuten Lesezeit

                      


  1. Die gerichtliche Entscheidung des BGH in Leitsätzen

BGH Beschluss vom 6.7.2016  XII ZB 61/16

Betreuungssache: Anforderungen an Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung im Zusammenhang mit dem Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen

Leitsatz

1. Der Bevollmächtigte kann in eine der in § 1904 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB genannten Maßnahmen nur einwilligen, nicht einwilligen oder die Einwilligung widerrufen, wenn der Vollmachttext hinreichend klar umschreibt, dass sich die Entscheidungskompetenz des Bevollmächtigten auf die im Gesetz genannten ärztlichen Maßnahmen sowie darauf bezieht, sie zu unterlassen oder am Betroffenen vornehmen zu lassen. Hierzu muss aus der Vollmacht auch deutlich werden, dass die jeweilige Entscheidung mit der begründeten Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens verbunden sein kann.(Rn.17)

2. Einem für einen Betroffenen bestehenden Betreuungsbedarf wird im Zusammenhang mit der Entscheidung zur Durchführung von lebensverlängernden Maßnahmen im Sinne des § 1904 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB durch eine Bevollmächtigung erst dann nicht ausreichend Genüge getan, wenn offenkundig ist, dass der Bevollmächtigte sich mit seiner Entscheidung über den Willen des Betroffenen hinwegsetzen würde.(Rn.33)

3. Die schriftliche Äußerung, "keine lebenserhaltenden Maßnahmen" zu wünschen, enthält für sich genommen nicht die für eine bindende Patientenverfügung notwendige konkrete Behandlungsentscheidung des Betroffenen. Die insoweit erforderliche Konkretisierung kann aber gegebenenfalls durch die Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen oder die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen erfolgen.(Rn.47)


  1. Die  „ maßgebliche Passage der Begründung“


Randnr: 47

Die Äußerung, "keine lebenserhaltenden Maßnahmen" zu wünschen, enthält jedenfalls für sich genommen keine hinreichend konkrete Behandlungsentscheidung (vgl. BT-Drucks. 16/8442 S. 15; Palandt/Götz BGB 75. Aufl. § 1901 a Rn. 5). Die insoweit erforderliche Konkretisierung kann aber gegebenenfalls durch die Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen oder die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen erfolgen.


Aus dem 3.Leitsatz und der Begründung im Urteil ( Randr. 47)  ergeben sich folgende Konsequenzen für die Praxis:

  1. Schreibt der Verfasser einer Patientenverfügung nur den Satz „… Ich wünsche keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ ohne   nähere Konkretisierung, dann ist dies unzureichend. 
  2. Der in der Patientenverfügung dargelegte Patientenwille  ist  n i c h t klar und eindeutig formuliert. Aus der Formulierung kann keine Behandlungsentscheidung abgelesen /erlesen werden.
  3. Das „stoische Abschreiben und Ausfüllen von vorformulierten Mustern“ . wie vielfach praktiziert – sollte nunmehr „endlich ein Ende“ haben. MUSTER können helfen, einen Patientenwillen zu formulieren und auszuformulieren. Die Übernahme von MUSTERFORMULIERUNGEN ersetzt aber nicht das „ eigene Nachdenken über den Mustertext und die individuellen Wünsche“.


  1. Konkrete Umsetzungs“optionen“ in einer Patientenverfügung

Der Bundesgerichtshof verlangt, wenn der   Satz „… Ich wünsche keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ in einer Patientenverfügung formuliert wird klipp und klar Präzisierungen des Behandlungswunsches.  

Er eröffnet grundsätzlich drei Präzisierungswege.

  1. Variante 1 „Benennung konkreter ärztlicher Maßnahmen“

Der Verfasser einer Patientenverfügung   sollte konkrete ärztliche   Maßnahmen, die er gerade n i c h t   wünscht, klipp und klar bezeichnen.

