BSG erlaubt Anfechtung einer „Ambulanzzulassung“ nach § 116b Abs. 2 SGB V a. F. durch Vertragsärzte

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Das Bundessozialgericht (BSG) hat aktuell entschieden, dass faktisch konkurrierende Vertragsärzte jedenfalls in Fällen behördlicher Willkür oder einer wesentlichen Gefährdung ihrer beruflichen Existenz berechtigt sind, Zulassungen von Krankenhäusern zur ambulanten Behandlung auf Basis des vor dem 01.01.2012 geltenden § 116b SGB V anzufechten (Urteil vom 15.03.2012, Az: B 3 KR 13/11 R). Der 3. Senat des BSG folgt damit der vom LSG Sachsen (Beschluss vom 03.06.2010, Az: L 1 KR 94/10 B ER) und vom LSG NRW (Beschluss vom 09.02.2011, Az: L 11 KA 91/10 B ER) vorgezeichneten Linie, dies allerdings nur in begrenztem Umfang.

§ 116b SGB V und Konkurrenzschutz der Vertragsärzte

§ 116b Abs. 2 SGB V a. F. erlaubte die Bestimmung geeigneter Krankenhäuser zur Erbringung spezieller ambulanter (bspw. onkologischer) Leistungen, die zuvor vorrangig entsprechend spezialisierten Vertragsärzten vorbehalten war. Unter Experten ist umstritten, ob und inwieweit der Gesetzestext mit Rücksicht auf die gefährdete Berufsausübungsfreiheit konkurrierender Vertragsärzte im Einzelfall die Versagung oder Einschränkung der Ambulanzzulassung unter Bedarfsgesichtspunkten gebot. Nach dieser Regelung erlassene "Altbescheide" werden mindestens bis Ende 2014 vollziehbar sein. § 116b SGB V n. F. regelt seit dem 01.01.2012 in abweichender Form die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV). Diese wird wegen der von dem GBA noch zu erstellenden zugehörigen Richtlinie frühestens ab 2013 zum Tragen kommen; sie wirft ebenfalls zahlreiche rechtliche Zweifelsfragen auf.

Die Entscheidung des BSG

Im zugrunde liegenden Fall hatten drei Mitglieder einer gynäkologischen Berufsausübungsgemeinschaft mit onkologischem Schwerpunkt gegen die Zulassung einer Klinik in Saarbrücken zur Diagnostik und Versorgung von Patienten mit onkologischen Erkrankungen geklagt. Die Klage war vom SG Saarbrücken als unbegründet abgewiesen worden. Hiergegen legten die Kläger mit Zustimmung des beklagten Gesundheitsministeriums die Sprungrevision ein. Das BSG wies die Revision am 15.03.2012 in seinen mündlichen Urteilsgründen mit beachtlichen objektiv- wie subjektiv-rechtlichen Maßgaben zurück. Vorbehaltlich der schriftlichen Gründe sollen hier nur wichtige Aspekte des Urteils mitgeteilt werden:

