Corona-Neuregelungen ab 20. April: 800-qm-Grenze für Geschäftsöffnungen unzulässig?

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Die (zumeist) seit 23. März 2020 geltenden Corona-Verordnungen, z. B. in Nordrhein-Westfalen die Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2, kurz: Corona-Schutzverordnung (CoronaSchVO), beinhalten weitreichende Geschäftsschließungen und bringen hierdurch schwere wirtschaftliche bzw. finanzielle Schäden für Unternehmer durch massiven Umsatzausfall mit sich.

Corona-Neuregelung der Geschäftsschließungen ab 20. April 2020

Die ab 20.04.2020 geltenden neuen Regelungen sehen erhebliche Lockerungen dahingehend vor, dass (zusätzlich zu allen nach den bisherigen Corona-Verordnungen zulässigen Öffnungen und unter Auflagen zur Hygiene, zur Steuerung des Zutritts und zur Vermeidung von Warteschlangen) wieder öffnen dürfen:

  • alle Geschäfte bis zu 800 qm Verkaufsfläche
  • unabhängig von der Verkaufsfläche Kfz-Händler, Fahrradhändler, Buchhandlungen.

Auch dem Nichtjuristen drängen sich bei dieser Neuregelung quasi „auf den ersten Blick“ die Fragen auf, woher diese 800 qm-Grenze stammt, womit diese begründet wird und weshalb sie ausgerechnet für Kfz-Händler, Fahrradhändler und Buchhandlungen nicht gelten soll.

In der Tat ist diese Grenzbildung bzw. Differenzierung (Derartiges findet sich in ähnlicher Form allerdings i. V. m der Steuerung des großflächigen Einzelhandel im Bauplaungsrecht/BauGB) kaum nachvollziehbar.

Verfassungsmäßigkeit bzw. Verfassungswidrigkeit des „Rest-Vorbehalts“

Doch sind diese Einschränkungen, die einem verlängerten Berufsverbot für die von der weiteren Schließung betroffenen Geschäftsinhaber gleichkommen, rechtmäßig oder rechtswidrig, insbesondere auch verfassungsgemäß?

Nach hiesiger Auffassung sind die bereits bisher rechtlich hochkritischen Schließungsregelungen, soweit sie durch die 800 qm-Grenzbildung nunmehr jedenfalls bis zum 03.05.2020 aufrechterhalten bleiben, wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz gemäß Artikel 3 GG und gegen die Unternehmerfreiheit gemäß Artikel 12, 14 GG verfassungswidrig.

Bisherige Rechtsprechung zur „alten“ Corona-Geschäftsschließung

Betrachten wir hierzu die maßgebliche bisherige Rechtsprechung:

Mit Beschluss vom 06.04.2020 hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) in Münster den Eilantrag eines Einzelhandels-Unternehmens gegen die Schließung gemäß Corona-Schutzverordnung NRW (CoronaSchVO) abgelehnt (Aktenzeichen 13 B 398/20.NE).

Damit wurden die bisherigen Geschäftsschließungen (jedenfalls nach CoronaSchVO NRW) zwar zunächst als rechtmäßig abgesegnet (auch wenn man dieses hätte anders sehen können, eine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wurde hiergegen aber bislang offenbar nicht eingelegt).

Zugleich hat das OVG NRW im erwähnten Beschluss dem Landes-Verordnungsgeber „ins Hausaufgabenheft geschrieben“, dass „eine fortwährende Beobachtungs- und Überprüfungspflicht der getroffenen Maßnahmen“ besteht.

Dies war und ist ein deutlicher „Fingerzeig“, dass sich die Corona-Betriebsschließungen (bereits in der ersten Gültigkeitsphase bis zum 19.04.2020) am Rande des (noch) verfassungsrechtlich Zulässigen bewegen und für die Zulässigkeit im Verlängerungszeitraum grundsätzlich strengere Hürden gelten.

Nicht zuletzt diese, aber auch die „Warnungen“ prominenter Verfassungsrechtler wie etwa des Ex-Bundesverfassungsgerichtspräsident Prof. Hans-Jürgen Papier, dürften den Regierungen von Bund und Ländern, so insbesondere auch NRW, aufgezeigt haben, dass ein einfaches „Weiter so“ nicht geht, die bisherigen Corona-Verordnungen also nicht einfach „verlängert“ bzw. „fortgeschrieben“ werden können, sondern dringend Lockerungen wie insbesondere Geschäftswiederöffnungen angezeigt sind.

Nachdem das „Corona-Kabinett“ (Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten der Bundesländer) mit Beschluss vom 15.04.2020 die Wiederöffnung bislang geschlossener Geschäfte ab 20.04.2020 zugelassen hat (die Landesregierungen setzen die „Beschlussvorlage BUND“ durch Verordnung für das betreffende Bundesland um), ist der Staat dem Lockerungsgebot nun weit nachgekommen. Es bleibt aber die Frage: „Weit genug“?

Nach hiesiger Auffassung ist die dargelegte Grenzbildung nach Verkaufsfläche, die dann für ausgewählte Branchen (Kfz-Händler, Fahrradhändler, Buchhandlungen) nicht gelten soll, verfassungsrechtlich unzulässig.

Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz: Artikel 3 GG

Das allgemeine Gleichbehandlungsgebot gebietet, (wesentlich) Gleiches nicht ohne sachlichen Grund ungleich zu behandeln.

