Die Anzeigepflicht - ein (teurer?) Stolperstein für den Versicherungsnehmer (2)

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Anfechtung, Rücktritt, Vertragsanpassung und Kündigung wegen der Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht – ein Überblick

Teil 2: Die gesetzlichen Regelungen nach § 19 VVG

Dieser Beitrag knüpft an Teil 1 (Einleitung) an und wird durch den Teil 3 (Anfechtung nach § 123 BGB) fortgeführt.

Der § 19 VVG – die Voraussetzungen für Rücktritt, Anpassung und Kündigung

Nachdem der Gesetzgeber anerkannt hat, dass der Versicherer das Recht hat, zur Bewertung des Risikos vor Vertragsschluss Fragen an den potentiellen Versicherungsnehmer zu stellen, schließt sich die Frage an, wie der Gesetzgeber das Risiko einer falschen Beantwortung zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer verteilt hat.

Die jetzt gültige Regelung des § 19 VVG ist 2008 in das Versicherungsvertragsrecht aufgenommen worden und kann en Detail nur im Verhältnis zur Vorgängernorm der §§ 16 VVG a. F. verstanden werden. Schon die alte Regelung führte zu vielen praktischen Umsetzungsproblemen und Ungerechtigkeiten, weshalb der Gesetzgeber sich zu einer vollständigen Neuordnung entschlossen hat. Über die Bewertung des Ergebnisses kann man mit Fug und Recht streiten. Der Gesetzgeber hat versucht, die Rechtsfolgen im Wesentlichen vom Grad des Verschuldens des Versicherungsnehmers und davon abhängig zu machen, ob der Versicherer bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände den Vertrag abgeschlossen hätte. Dieser Ansatz trifft jedoch in der Praxis auf schwer zu bewältigende Probleme, denn dem Versicherer fehlen rein faktisch die Möglichkeiten, den Grad des Verschuldens aufzuklären, insbesondere innerhalb der kurzen gesetzlichen Frist. Außerdem wird der Versicherer in Kenntnis des eingetretenen Versicherungsfalls aus eigenem Interesse geneigt sein, im Nachhinein strengere Maßstäbe an die Annahmerichtlinien anzusetzen, um so einer Zahlungspflicht zu entgehen.

Die Rechte des Versicherers wegen einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung bestehen dabei – grob zusammengefasst – unter folgenden Voraussetzungen:

Der Versicherer muss den Versicherungsnehmer „durch gesonderte Mitteilung in Textform“ auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung hinweisen (§ 19 Abs. 5 VVG).

Dies bedeutet, dass der Versicherungsnehmer vollständig und inhaltlich richtig über die Pflicht zur richtigen Beantwortung der Fragen und die Folgen der Falschbeantwortung belehrt haben muss. Die daraufhin von der Versicherungswirtschaft entwickelten Belehrungen haben die Gerichte seit 2008 vielfach beschäftigt. Dies beginnt schon bei der Frage, ob die Belehrung auf einem gesonderten Blatt zu erfolgen hat oder ob sie in das Antragsformular integriert werden kann. Wenn die Belehrung im Antragsformular enthalten ist, stellt sich die Frage, ob der Abdruck vor den Unterschriften genügt oder ob die Belehrungen vor den Gesundheitsfragen stehen müssen, damit der Versicherungsnehmer die Belehrung vor der Beantwortung der Fragen zur Kenntnis nimmt. Da eine vollständige Belehrung sehr umfangreich ist, haben einige Versicherer in das Formular eine Kurzbelehrung aufgenommen und verweisen darin auf eine ausführliche Belehrung in den weiteren Unterlagen. Ob dies zulässig ist und welchen Inhalt die Kurzbelehrung dann haben muss, ist bislang nicht abschließend geklärt.

Neben diesen formellen Fragen der Belehrung stellt sich die nur im Einzelfall zu beantwortende Frage, ob die Belehrung inhaltlich richtig und vollständig ist. Auch an dieser Voraussetzung scheitern – in Anbetracht der Komplexität der Rechtsfolgen nicht verwunderlich – einige Versicherer.

Nur dann, wenn die Belehrung ordnungsgemäß ist, kann der Versicherer aus der Verletzung der Anzeigepflicht Rechte herleiten.

Es müssen nur Fragen richtig beantwortet werden, die der Versicherer in Textform gestellt hat und die gefahrerheblich sind.

Damit wird dem Versicherer das Risiko aufgegeben, die risikorelevanten Fragen vorab zu formulieren und dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit der Lektüre einzuräumen.

