Familiennachzug zu subsidiären Schutzberechtigten – zur rechtlichen Kritik und praktischen Anwendung

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Die Bundesregierung hat sich 2018 zu einer Neuregelung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigen „durchgerungen“ und damit deren Rechte eingeschränkt. Durchgerungen erscheint hier das richtige Wort, denn seit März 2016 war der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten ausgesetzt und verkam zum Spiel einer politischen Hängepartie. Mit der Neuregelung, die zum 01.08.2018 in Kraft getreten ist, haben subsidiär Schutzberechtigte keinen Rechtsanspruch mehr auf Familiennachzug. Der Nachzug wird mit der Regelung des § 36a AufenthG zahlenmäßig massiv begrenzt, da monatlich aus humanitären Gründen nur 1.000 Visa für die Angehörigen der (Kern-)Familien subsidiär Schutzberechtigter ausgestellt werden können.

Bis 2015 – Angleichung von Rechten subsidiär Schutzberechtigter und anerkannter Flüchtlinge

Noch im Jahre 2015 veränderte der Gesetzgeber die Regelungen zum Familiennachzug so, dass subsidiär Schutzberechtigte und anerkannte Flüchtlinge gleichgestellt waren. Subsidiär Schutzberechtigte wurden in den Adressatenkreis des privilegierten Familiennachzugs in § 29 Abs. 2 AufenthG einbezogen und Ihnen damit ein Rechtsanspruch für den Nachzug ihrer Ehe-/Lebenspartner und Kinder (oder im Falle minderjähriger subsidiär Schutzberechtigter die Eltern) unter wenigen Voraussetzungen geschaffen. Durch ein (politisches) Umdenken in der Bundesregierung wurde diese Regelung bis Juli 2018 für fast 2,5 Jahre ausgesetzt, sodass der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte ausgesetzt wurde(bis auf wenige Ausnahmen).

Voraussetzungen und Ausschlussgründe

Die Visaerteilung erfolgt insbesondere nur, wenn die in § 36a Abs. 2 AufenthG genannten humanitären Gründe vorliegen. Das Wort insbesondere soll klarstellen, dass diese Liste nur einige Beispiele für humanitäre Gründe enthält und nicht abschließend ist. Gründe können demnach sein: wie lange ist die Familie schon getrennt, wie sehr sind die Familienangehörigen im Heimatland in Gefahr, das Vorliegen von Krankheiten, Behinderungen oder einer Pflegebedürftigkeit, sowie ob minderjährige Kinder betroffen sind.

Auch Integrationsleistungen mitentscheidend

Bei der Prüfung der Visaanträge sind auch Integrationsaspekte dafür entscheidend, wie hoch ein Antrag in der Rangfolge priorisiert wird. Je besser die Aussichten für eine Integration sind, desto weiter oben in der Liste rutscht ein Antrag. Dabei sind nicht nur die Integrationsleitungen des in Deutschland leben subsidiär Schutzberechtigten zu berücksichtigen (etwa Sicherung des Lebensunterhalts, vorhandener Wohnraum, Sprachkenntnisse, Arbeitsverhältnis, ehrenamtliche Engagement), sondern auch jene, die bei den nachziehenden Familienangehörigen vorliegen (z. B. Sprachkenntnisse).

Wie läuft das Verfahren ab?

Erste Anlaufstelle ist die deutsche Auslandsvertretung im Heimatland. Das Auswärtige Amt stellt auf seinen Internetseiten ein Terminvergabesystem zur Verfügung. Die Auslandsvertretung prüft zusammen mit der zuständigen Ausländerbehörde das Vorliegen der humanitären Gründe und der weiteren rechtlichen Voraussetzungen (z. B. Ausschlussgründe, Verwandtschaftsverhältnisse, usw.). Da es bei den Terminvergaben teilweise zu langen Wartezeiten kommen kann, empfiehlt sich die relevanten Unterlagen schon bei dem ersten Termin weitestgehend mitzubringen, um eine zügige Antragsbearbeitung zu ermöglichen, da die Auslandsvertretungen zurzeit lediglich vollständige Unterlagen entgegennehmen und eine Nachreichung von Unterlagen ausgeschlossen ist.

Entscheidung durch Bundesverwaltungsamt – Erteilung durch die Auslandsvertretungen

Sind alle rechtlichen Voraussetzungen sowie humanitären Gründe geprüft worden und wurde dem Antrag auf Visaerteilung stattgegeben, muss eine „Rangliste“ erstellt werden. Liegen mehr als 1.000 Anträge vor, muss entschieden werden, welche priorisiert werden und bewilligt werden können. Diese Aufgabe liegt im Verantwortungsbereich des Bundesverwaltungsamtes, das die bis zu 1.000 Nachzugsberechtigten auswählt. Sind die Kontingente in einem Monat erschöpft, werden die nicht berücksichtigten Visaanträge in dem Auswahlverfahren des nächsten Monats wieder einbezogen. Die erteilten Visa werden durch die deutschen Auslandsvertretungen ausgestellt.

Rechtliche Kritik

Rechtliche stößt die Neuregelung des Familiennachzugs auf verfassungsrechtliche und europarechtliche Bedenken hinsichtlich des Diskriminierungsverbots und des Schutzes der Familie und des Familienlebens.

Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt

Subsidiär Schutzberechtigt und anerkannte Flüchtlinge werde hinsichtlich des Familiennachzugs ungleich behandelt, was politisch gewollt ist. Aber gerade diese politisch gewollte Ungleichbehandlung stellt ein rechtliches Problem dar, da keine Rechtfertigung ersichtlich ist. Beide Schutzformen – subsidiärer Schutz und Flüchtlingsanerkennung – sollen geflüchtete Menschen vor Menschenrechtsverletzungen schützen. Somit liegt bei beiden Schutzformen ein sehr ähnlich gelagerter Schutzbedarf vor, sodass eine Ungleichbehandlung nicht ohne weiteres möglich erscheint. Vor dem Hintergrund des Diskriminierungsverbots in Artikel 3 Grundgesetz und Artikel 21 der EU-Grundrechtecharta könnte der stark eingeschränkte Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte einen Verstoß gegen die Verfassung und EU-Recht darstellen.

Schutz der Familie nicht uneingeschränkt für subsidiär Schutzberechtigte

Ebenso könnte ein Verstoß gegen Artikel 6 Grundgesetz und Artikel 7 der EU-Grundrechtecharta vorliegen. Beide Normen sollen die Familie und das Familienleben schützen. Diese Achtungs- und Schutzpflichten müssen bei behördlichen Entscheidungen besondere Berücksichtigung finden. Eine starke zahlenmäßige Beschränkung läuft dem Zweck, Familien zu schützen und ein gemeinsames Leben zu verwirklichen, aber dann entgegen, wenn die Familien der hier lebenden subsidiär Schutzberechtigten nicht einreisen dürfen, da das monatliche Kontingent ausgeschöpft ist. Außerdem erschwert eine künstlich verlängerte Trennung der Familien die Integration der bereits hier lebenden Schutzberechtigten.

Wird die Regelung trotz verfassungsrechtlicher Kritik Bestand haben?

Ob die Regelung in § 36a AufenthG wegen der beschriebenen und weiterer Kritik Bestand haben kann, ist im Vorfeld schwierig zu beurteilen. Es gibt gute Gründe, die wegen der Verstöße gegen das Verfassungs- und EU-Recht dafür sprechen, dass die Regelung zukünftig vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben werden könnte. Bis dahin dürfte aber noch einige Zeit verstreichen.

Wie sieht die Regelung in der Praxis aus?

In der Praxis haben sich folgende Entwicklungen gezeigt:

  • Kontingente nicht ausgeschöpft: In den ersten 5 Monaten (August bis Dezember 2018) der neuen Regelung hätten theoretisch 5.000 Visa erteilt werden können. Zwar ist bei einer Neuregelung immer mit Startschwierigkeiten zu rechnen, doch wurden in dem Zeitraum lediglich ca. 2.600 Visa erteilt. Das bedeutet, dass fast 2.400 Visa nicht erteilt wurden.
  • Politisch nicht gewollt – Offene Kontingente bisher nicht übertragen: Die nicht genutzten Visa-Kontingente wurden zwar in den Monaten August bis Dezember 2018 in jeweiligen Folgemonat übertragen, doch dies endete zum Jahreswechsel, sodass die offenen Visa-Kontingente aus 2018 nicht ins Jahr 2019 übertragen wurden. Politisch streiten die Regierungsparteien noch darum, ob dies geschehen soll. Eine Anfrage der Bundesabgeordneten Luise Amtsberg wurde vom Bundesinnenministerium Anfang März 2019 damit beantwortet, dass die Diskussionen innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen seien. Es ist somit davon auszugehen, dass eine solche Übertragung politisch nicht gewollt bzw. nur schwer durchsetzbar ist.
  • Bearbeitungsschwierigkeiten bei den Behörden: Aus der gleichen Anfrage lässt sich ein deutliches Problem erkennen – die Behörden können eine zügige Bearbeitung der Visa-Anträge nicht umsetzen. Bis Ende Januar 2019 wurden zwar fast 7.500 Anträge bei den Auslandsvertretungen gestellt, an das Bundesverwaltungsamt wurden allerdings lediglich ca. 4.150 Anträge weitergeleitet. Das bedeutet, dass mehr als 3.300 unbearbeitete Anträge bei den Verwaltungsbehörden liegen. Dieser „Flaschenhals“ erschwert den Familiennachzug enorm.
  • Das Bundesverwaltungsamt hat bis auf wenige Ausnahmen (ca. 30) auch allen Anträgen zugestimmt und diese zur Ausstellung an die Auslandsvertretungen weitergeleitet. Die Auslandsvertretungen stellten aber bisher nur ca. 3.700 Visa aus, sodass sich auch hier ein beachtlicher Rückstand von ca. 450 offenen Visa-Ausstellungen ergibt.
  • Viele Terminanfragen – Ranglistenerstellung intransparent: Bei den Auslandsvertretungen lagen mit Stand Ende Januar 2019 fast 36.000 Terminanfragen vor. Das bedeutet, dass ein Großteil der Visa-Anträge noch gestellt werden wird, sodass sich die Situation bei den Verwaltungsbehörden und der Entscheidungspraxis zeitlich noch verschärfen wird. Die Belastung wird mit den zu erwartenden Rechtsbehelfen und Klagen noch steigen, die sich nicht nur gegen eine negative Entscheidung der Verwaltungsbehörden richten werden, sondern auch gegen die völlig intransparent gestaltete Erstellung einer Rangliste.

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