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BGH zur Impffrage: Wer entscheidet, wenn sich die Eltern nicht einig werden?

  • 4 Minuten Lesezeit
anwalt.de-Redaktion

Impfschutz ist diese Woche wieder ein großes Thema, denn mit der 13. Europäischen Impfwoche macht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unter dem Motto „Impfung – ein individuelles Recht und eine gemeinsame Verantwortung“ mit zahlreichen Aktionen auf die Wichtigkeit eines guten Impfschutzes für Erwachsene und Kinder aufmerksam. 

Zahlreiche Apotheken bieten an, Impfpässe zu checken oder – zumindest in anderen Ländern – notwendige Impfungen gleich nachzuholen. Arztpraxen machen mit Aushängen auf die Impfung von Erwachsenen und Kindern aufmerksam, Politiker kritisieren Impfgegner und der Hausärzteverband fordert u. a. mehr Anstrengungen zur Steigerung der Impfquote und die Einführung eines digitalen Impfausweises. Besonders heikles Thema bei vielen Aktionen ist die Kinderimpfung, denn Zahlen des Robert-Koch-Instituts belegen, die Impfquote gegen Masern ist zu niedrig.  

Impfschutz für Kinder – wer entscheidet, wogegen Kinder geimpft werden? 

Die Kinderimpfung wird immer mehr zum Streitthema, sowohl in der Politik und Gesellschaft als auch zwischen den Kindseltern. Solange es keine allgemeine Impfpflicht für Kinder in Deutschland gibt, entscheiden die Eltern, ob und gegen welche Krankheiten sie ihr Kind impfen lassen. Schwierig wird es aber dann, wenn beide Elternteile unterschiedliche Standpunkte zur Impfung vertreten. Im Falle eines getrennt lebenden Elternpaares aus Thüringen musste am Ende der Bundesgerichtshof (BGH) das letzte Wort im Streit um den kleinen Piks sprechen.

Impfung der Kinder – Reizthema für viele Eltern 

Einigen Infektionskrankheiten im Kindesalter wie Mumps, Masern und Keuchhusten kann durch eine Impfung vorgebeugt werden. Die Schutzimpfung von Kindern ist aber längst keine Selbstverständlichkeit mehr, denn Eltern setzen sich meist intensiv mit der Frage auseinander, ob und welche Impfungen ihre Kinder wirklich brauchen. Dabei nimmt die Zahl der Impfskeptiker und strikten Impfgegner stetig zu. Sie befürchten, dass die Impfung ihren Kindern mehr schadet als nutzt, denn die meisten Kinderkrankheiten sind heutzutage eher selten geworden. Deshalb schätzen sie das Risiko einer Impfreaktion oder eines Impfschadens höher ein als das Risiko, ernsthaft krank zu werden. Die Impfbefürworter sehen wiederum die Folgen einer möglichen Erkrankung und die Tatsache, dass einer der Gründe für die Seltenheit von Masern, Mumps und Co. gerade die flächendeckende Impfung der meisten Kinder ist.

Es gibt damit gute Gründe sowohl pro als auch contra Schutzimpfung. Die meisten Kinderkrankheiten treten heute zwar nur noch selten auf, können dann aber auch alles andere als harmlos sein und sogar tödlich verlaufen, wie der Fall der vor Kurzem verstorbenen jungen Mutter aus Essen zeigt. Dennoch stellt jede Impfung eine Belastung für das Immunsystem dar und birgt das Risiko von ungewollten Impfreaktionen oder gar langfristigen Impfschäden. Die Frage „Impfen ja oder nein?“ ist deshalb zu einer komplexen Entscheidung geworden, bei der Eltern viele Dinge individuell betrachten und abwägen müssen. Gerade bei geschiedenen oder getrennt lebenden Paaren landet die kontrovers diskutierte Frage gern mal vor dem Familiengericht. Mit der Frage, in welchen Bereich des Sorgerechts die Impffrage fällt und wer im Streitfall das letzte Wort hat, musste sich schon so manches Gericht beschäftigen (mehr Informationen hierzu finden Sie in unserem Rechtstipp „Impfung der Kinder – Alltagssorge oder Angelegenheit von besonderer Bedeutung?“). Nun hat das oberste Zivilgericht eine Grundsatzentscheidung dazu getroffen, wer über die Impfung entscheidet, wenn sich die Eltern nicht einig werden können.

Im Zweifel richtet sich die Impfung nach der Empfehlung der Ständigen Impfkommission

In dem zugrunde liegenden Fall konnte sich ein getrennt lebendes Elternpaar aus Thüringen nicht über die Notwendigkeit der Schutzimpfungen für die gemeinsame fünfjährige Tochter einigen. Während der Vater wollte, dass das Mädchen alle vom Robert-Koch-Institut empfohlenen Schutzimpfungen erhält, lehnte die Mutter diese vorsorglichen Schutzimpfungen strikt ab, da ihrer Meinung nach das Risiko von Impfschäden größer sei als das allgemeine Infektionsrisiko. Sie wollte einer Schutzimpfung daher nur dann zustimmen, wenn die Ärzte einen Impfschaden mit Sicherheit ausschließen könnten. Dies wollte der Vater nicht hinnehmen und beantragte deshalb vor dem Familiengericht – ebenso wie die Mutter – die Alleinübertragung der Gesundheitsfürsorge.

Als letzte Instanz in diesem Rechtsstreit hat der BGH schließlich entschieden, dass das Familiengericht die Entscheidungsbefugnis über die Impffrage dem Elternteil übertragen darf, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut (STIKO) befürwortet. Liegen bei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vor, muss das Gericht hierzu auch kein Sachverständigengutachten zur Klärung und Abwägung der allgemeinen Infektions- und Impfrisiken einholen. Die Rechtsprechung des BGH hat damit die Impfempfehlungen der STIKO als medizinischen Standard anerkannt. Können sich die Eltern nicht einigen, kann demjenigen Elternteil, der diesen Empfehlungen folgen will, das alleinige Entscheidungsrecht über die Impffrage übertragen werden.

(BGH, Beschluss v. 03.05.2017, Az.: XII ZB 157/16)

(THE)

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