Stets zu empfehlen ist hier die Rücksprache mit dem Hausarzt, der als erster Formulierungshilfe leisten wird bzw. einem auf Betreuungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt ( Rechtsanwalt Malte Jörg Uffeln, www.maltejoerguffeln.de)

FORMULIERUNGSVORSCHLÄGE als Arbeitshilfe:

 „…Bei Atemnot will ich keine Medikament, insbesondere keine Beruhigungsmitttel  wie MorphinFentanyl und Hydromorphon…“

„… Grundsätzlich  dürfen an mich keine Antidepressiva verabreicht werden…“

„… In Fällen der Atemnot darf man mich nur nichtmedikamentös behandeln“

„… Ich wünsche entlastende Lagerung in Fällen der Atemnot oder Unruhe“

„… Folgende konkrete medizinische Maßnahmen dürfen  n i c h t   durchgeführt  werden…..“

„… Ich will keine künstliche Ernährung, keine  PEG- Sonde“

Der Verfasser einer Patientenverfügung darf aber in einer Patientenverfügung  

n i c h t  (Behandlungs-)Maßnahmen regeln, die nach unserer Rechtsordnung nicht erlaubt sind, wie beispielsweise Tötung auf Verlangen ( § 216 StGB).

Das ist strafbare aktive Sterbehilfe.

Nach Ansicht der Bundesärztekammer ist „ärztliche Assistenz zur Selbsttötung (passive Sterbehilfe) keine ärztliche Aufgabe, obwohl diese nicht Gegenstand des Strafgesetzbuches ist.


Passive Sterbehilfe ist nicht strafbar, zulässig, wenn der Patient dies expressis verbis will, bspw. in einer Patientenverfügung anordnet.


  1. Variante 2   „ Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten“

Nach der Sicht des Bundesgerichtshofes ist eine hinreichende Konkretisierung des Behandlungswunsches „ keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ weiter möglich durch Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten.

Was  eine „ ausreichend spezifizierte Krankheit“ ist, sagt der 12. Zivilsenat des BGH aber gerade nicht .

Dies bleibt daher „ auch weiter“ der Auslegung einer Patientenverfügung,  respektive  im Streitfall einer gerichtlichen Entscheidung überlassen.

Ausreichend im Sinne der v.g. Rechtsprechung dürfte gewiss der Verweis auf bestehende  festgestellte Krankheiten sein, so wie diese beispielsweise in einer Krankenakte in der Anamnese des Patienten dargelegt sind .

Auch Arztberichte und Gutachten, die der Verfasser der Patientenverfügung in Besitz hat dürften geeignet sein eine Krankheit ausreichend zu spezifizieren.

In diesem Kontext ist es sicherlich auch überlegenswert eine Gutachten oder Attest der Patientenverfügung beizufügen oder in dieser darauf zu verweisen.


Ein schriftlicher Verweis auf bestehende   ausreichend spezifizierte Krankheiten in einer Patientenverfügung schafft aber – und darin ist der BGH zu kritisieren- noch keine Klarheit darüber, welche lebenserhaltenden Maßnahmen bei der ausreichend spezifizierten Krankheit gerade n i c h t  vorgenommen werden sollen.

Insofern herrscht auch mit dem Beschluss des 12. Zivilsenat vom 6.7.2016 für den Bürger gerade k e i n e  abschließende Rechtssicherheit.

Möglicherweise könnte man auf die „ nach allgemeinen medizinischen Standards für die betreffende Krankheit anerkannten lebenserhaltenden Maßnahmen“ abstellen, die der Verfasser   der Patientenverfügung dann gerade n i c h t  wünscht.

Für die Praxis könnte sich daher folgender  „rechtssicherer“ Formulierungsvorschlag anbieten:


FORMULIERUNGSVORSCHLAG als Arbeitshilfe:

„… Ich leide an folgenden Krankheiten, was sich aus meiner Anamnese in der Patientenakte bei meinem Hausarzt Dr…..   in….    ergibt…

…seit…… an …………………………….