Der Gleichheitsverstoß besteht nach hiesigem Standpunkt gleich auf zwei Achsen:

  • zum einen in der sachlich ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von Geschäften bis zum 800 qm und solchen mit über 800 qm Verkaufsfläche
  • zum anderen in der sachlich ungerechtfertigten branchenbezogenen Privilegierung (Kfz-Händler, Fahrradhändler und Buchhandlungen) gegenüber anderen Branchen

Als sachlicher Grund für die 800 qm-Obergrenze wird von Staatsseite angeführt, es würden ansonsten zu viele Besucher an den jeweiligen Geschäftsstandort angelockt, weshalb die Einhaltung des Mindestabstands 1,5 m dann nicht (mehr) kontrollierbar sei (insbesondere in Innenstädten).

Das ist jedoch eine unfundierte Annahme. Die Grenzziehung bei 800 qm, die politisch kontrovers diskutiert wird, ist nach diesseitigem Standpunkt willkürlich.

Die Begründung der 800 qm-Grenze sieht sich -nach hiesigem Standpunkt zu Recht- dem Einwand der „Wettbewerbsverzerrung“ ausgesetzt, zudem dem Einwand, dass „auch größere Händler“ (also solche mit Verkaufsfläche über 800 qm), „Hygiene- und Abstandsvorgaben einhalten“ könnten (so Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer vom Handelsverband Deutschland (HDE), auf bild.de unter https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/corona-exit-wirtschaft-wettert-gegen-oeffnungs-willkuer-70074820.bild.html.)

Letzterem ist sogar hinzuzufügen, dass größere Geschäfte auch größere finanzielle und logistische Möglichkeiten haben, sodass ein professioneller Corona-Schutz hier am ehesten gewährleistet ist.

Ein sachlicher Grund für die Ausnahme bestimmter Branchen und zwar Kfz-Händler, Fahrradhändler und Buchhandlungen mag für diese Unternehmen zwar erfreulich sein, einleuchtend ist diese Privilegierung hingegen nicht.

Ein nachvollziehbarer, vernünftiger Grund, weshalb große Autohäuser wieder öffnen können sollen, andere große Händler aber nicht, ist schlechterdings nicht erkennbar.

Immerhin hat NRW eine über die Bundes-Beschlüsse hinausgehende Wiederöffnung von großen Möbelhäusern und Babymärkten (ebenfalls ab 20.04.2020) zugestanden, siehe https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/handel-auch-ikea-darf-in-nrw-oeffnen-start-am-montag-aber-unklar-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200417-99-734273.

Diese weitere – an sich begrüßenswerte und juristisch richtige – Ausdehnung führt aber die im Übrigen aufrechterhaltene 800 qm-Obergrenze völlig ad absurdum.

Es erschließt sich in keiner Weise, weshalb große Kfz-Händler, Fahrradhändler, Buchhandlungen, in NRW auch große Möbelmärkte und Babymärkte ab 20. April 2020 wieder öffnen können sollen, andere Großhändler aber nicht.

Rechtswidriger Eingriff in die Unternehmerfreiheit: Artikel 12, 14 GG

Selbst wenn man einen Verstoß gegen den Allgemeinen Gleichheitsgrundsatz verneinte, läge nach diesseitiger Auffassung ein rechtswidriger Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Unternehmerfreiheit vor.

Durch die für Geschäfte mit Verkaufsfläche über 800 qm aufrechterhaltene Geschäftsschließung wird in rechtswidriger Weise in deren Eingerichteten und Ausgeübten Gewerbebetrieb eingegriffen.

Eine – an sich zulässige – Inhalts- und Schrankenbestimmung liegt nach diesseitiger Auffassung nicht vor.

Der Eingriff ist insbesondere unverhältnismäßig und deshalb verfassungswidrig.

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip abgeleitet wird, gebietet, dass eine staatliche Eingriffsmaßnahme zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet, erforderlich, angemessen und (im engeren Sinne) verhältnismäßig ist.

Bereits die Erforderlichkeit fehlt.

Es ist nicht erkennbar, dass die Beibehaltung der Schließung von Geschäften einzig mit einer Verkaufsfläche von mehr als 800 qm zur Erreichung des angestrebten Zwecks – Verlangsamung der Ausbereitung des Coronavirus und hierdurch Erhalt der Funktionalität des Gesundheitswesens – erforderlich wäre.

Eine Auflage auch an große Geschäfte zu adäquaten Hygiene- und Abstand-Einhaltungsmaßnahmen bei Wiederöffnung wäre das offensichtlich mildere Mittel.

Erst recht nicht ist diese Grenzbildung angemessen oder (im engeren Sinne) verhältnismäßig. Sie stellt sich Im Gegenteil als willkürliche Grenze, damit als Verstoß gegen das Willkürverbot, dar.

Anstehende gerichtliche Überprüfung: Kaufhaus-Eilantrag beim OVG NRW

Da nach den Corona-Neuregelungen auch Kaufhäuser weiterhin geschlossen bleiben müssen, hat eine große Kaufhauskette nunmehr beim OVG NRW hiergegen Eilantrag (Verfahren auf Vorläufigen Rechtschutz) eingereicht, über den wohl in wenigen Tagen entschieden wird (Aktenzeichen: 13 B 484/20.NE).

Diese Entscheidung darf mit Spannung erwartet werden. Nach diesseitiger Auffassung wäre aufgrund des Vorgesagten eine Antragsablehnung rechtsfehlerhaft, womöglich sogar ihrerseits verfassungswidrig.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Olaf Möhring, Mönchengladbach/NRW



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