Dabei muss im Einzelfall jeweils geprüft werden, ob die im Nachhinein gerügte Antwort auch bei Auslegung der Frage falsch ist, weshalb es jeweils auf die individuelle Formulierung ankommt. Hierbei ist festzustellen, dass die Sachbearbeiter des Versicherers in der Regel ein festes Verständnis über den Inhalt der Fragen des Antragsbogens haben und andere Auslegungsmöglichkeiten außergerichtlich in der Regel nicht anerkannt werden.

Ein weiteres Problemfeld im Zusammenhang mit der Fragestellung ist, dass bei Vermittlung des Vertrags häufig der Versicherungsvermittler das Ausfüllen des Antragsformulars übernimmt. Die Fragen werden also nur vorgelesen und es kommt – entgegen der Darstellungen der Versicherer in vielen Prozessen – wohl regelmäßig vor, dass Fragen nicht vollständig vorgelesen werden, sondern der Vermittler die Fragen zusammenfasst. Dann sind die Fragen nicht mehr in Textform gestellt, sodass nur die Fragen des Vermittlers richtig zu beantworten sind.

Schließlich sind viele Antragssteller unsicher, welche Informationen der Versicherer von ihnen erwartet. Sie erwähnen dann zwar leichte oder abgeschlossene Erkrankungen, die von dem Vermittler aber nach Erörterung nicht übernommen werden und dann nicht im Antrag auftauchen. Richtig wäre aber, alle Erkrankungen anzugeben, damit der Versicherer selbst die für die Bewertung relevanten heraussuchen kann. Dies geschieht jedoch in der Praxis häufig nicht.

Eine zulässige Frage des Versicherers muss objektiv falsch beantwortet worden sein.

In Personenversicherung erfolgt der Streit in der Regel, weil dem Versicherer bei der Schadenregulierung alte Befunde bekannt werden, die in dem Antrag nicht genannt wurden. Die daraus resultierenden Einzelprobleme sind schwer überschaubar und sollen hier nicht dargestellt werden. Häufig resultieren Streitfälle daraus, dass bereits ausgeheilte minderschwere Erkrankungen nicht angezeigt wurden. Die Rechtsprechung hilft hier dem Versicherungsnehmer in gewisser Hinsicht, indem alltägliche leichte Erkrankungen, wie Erkältungen, teilweise nicht als gefahrerheblich angesehen werden oder dem Versicherungsnehmer ein Recht zum Vergessen eingeräumt wird, womit ein Verschulden ausscheidet. In letzter Zeit häufiger aufgetreten ist auch das Phänomen, dass Verdachtsdiagnosen, die dem Patienten in der Regel nicht mitgeteilt werden, herangezogen werden, oder dass Ärzte in ihren Aufzeichnungen Erkrankungen „verschlimmern“, ohne dass der Patient hierüber informiert wird.

Die Grundregel bleibt jedoch, dass der Versicherungsnehmer dem Versicherer – wenn auch in Laienworten – Erkrankungen und Beschwerden innerhalb des abgefragten Zeitraums anzeigen muss, wenn er danach gefragt wurde.

Der Versicherungsnehmer muss schuldhaft, also vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben.

Die Frage, inwieweit dem Antragssteller ein Vorwurf an der Falschbeantwortung gemacht werden kann, ist in vielen Fällen entscheidend für den Ausgang des Klageverfahrens, weil die Rechte des Versicherers davon abhängig sind, welchen Verschuldensgrad das Gericht feststellt.

Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit

Am weitesten gehen die Rechte des Versicherers, wenn der Versicherungsnehmer die Antragsfragen vorsätzlich oder grob fahrlässig falsch beantwortet hat, denn dann kann der Versicherer nach § 19 Abs. 2, 3 VVG vom Vertrag zurücktreten. Dabei wird von Gesetzes wegen vermutet, dass der Versicherungsnehmer vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat, wenn der Versicherer nachgewiesen hat, dass dem Versicherungsnehmer der nicht angezeigte Umstand bekannt war. Der Versicherungsnehmer muss daher Umstände darlegen und ggf. beweisen, die Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit ausschließen. Vorsatz setzt dabei Wissen und Wollen der Anzeigepflichtverletzung voraus. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer bei der Beantwortung der Fragen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt objektiv in einem ungewöhnlich hohem Maße verletzt und nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.