…seit ….. an ……………………………

Sollte ich an einer meiner hier genannten Krankheiten behandelt werden und sollte nach einem Votum zweier Ärzte festgestellt werden, dass keine Aussicht auf Besserung meines Gesundheitszustandes besteht, dann erwarte ich, dass alle nach dem  allgemeinen medizinischen Standards für die betreffende Krankheit anerkannten lebenserhaltenden Maßnahmen unterlassen werden.


  1. Variante 3“ Bezugnahme auf konkrete Behandlungssituationen

In  der Patientenverfügung beschreibt der Verfasser regelmäßig „künftige“ Behandlungssituationen, in denen er eine bestimmte Behandlung wünscht oder gerade n i c h t  wünscht.

Menschen fällt es bei der Abfassung einer Patientenverfügung einerseits   regelmäßig schwer die zukünftige konkrete Behandlungssituation zum Zeitpunkt X….zu definieren, zu umschreiben.


Andererseits ist es in der Praxis vielfach schwierig in der späteren konkreten Behandlungssituation das, was „Mann/Frau“ dann „zukünftig“ wollen oder nicht  wollen „ noch“ zu verschriftlichen.

Im letztgenannten Fall wird sehr oft  der Wille des Menschen dessen Gestik und Mimik zu entnehmen sein, bzw. entnommen werden können.

Oft ist es auch so, dass  der Verfasser einer Patientenverfügung „ von einem Fall aus der Nachbarschaft / in der Familie“ erzählt und er gerade für sich selbst wünscht, dass es bei „ ihm einmal nicht so sein soll in einer konkreten späteren Behandlungssituation“.


Hier empfiehlt sich, dem Verfasser der Patientenverfügung zu empfehlen, mit seinen eigenen Worten niederzulegen, wie er den Fall des Bekannten/Nachbarn in Erinnerung hat und das er erklärt, dass er das gerade in seinem Fall später gerade nicht will…


FORMULIERUNGSVORSCHLAG als Arbeitshilfe:

„…Ich will keine lebenserhaltenden Maßnahmen.  Dabei denke ich an den Fall des Herrn ……., mein Freund. Der ist am… in der Folge eines Schlaganfalls in das Koma gefallen und lag darin mehrere  Jahre. Er hat, nachdem die Ärzte schon nach drei Monaten   gesagt haben, dass keine Besserung und ein Aufwachen aus dem Koma wahrscheinlich nicht möglich ist, weiter an der Maschine gehangen. Das will ich nicht. Ich will, dass die Maschine dann ausgestellt wird.!



  1. Individualität

Die Abfassung einer schriftlichen   Patientenverfügung ist  stets eine individuelle Entscheidung eines einwilligungsfähigen Menschen. Viel zu  viel werden in der Praxis „ Muster abgeschrieben oder Formulare angekreuzt und durchgekreuzt.

Der Beschluss des 12. Zivilsenats des BGH vom 6.7.2016 XII ZB 61/16 ist daher vor dem Hintergrund der gesetzlichen Regelung des § 1901 a BGB  zu interpretieren als  eine klare Anweisung an die Verfasser einer schriftlichen Patientenverfügung diese „ noch viel individueller als bisher“ abzufassen und dies auch in der dem Verfasser eigenen – originären - Sprache und gerade nicht der „Blocksatzformelsprache der Juristen“.

In jedem Fall sollte stets individueller anwaltlicher Rate herangezogen werden bei der Abfassung einer Patientenverfügung. Betreuungs- und / oder  Vorsorgevollmacht!


Ihr

Malte Jörg Uffeln

mjuffeln@t-online.de

( www.maltejeorguffeln.de)

Bearbeitungsstand  23.05.2022




Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Malte Jörg Uffeln

Beiträge zum Thema

Ihre Spezialisten