Die Anrechnung anderweitigen Erwerbs beim Wettbewerbsverbot – Teil 1

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Sachverhalt

Folgende Fragestellung erreichte uns in der 4. KW 2020: Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbaren ein Wettbewerbsverbot. Sie trennen sich im Sommer 2019. Der Beendigungsgrund führt dazu, dass der Arbeitgeber 100 % Karenzentschädigung zahlen muss. Er leistet die gesamte Entschädigung am Ende des Arbeitsverhältnisses in einer Summe, ein Betrag von weit über 500.000,00 EUR brutto.

Der Arbeitnehmer macht sich unmittelbar im Anschluss selbstständig und gründet eine GmbH, deren einziger Gesellschafter er ist; zugleich ist er alleiniger Geschäftsführer.

Anfang 2020 verlangt der Arbeitgeber Auskunft über den Erwerb, den der Arbeitnehmer seit Ausscheiden erzielt hat. Der Arbeitnehmer will wissen, ob überhaupt und wenn ja, wie genau er Auskunft erteilen muss, da er bislang gar keinen Gewinn aufgrund hoher Anlaufkosten macht.

Passende aktuelle Entscheidung: LAG Berlin, 10.12.2019, 11 Sa 1573/19.

Anrechnungsgrenzen

Wer auf der Grundlage eines Wettbewerbsverbotes eine Karenzentschädigung erhält, muss sich je nachdem in bestimmtem Umfang anderweitigen Erwerb anrechnen lassen. Das bestimmt § 74c HGB.

Diese Vorschrift unterscheidet zwei Anrechnungsgrenzen. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle beginnt die Anrechnung, wenn Karenzentschädigung und Hinzuverdienst 110 % der früheren Bezüge übersteigen.

Die Hinzuverdienstgrenze kann auf 125 % steigen, wenn der Arbeitnehmer infolge des Wettbewerbsverbotes gezwungen ist, seinen Wohnsitz zu verlegen.

Ein Wohnsitzwechsel verlangt die Verlagerung des Lebensmittelpunktes der Familie. Die Begründung eines Zweitwohnsitzes am neuen Tätigkeitsort genügt nicht. Das Wettbewerbsverbot muss für den Wohnsitzwechsel ursächlich sein. Das ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer nur außerhalb seines bisherigen Wohnortes eine Tätigkeit finden kann, die nach Art, Vergütung und beruflichen Chancen seiner bisherigen Tätigkeit nahekommt. Diesen Zusammenhang muss der Arbeitnehmer beweisen.

Anzurechnende Einkünfte

Anzurechnen sind nur solche Einkünfte, die der Arbeitnehmer

a) durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft erwirbt oder

b) böswillig zu erwerben unterlässt.

Zu den Einkünften zählen nicht nur Arbeitseinkommen aus abhängiger Beschäftigung, auch Einkünfte aus Dienstverhältnissen als Vorstand oder Geschäftsführer, aber auch aus selbstständiger Tätigkeit sind anzurechnen.

Bezüge aus dem alten, beendeten Arbeitsverhältnis, die erst später gezahlt werden, sind nicht anzurechnen. Endet das Arbeitsverhältnis am 31.12. und nimmt der Arbeitnehmer eine neue Tätigkeit bereits am 01.01. des Folgejahres auf, so sind beispielsweise Provisionen aus dem alten Arbeitsverhältnis, die erst im März des Folgejahres gezahlt werden, nicht anzurechnen.

Unselbstständige neue Beschäftigung

Zu berücksichtigen sind alle vom neuen Arbeitgeber gewährten Leistungen, die auch in die Berechnung der Karenzentschädigung eingeflossen sind. Es gilt das Prinzip der Gleichheit von Berechnung und Anrechnung.

Wenn man beim neuen Arbeitgeber einen Dienstwagen erhält, beim alten Arbeitgeber jedoch über keinen verfügte, wird der geldwerte Vorteil nicht angerechnet.

