BVerfG entscheidet: Windkraft-Projektträger dürfen zur Beteiligung von Nachbarn verpflichtet werden

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BVerfG | Beschluss vom 23. März 2022 - 1 BvR 1187/17

Windkraft ja, aber bitte woanders – mag der eine oder andere denken, wenn er anstatt ins erholsame Grün auf rotierende Windräder blickt. Um die Akzeptanz zu erhöhen, hat Mecklenburg-Vorpommern als bisher einziges Bundesland gesetzlich die Pflicht verankert, Bürger und Gemeinden an Windparkprojekten zu beteiligen: durch das Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz | BüGembeteilG M-V. Das Bundesverfassungsgericht hält das Gesetz – überwiegend - für verfassungsgemäß.

Was beinhaltet das Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz | BüGembeteilG?

Pflicht zur Beteiligung

Mecklenburg-Vorpommern möchte die Windkraft an Land (on shore) fördern: durch das BüGembeteilG vom 18. Mai 2016,in Kraft seit 28. Mai 2016. Wie? Durch Teilhabe. Projektträger müssen für neue Windparks jeweils eine eigene Projektgesellschaft errichten (§ 3 BüGembeteilG) und unmittelbare Nachbarn daran beteiligen: über eine direkte Beteiligung oder über ein Sparprodukt bzw. eine Ausgleichsabgabe.

Bei der direkten Beteiligung werden mindestens 20 % der Anteile an der Projektgesellschaft den sog. Kaufberechtigten, sprich den unmittelbaren Nachbarn der Anlage angeboten | § 4 Abs. 1 S. 1 BüGembeteilG. Kaufberechtigte Nachbarn sind

  • Anwohner innerhalb eines Radius von höchstens fünf Kilometern, ausgehend vom Standort des Windparks
  • Gemeinden, auf deren Gebiet sich eine Windkraftanlage befindet oder die nicht weiter als fünf Kilometer vom Standort entfernt sind (standortnahe Gemeinden)

Anstelle der Beteiligung dürfen Alternativen angeboten werden:

  • ein Sparprodukt für Anwohner
  • die jährliche Zahlung einer Ausgleichsabgabe für Gemeinden

Maßgeblich für den Zins des Sparprodukts und die Höhe der jährlichen Zahlung ist jeweils der Ertrag der Projektgesellschaft. Die Ausgleichsabgabe an Gemeinden muss nur dann gezahlt werden, wenn diese auf die gesellschaftsrechtliche Stellung verzichten (§ 10 Abs. 6 S. 2 BüGembeteilG).

Pflicht zur Information

Zusätzlich zur Beteiligungspflicht gibt es eine weitere Pflicht für den Vorhabenträger: die Pflicht, schriftlich zu informieren | § 4 Abs. 3 BüGembeteilG.

Informiert werden müssen die kaufberechtigten Gemeinden (§ 5 Abs. 2 BüGembeteilG), und zwar über Einzelheiten des Vorhabens und wirtschaftliche Rahmendaten des Anteilserwerbs.

Wann ist zu informieren?

  • Nach Erhalt der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung.

ODER

  • nach Gewinnen einer Ausschreibung, wenn die Vergütung der erzeugten Strommenge durch öffentliche Ausschreibungen ermittelt wird und diese Ausschreibung zeitlich nach Erhalt der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung stattfindet.

Das Besondere: Über Vorhaben und Eckdaten des Anteilserwerbs ist auch dann zu informieren, wenn der Vorhabenträger die Gemeinden gar nicht beteiligen möchte, sondern gleich die Ausgleichszahlung anbietet.


Was sagt das Bundesverfassungsgericht?

Ein Windenergieunternehmen sah sich durch einzelne Regelungen des Gesetzes in Grundrechten verletzt, insbesondere in der Berufsfreiheit | Art. 12 Abs. 1 GG. Auch rügte es die weitreichende Informationspflicht. Die Verfassungsbeschwerde wurde größtenteils zurückgewiesen, weil das BVerfG die mit dem Gesetz verfolgten Gemeinwohlziele höher einstufte als die (beeinträchtigten) Grundrechte des Unternehmens.


Verletzung der Berufsfreiheit ist hinzunehmen

Die Berufsfreiheit sei zwar verletzt, müsse aber hingenommen werden. Grund: Die Ziele des Gemeinwohls seien höher zu bewerten.

Worin liegt z.B. die Verletzung der Berufsfreiheit? Die Pflicht, jeweils eigene Projektgesellschaften zu gründen und zu betreiben, anstatt die Windparks etwa durch ein eigenes Unternehmen zu betreiben, beschränke Unternehmen in ihrer Gestaltungsfreiheit. Lehnen Gemeinden die Ausgleichszahlung ab, werden den Projektträgern Gesellschafter aufgedrängt, die sie sich in der Form möglicherweise nicht ausgesucht hätten. Ferner seien die Unternehmen mit finanziellem und organisatorischem Aufwand belastet.

All dies nützte dem betroffenen Unternehmen aber nichts, weil dem höher zu bewertende Ziele folgende des Gemeinwohls gegenüberstehen:

  • Klimaschutz,
  • Schutz von Grundrechten vor Beeinträchtigung durch den Klimawandel
  • Sicherung der Stromversorgung

Der Beitrag Mecklenburg-Vorpommerns ist global gesehen äußerst gering und kann für sich genommen nicht die Klimakrise beenden? Einwand irrelevant, urteilten die  Karlsruher Richter: Um Klimaziele und die Energiewende zu erreichen, seien viele kleine Beiträge nötig. Außerdem habe das Gesetz als Pilotprojekt länderübergreifenden Vorbildcharakter.


Umfassende Informationspflicht geht zu weit

Im Hinblick auf die gesetzliche Pflicht zur Information gab das BVerfG der Beschwerdeführerin recht. Diese sei unverhältnismäßig, soweit sie auch Vorhabenträger treffe, die anstatt eine Beteiligung anzubieten bloß die jährliche Abgabe zahlen wollen. Wozu also über etwas informieren, was gar nicht angeboten wird? Außerdem sei davon auszugehen, dass Gemeinden wegen des mit dem Anteilserwerb verbundenen hohen Verwaltungsaufwand die Ausgleichszahlung bevorzugen würden.


Presseerklärung vom 5. Mai 2022

Beschluss vom 23. März 2022

Foto(s): @canva


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