  • Der 3. Senat bejahte zunächst seine Zuständigkeit als Spruchkörper des Krankenversicherungsrechts.
  • Er bejahte auch mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG die Klagebefugnis (wichtig für die aufschiebende Wirkung der Klage), nicht jedoch - mangels (zur Begründetheit der Klage gehörender) Anfechtungsberechtigung im konkreten Fall - eine Rechtsverletzung der Kläger.
  • Der angefochtene Bestimmungsbescheid war, so das BSG, rechtswidrig schon wegen fehlender Planbeteiligung des PKV-Verbandes. Auch wurde ein Einvernehmen mit den unmittelbar Planbeteiligten nicht ernsthaft genug angestrebt. Weiterhin hat die Behörde, in deren Ermessen die Bestimmung stand, die gesetzlich gebotene Interessenabwägung unter Berücksichtigung auch der vertragsärztlichen Versorgungssituation einschließlich eines Qualitätsvergleichs mit dem antragstellenden Krankenhaus nicht vorgenommen und überdies die Geeignetheit des Krankenhauses nur schematisch geprüft.
  • Faktisch konkurrierende Vertragsärzte sind nach dem Revisionsurteil nur eingeschränkt berechtigt, Rechtsfehler des Bestimmungsbescheids zu rügen. Eine Anfechtungsberechtigung ergebe sich nicht unmittelbar aus der Berücksichtigungsklausel in § 116b Abs. 2 SGB V a. F., weil der Gesetzgeber eine Bedarfsprüfung ausschließen wollte (anders das LSG NRW und das sächsische LSG aaO). Die Rechtsprechung des 6. Senats zur Anfechtungsberechtigung in Vertragsarztangelegenheiten (s. bspw. BSG, Urteil vom 17.6.2009, Az: B 6 KA 25/08 R, zur Drittanfechtung einer Sonderbedarfszulassung) sei ebenfalls nicht anwendbar, dies schon deshalb, weil hier eine neue Versorgungsform und kein konkurrierender vertragsärztlicher Status in Frage stehe, aber auch mangels eines Vorrangs der Vertragsärzte gegenüber dem Krankenhaus. Allerdings gewähre Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG faktisch konkurrierenden Vertragsärzten eine Anfechtungsberechtigung in Fällen von (bspw. aufgrund sachfremder Motive ergangenen) Willkürentscheidungen oder(!) einer erheblichen Gefährdung ihrer beruflichen Existenz aufgrund neu entstandener asymmetrischer Wettbewerbssituation.
  • Da der Senat allerdings im konkreten Fall plausible Anhaltspunkte wie auch Darlegungen der Kläger zu einer Existenzgefährdung der gynäkologischen BAG durch die konkurrierende onkologische Krankenhausambulanz (etwa in Form von drastischen Umsatzeinbußen der Praxis) vermisste, wies er die Revision der Kläger zurück. Hierbei war auch von Bedeutung, dass der onkologische Bereich "lediglich" etwa ein Drittel der Gesamttätigkeit der BAG ausmachte, wobei Leistungsverlagerungen zur gynäkologischen Haupttätigkeit eine Existenzgefährdung kompensieren könnten.

Fazit

Die Entscheidung des BSG eröffnet in ihrer Existenz bedrohten Vertragsärzten immerhin einen grundrechtlich fundierten minimalen Rechtsschutz gegen Bescheide nach § 116b SGB V a. F., berücksichtigt jedoch nach Auffassung des Verfassers die bei sachgerechter und verfassungskonformer Auslegung des Gesetzestextes auch schon durch diesen rechtlich geschützten Belange der Vertragsärzte nicht in hinreichendem Maße. Die aufgrund strenger Marktregulierung vielfältig eingeschränkte grundrechtlich geschützte Berufsfreiheit der Vertragsärzte und der Gleichbehandlungsgrundsatz gebieten es, diese nicht nur dann vor den Auswirkungen einer den Wettbewerb verzerrenden Ambulanzzulassung zu schützen, wenn ihnen ansonsten annähernd die Insolvenz droht. Vielmehr sind gleichrangige und faire Konkurrenzverhältnisse anzustreben. Im Übrigen würde die Beschränkung auf eine Willkürkontrolle der Bescheide den Vertragsärzten den gebotenen Rechtsschutz auch schon durch deren notwendige Beteiligung am Verwaltungsverfahren verweigern. Eine ähnliche Argumentation des 6. Senats des BSG hat das BVerfG schon einmal in seinem ”Ermächtigungsbeschluss“ vom 17.08.2004 (Az: 1 BvR 378/00) verworfen. Die Kläger könnten das BVerfG erneut hierzu befragen.

Über zwei weitere anhängige Revisionen aus Saarbrücken zum Thema will der 1. Senat des BSG am 10.05.2012 entscheiden (B 1 KR 12/11 R und B 1 KR 13/11 KR). Betroffen sind eine rein onkologische Praxis einerseits und eine radiologische Praxis andererseits.

In jedem Fall ist es Vertragsärzten, die einen ”Altbescheid“ nach § 116 SGB V a. F. angefochten haben, dringend anzuraten, unter unvermeidlicher Offenlegung der Entwicklung ihrer wirtschaftlichen Daten (Fallzahlen, Umsätze, Kosten etc.) so konkret wie möglich plausibel zu machen, dass die unbeschränkte Zulassung der bislang nachrangigen Krankenhausambulanz zu Verwerfungen im Sinne einer erheblichen Existenzgefährdung führt.

Vor allem die grundrechtliche Dimension der Entscheidung ist in der Bilanz nicht zu unterschätzen. Sie könnte auch die Neuregelung der ASV in § 116b SGB V in der Fassung des Versorgungsstrukturgesetzes (GKV-VStG) erfassen.

Holger Barth

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Medizinrecht

(Quellen: Beobachtung der mündlichen Verhandlung und Terminbericht Nr. 14/12 des BSG) 


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