Gehaltserhöhungen während des Laufes eines Wettbewerbsverbots sind zu berücksichtigen, wohingegen die Karenzentschädigung ein fester über die Laufzeit des Wettbewerbsverbotes unabänderlicher Betrag ist. Dies mag ungerecht klingen, ergibt sich aber aus dem klaren Wortlaut von § 74 c HGB.

Anzurechnen sind nur Einkünfte, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Verwertung der Arbeitskraft stehen. Scheidet der Arbeitnehmer aus dem neuen Arbeitsverhältnis wieder aus und erhält eine Abfindung, ist diese Abfindung nicht auf die Karenzentschädigung anzurechnen.

Die anderweitige Arbeitsvergütung ist immer „Brutto“ anzusetzen. Daher dürfen Werbungskosten wie höhere Fahrtkosten nicht abgezogen werden.

Selbstständige Tätigkeit

Maßgeblich ist hier nicht der Umsatz, sondern der Gewinn. Von den Einnahmen sind folglich die Betriebsausgaben abzusetzen. Entscheidend ist immer das Ergebnis vor Steuern. Vereinnahmte Umsatzsteuer ist als durchlaufender Posten nicht anzurechnen.

Die Karenzentschädigung wird monatlich gezahlt, weshalb der anzurechnende Betrag jeweils monatlich zu errechnen ist. Dies ist bei selbstständiger Tätigkeit in der Regel nicht möglich. Die Höhe der Einkünfte variiert zum Teil sehr stark. Abzustellen ist deshalb auf die Gewinne zum Ende des jeweiligen Geschäftsjahres.

Für viele ist es eine naheliegende Überlegung, sich selbstständig machen, weil es durchaus Möglichkeiten gibt, durch geschickte Rechnungsstellung die Gewinne in die Zeit nach Ablauf des Wettbewerbsverbotes zu legen.

Nicht nur tatsächlich erzielte Einnahmen werden angerechnet, sondern auch böswillig unterlassene. Hier ist es Aufgabe des alten Arbeitgebers diesen Sachverhalt zu beweisen, was in der Praxis aber relativ schwierig ist (siehe aber noch im 2. Teil zu Auskunftspflichten).

Sonstige Einkünfte (Kapitaleinkünfte)

Außer Betracht bleiben immer solche Einkünfte, die in keinerlei Zusammenhang mit der Verwertung der Arbeitskraft stehen. Dividendengewinne, Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung oder auch Einkünfte aus einer privaten Krankentagegeldversicherung werden nicht angerechnet, ebenso wenig Leistungen aus einer Lebensversicherung.

Nebeneinkünfte

Arbeitete der ausgeschiedene Mitarbeiter während des alten Arbeitsverhältnisses in einem Nebenjob und behält er diesen Nebenjob auch beim neuen Arbeitgeber bei, sind diese Einkünfte nicht anzurechnen.

Arbeitslosengeld

Es ist streitig, ob Arbeitslosengeld auf die Karenzentschädigung angerechnet wird. Früher wurde dies angenommen; das hing jedoch mit Vorschriften im SGB III zusammen, die nun weggefallen sind. Das für den Bezirk unserer Kanzlei zuständige LAG Köln rechnet daher Arbeitslosengeld nicht mehr an (die seinerzeit zugelassene Revision zum BAG wurde nicht eingelegt). Oftmals ist das Problem jedoch ein rein theoretisches, da die Karenzentschädigung zuzüglich des Arbeitslosengeldes die Anrechnungsgrenze nicht überschreitet. Gefährlich wird es aber dann, wenn die Karenzentschädigung 100 % beträgt. Hier beantragte unser Mandant solche Leistungen nicht, sondern machte sich selbstständig.

Die nächste Frage wäre, wie Arbeitslosengeld angerechnet werden müsste. Müsste nur der Nettobetrag angerechnet oder müsste das Arbeitslosengeld in ein fiktives Bruttoentgelt umgerechnet? Zur früheren Rechtsprechung sagte das Bundesarbeitsgericht, dass das Arbeitslosengeld nicht in ein fiktives Bruttoentgelt umzurechnen sei.