Erklärt der Versicherer wirksam den Rücktritt, so wird er rückwirkend von der Leistungspflicht aus dem Vertrag frei. Das bedeutet, dass der Versicherer aus dem Vertrag keine Versicherungsleistungen zu erbringen hat. Falls er in der Vergangenheit Leistungen erbracht hat, kann er diese zurückfordern.

Diese harte Rechtsfolge ist ausgeschlossen, wenn der nicht angezeigte Umstand keinen Einfluss auf den Eintritt oder den Umfang des Versicherungsfalls hatte. Dies wäre z. B. der Fall, wenn der Versicherungsnehmer bei Abschluss einer privaten Krankenversicherung verschwiegen hätte, dass er im abgefragten Zeitraum wegen eines Herzinfarkts behandelt worden ist. Dies berechtigt den Versicherer zum Rücktritt. Sollte der Versicherungsnehmer aber während der Laufzeit z. B. wegen eines beim Skifahren erlittenen Beinbruchs behandelt worden sein, können die damit verbundenen Kosten nicht zurückgefordert werden, weil Herzinfarkt und Beinbruch nicht in einem Kausalzusammenhang stehen.

Im Gegenzug steht dem Versicherer der Anspruch auf die Prämie bis zum Wirksamwerden des Rücktritts zu. Dies wird von einigen Versicherungsnehmern als ungerecht empfunden, weil sie ihren Versicherungsanspruch wegen der Anzeigepflichtverletzung verlieren, Gesetzgeber und Rechtsprechung haben diese Sanktionierung des Versicherungsnehmers jedoch mehrfach als wirksam erachtet. Denn letztlich geht die Zahlungspflicht auf ein Fehlverhalten des Versicherungsnehmers zurück und es soll nicht nachträglich in die Kalkulation des Versicherers eingegriffen werden.

Kann der Versicherungsnehmer nachweisen, dass er nicht vorsätzlich gehandelt hat, verbleibt es aber beim Vorwurf der groben Fahrlässigkeit, so ist das Rücktrittsrecht des Versicherers nach § 19 Abs. 4 VVG ausgeschlossen, wenn er den Vertrag auch bei Kenntnis des Umstände, wenn auch unter anderen Bedingungen angenommen hätte. Der Versicherer kann dann rückwirkend die Einbeziehung neuer Versicherungsbedingungen verlangen, die häufig insbesondere Risikoausschlüsse oder höhere Prämien vorsehen werden.

Einfache Fahrlässigkeit und Schuldlosigkeit

Gelingt dem Versicherungsnehmer der Nachweis, dass er nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat, so kann der Versicherer nicht zurücktreten, er kann jedoch den Vertrag mit Wirkung für die Zukunft kündigen. Das Kündigungsrecht ist wiederum ausgeschlossen, wenn der Versicherer den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände, wenn auch zu anderen Bedingungen angenommen hätte. Auch dann kann der Versicherer die Einbeziehung neuer Versicherungsbedingungen verlangen, die aber erst ab der Erklärung in den Vertrag einbezogen werden.

Ausnahmen bei der privaten Krankenversicherung

Für die private Krankenversicherung bestehen nach § 194 Abs. 1 VVG einige Besonderheiten, die hier nicht dargestellt werden sollen.

Rechte des Versicherungsnehmers

Da sich bei einer Umstellung der Versicherungsbedingungen die Interessenslage des Versicherungsnehmers ändern kann, räumt das Gesetz ihm ein Sonderkündigungsrecht bezüglich des Versicherungsvertrags ein, wenn sich durch die Vertragsanpassung die Prämie um mehr als 10 % erhöht oder der Versicherer für den nicht angezeigten Umstand einen Risikoausschluss in den Vertrag mit aufnimmt. Die Kündigung kann nur innerhalb eines Monats nach Zugang der Erklärung des Versicherers erfolgen.

Handlungsbedarf des Versicherungsnehmers

Wir haben in unserer Praxis festgestellt, dass diese sehr detaillierte Ausgestaltung der Rechtsfolgen von vielen Versicherern nicht ausgeschöpft wird, sondern dass der Versicherer der gesetzlichen Vermutung folgend von Vorsatz ausgeht und damit eine Rückabwicklung des Vertrags verfolgt.

In einer solchen Situation ist es also für den Versicherungsnehmer bedeutsam, die eigenen, vom Gesetz eingeräumten, Rechte durchzusetzen.

Rechtsanwalt Heiko Effelsberg, LL.M.

Fachanwalt für Versicherungsrecht

Dieser Beitrag wird in Teil 3 (Anfechtung nach § 123 BGB) fortgeführt.


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