Andere Sozialleistungen

Folgt man dem LAG Köln, welches Lohnersatzleistungen für nicht anrechnungsfähig hält, wären folglich auch Kurzarbeitergeld, Krankengeld und Insolvenzgeld nicht anzurechnen. Leistungen nach dem SGB II sind grundsätzlich nicht anzurechnen, hierbei handelt es sich schon nicht um Lohnersatzleistungen.

Böswilliges Unterlassen

Ein solches Unterlassen kann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer gar nicht arbeitet, aber auch wenn er sich mit einer Tätigkeit in einem geringeren Umfang oder mit einer geringeren Vergütung zufriedengibt, als er eigentlich erzielen könnte.

Grundsätzlich gilt jedoch die Freiheit der Berufs- und damit auch der Arbeitsplatzwahl. Jeder hat das Recht, seinen Arbeitsplatz und seine Tätigkeit frei zu wählen, Art. 12 GG. Böswilligkeit scheidet deshalb schon dann aus, wenn man für den jeweils gewählten Berufs-, aber auch Ausbildungsweg vernünftige Gründe hat. Niemand ist gezwungen, eine anstrengende Tätigkeit mit vielen Überstunden und hohem Reiseaufwand auf sich zu nehmen, nur um eine möglichst hohe Vergütung zu erzielen. Es ist ohne Weiteres möglich, eine schlechter bezahlte Tätigkeit aufzunehmen, die man selbst für interessanter, entspannter usw. hält.

Nur wer ohne hinreichenden und ohne erkennbaren sachlichen Grund seinen Interessen den Vorzug gegenüber denjenigen des alten Arbeitgebers gibt, kann eventuell böswillig handeln.

Man sieht also, dass an die Böswilligkeit strenge Anforderungen gestellt werden. Das Vorliegen böswilligen Unterlassens muss der Arbeitgeber beweisen.

Nicht böswillig ist beispielsweise auch die Aufnahme eines Studiums; auch wer sich beruflich weiterbildet oder einen ausländischen Studienabschluss nachholt, um im Ausland vertiefte Sprachkenntnisse zu erwerben, handelt nicht böswillig.

Ebenso wenig ist der Aufbau einer selbstständigen Existenz, die Gründung eines Unternehmens oder einer freiberuflichen Praxis böswillig.

Böswillig kann es allenfalls sein, Gewinne, die während der Karenzzeit erzielt werden, nicht zu realisieren, was jedoch der Arbeitgeber beweisen muss. Das steuerlich zulässige Vorziehen von Ausgaben, auch in Form sehr aufwändiger Büroausstattung, ist nicht böswillig.

Allenfalls das Gewähren ungewöhnlich langer Zahlungsziele oder entsprechender Stundungsvereinbarungen kann auf eine Böswilligkeit hindeuten.

Wer meint, Arbeitslosengeld sei auf die Karenzentschädigung anzurechnen, nimmt konsequenterweise an, dass man sich arbeitslos melden muss. Wer dies unterlässt, unterlässt böswillig anderweitigen Erwerb – so er denn anzurechnen wäre.

Die Aufgabe des neuen Berufes/der neuen Tätigkeit ohne ersichtlichen Grund kann böswilliges Unterlassen indizieren.

Es ist nicht böswillig, in Elternzeit zu gehen, anstatt zu arbeiten. Dies gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein Mann die Elternzeit in Anspruch nimmt.

Ob die Grenze der Böswilligkeit überschritten ist, wenn der Arbeitnehmer gar nichts tut, sondern sich auf einer ausgedehnten Weltreise ganz in Ruhe auf sein neues Berufsleben vorbereiten möchte, ist bislang nicht entschieden; dass Gerichte hier Böswilligkeit annehmen könnten, liegt jedoch nicht ganz fern.

Auch diejenigen, die sich nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Ruhe setzen, handeln nicht böswillig. Sicher ist dies anzunehmen, wenn der Eintritt in den Ruhestand möglich ist, selbst unter Inkaufnahme von Abschlägen. Nicht entschieden ist, ob Böswilligkeit anzunehmen ist, wenn man bereits vorher in Ruhestand tritt.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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